Die Alphabet Aktie erlebt heute mit einem Minus von bis zu neun Prozent ihr Armageddon. Anleger befürchten, dass Microsoft die Suchmaschinen-Dominanz von Google mithilfe von ChatGPT brechen könnte. Wie steht es um Alphabet, dessen Quartalszahlen bereits letzte Woche nicht gut ankamen?
Alphabet Aktie Quartalszahlen
Wer dem Earnings Call von Alphabet letzte Woche lauschte, konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass CEO Sundar Pichai Handlungsdruck verspürt. Zu Beginn gab sich Pichai schmallippig, als es um die Ursache für die schwachen Quartalszahlen ging. Das Makro-Umfeld sei “herausfordernd”, der “Pullback” im Anzeigengeschäft habe das Ergebnis getroffen. Abgehakt und weiter: Im Call ging es danach nur um eines: KI. “Seit Jahren” sei Google eine “AI first company”, so Pichai. Alle Wachstums-Opportunitäten würden künftig AI-getrieben sein. Das Sprachmodell Lambda nehme eine zentrale Rolle im Suchmaschinengeschäft ein und habe bereits den Google-Suchalgorithmus verbessert. KI soll laut Pichai auch im Mittelpunkt neuer Tools für Entwickler stehen und das AI-Segment, das künftig eine eigene Rolle im Financials Reporting einnehmen wird, soll auch in der Google Cloud Plattform Lösungen für Industriekunden, Life Science sowie Retail-Kunden verbessern.
Die Sache hat nur mehrere Haken. So liebend gerne man bei Alphabet über Zukunftsvisionen spricht, so bleibt das Unternehmen einmal im Hier und Heute gefangen. Der Umsatz wird größtenteils vom zyklischen Anzeigengeschäft getrieben. Vorerst reagierten Anleger enttäuscht von der Q4 Zahlen, denn die lagen unter den Erwartungen. Der Rückgang der Anzeigenerlöse war mit minus vier Prozent stärker als von der Wall Street prognostiziert. Bei Youtube lag der Rückgang sogar bei 8 Prozent. Allerdings entwickelt sich die Zahl der Abonnenten mit nun 80 Millionen Bezahlkunden extrem stark. Der Umsatz ging konzernweit um 1 Prozent zurück, der operative Gewinn sank YoY auf 18,2 Milliarden Dollar nach 21,9 Milliarden in Q4 2021. Die operative Marge war ebenfalls mit 24 Prozent (29 Prozent) rückläufig, wie auch der Nettogewinn (EPS 1,05 Dollar vs. 1,53 Dollar).
Anleger reagierten verschnupft, und die Alphabet Aktie sackte nach Bekanntgabe der Zahlen in der vergangenen Woche zunächst um gut vier Prozent ab. Dass sie sich zunächst erholte, dürfte einmal an die Hoffnung von Anlegern geknüpft sein, dass die Zinserhöhungen weitgehend durch sind. Möglicherweise könnte es auch an der neuen Kostendisziplin liegen, die Alphabet – wie andere Big Techs auch – jetzt an den Tag legt. Neben der bereits im Januar angekündigten Entlassung von 12.000 Mitarbeitern (wird die Bottom Line im laufenden Quartal treffen) gab Pichai im erwähnten Earnings Call auch das neue Motto aus. Man werde quer über alle Geschäftsfelder einen “geschärften Fokus auf Kosteneffizienz setzen”. Auch das Cloud-Geschäft werde “sehr auf Profitabilität konzentriert sein”. Das hören Anleger heutzutage gern. Doch schon am Freitag goss der US-Arbeitsmarkt Wasser in den Wein von Anlegern – der US-Jobmotor brummt, und so sind Zinspeak mit nachfolgender Zinswende zumindest für dieses Jahr fraglich.
Microsoft macht mit ChatGPT Alphabet reichlich Druck
Der noch größere Haken ist, dass sich der Motor der schönen neuen KI-Welt bei Alphabet harter Konkurrenz ausgesetzt sieht. Genauer gesagt sehen Anleger zunehmend die Gefahr, dass Microsoft mit seiner strategischen Beteiligung bei OpenAI Alphabet enteilt. Dass das KI-Sprachmodell Lamda auch als “Alphabets ChatGPT-Variante” bezeichnet wird, zeigt, dass der Google-Konzern nicht allein auf weiter Flur ist. Erst gestern Abend gab Microsoft den neuen Entwicklungsstand bei Bing bekannt. Bei der Suchmaschine soll die neueste Version von ChatGPT zum Einsatz kommen, die komplexe Anfragen bearbeiten kann und dabei auch aktuelle Informationen verarbeitet. Das war bisher anders. Die derzeit im Einsatz befindliche Version von ChatGPT verarbeitet nur bis 2021 verfügbare Daten und Informationen. Für Alphabet höchst unangenehm ist, dass offenbar eine Vorführung seines Chatbots Bard nicht gut verlief. Bloomberg berichtete unter Berufung auf Teilnehmer, dass sich Bard diese Woche bei recht einfachen Fragen (zum James Web Teleskop) verheddert habe.
Alphabet Aktie verliert bis zu neun Prozent
Diese Mittwoch-Episode hat zunächst nur anekdotischen Wert. Alphabet hat beachtliche KI-Kapazitäten, und das Rennen um die Pole Position ist natürlich nicht gelaufen. Die Ereignisse in dieser Woche zeigen allerdings, dass KI für Alphabet beides sein kann: Zukunft und Bedrohung. Hinter den Verlusten von bis zu neun Prozent am Mittwoch steht die Befürchtung von Anlegern, dass Google nur scheinbar unangreifbar ist. Sie sehen den Verlust der Monopolstellung Googles als real an – und fangen an, dieses Risiko in ihre Anlageprämissen einzufaktorieren.
Disclaimer
The Digital Leaders Fund und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Alphabet. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.
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Eine Antwort
Interessant wäre, welche Erfahrungen Nutzer mit ChatGPT gemacht haben (bin nicht bereit meine Telefonnummer zu hinterlassen, um Dienstleistung zu nutzen). Meine Versuche mit Bing seit letzten Mittwoch sind gelinde gesagt mehr als ernüchternd. Ich habe kein einziges relevantes Ergebnis erhalten. Keine Frage steht die Revolution vor der Tür; aber die stand auch mit der DARPA Entwicklung des Internet in den 60er Jahren vor der Tür und bis zur Kommerzialisierung hat es bis 1990 gedauert und in full swing kam es (wohl erst) im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre. Der Entwicklungszyklus ist sicher etwas komprimierter zur Zeit, aber der Hype ist derzeit (wahrscheinlich) größer als die Wirklichkeit. Ähnlich wie in der South Sea Bubble werden einige (wenige) sehr viel Geld verdienen, aber eine deutlich größere Population viel Geld verlieren.