Anleihen sind neben Aktien die zweite große Anlageklasse in diversifizierten Anlageportfolios. Seit Jahren haben sie nicht nur als Risikopuffer für Aktien einen tollen Job gemacht, sondern haben auch eine phantastische Performance. Umso brutaler ist heute das Erwachen. Vom Aufstieg und Fall eines stillen Stars. Der erste Teil unserer Serie zu Anleihen Investments im Jahr 2022.
Anleihen waren in der Vergangenheit nicht nur eine sichere Sache, sondern so etwas wie eine Wundertüte. Traditionell fungieren Anleihen als Puffer für Aktienrisiken. Sichere Staatsanleihen wurden seit jeher im Portfoliokontext als Sicherheitsanker verwendet. Die Mechanik ging so: In Phasen steigender Unsicherheit verabschieden sich Schutzsuchende Anleger von riskanten Investments wie Aktien und steuern den sicheren Hafen der Staatsanleihen an. Staaten mit stabilen Finanzen gelten als “unsinkbar”. Dass sie ihre Schulden bedienen, gilt als sicher wie das Amen in der Kirche.
Zwar ist der Erwartungswert für die Aktien-Performance langfristig höher als für Anleihen, aber das ist eine Funktion ihres Risikos. Unternehmen können pleite gehen, daher verlangen Anleger eine Risikoprämie. Ergo ist eine bestimmte Quote von Anleihen im Portfolio in der klassischen Lehre ein Muss. Anleihen führen zu einem besseren Verhältnis zwischen Ertrag und Risiko. Profis sprechen vom „Efficient Frontier“. Das ist ein technischer Terminus, der den optimalen Ertrag pro Risikoeinheit beschreibt. (Risiko wird hier als Standardabweichung bzw. Volatilität verstanden.)
Anleihen haben zwei entscheidende Funktionen aus Anlegersicht. Da ist einmal die Diversifikationswirkung, deren Hintergrund wir oben beschrieben haben. In der Praxis war die diversifizierende Wirkung von Bundesanleihen in Aktienportfolios in den vergangenen 20 Jahren nichts weniger als beeindruckend. Nur Gold kam annähernd – aber wirklich nur annähernd! – an die Diversifikationsleistung von sicheren Anleihen heran. Mischfonds, eine der beliebtesten Fondskategorie in Deutschland, haben den Anspruch, genau das zu leisten: den richtigen Mix aus Rendite und Sicherheit zu gewährleisten. Was war in der Vergangenheit, und was verspricht die Zukunft?
Anleihen waren auch als Renditebringer der Hit
Kommen wir nun zur zweiten Eigenschaft von Anleihen, die Anleger mögen: sie liefern eine laufende Rendite. Anleihen sind eigentlich verbriefte Schulden. Sie bringen also Zinsen. Während die Aktienrendite zu einem bestimmten Teil aufgrund der Phantasie von (optimistischen) Investoren zustande kommt, geht es bei Anleihen ziemlich mathematisch zu. Grob gesagt drückt die aktuelle Rendite einer Anleihe aus, was Anleger am Ende vereinnahmen. Rentiert eine fünfjährige Anleihe mit 2,0 Prozent, dann bedeutet das, dass der Anleger, der sie aktuell hält, jedes Jahr eine Verzinsung von 2,0 bis zur Fälligkeit bekommt. Danach zahlt der Emittent das geliehene Geld (“die 100”) zurück.
Was für die Theorie unerheblich, für die Praxis des Anleihen-Investierens aber höchst relevant ist: Anleihen werden oft nicht bis zur Fälligkeit gehalten, sondern werden – ähnlich wie Aktien – gekauft und verkauft. Daher ist für Anleger relevant, dass die Kurse von Anleihen bis zur Fälligkeit schwanken. Wichtigster Faktor, der die Kurse von Anleihen beeinflusst, ist der Marktzins, den die Notenbanken festlegen. Das Verhältnis zwischen den Renditen von Anleihen und deren Kursen sieht wie folgt aus:
Ändert die Notenbank den Marktzins (was aus sehr verschiedenen Gründen passieren kann), dann hat dies Einfluss auf die Attraktivität einer Anleihe. Dazu ein Beispiel: Aktive Investoren, die eine Anleihe mit einer Anfangsrendite von 2,0 Prozent besitzen, werden diese Anleihe verkaufen, wenn der Zins steigt. Emittiert nun der Staat eine vergleichbare Anleihe, wird er eine höhere Verzinsung bieten, sagen wir, 2,5 Prozent. Dann werden Anleger die alte Anleihe verkaufen und stattdessen in die Anleihe mit dem Kupon von 2,5 Prozent investieren. Dann fällt der Kurs der alten Anleihe, weil sie weniger attraktiv ist.
Umgekehrt steigt in unserem Beispiel der Kurs der alten Anleihe, die einen Kupon von 2,0 Prozent aufweist, wenn der Marktzins nicht auf 2,5 Prozent steigt, sondern auf 1,5 Prozent fällt. Denn dann ist die alte Anleihe attraktiver für Investoren als neu begebene Anleihen.
Das zweite Szenario beschreibt die Situation am Anleihenmarkt zwischen den 1980-er Jahren und Ende 2021: Aus verschiedenen Gründen waren die vergangenen 40 Jahre von einem kontinuierlichen Renditerückgang geprägt. Die Zinsen sind gefallen und gefallen. Der Marktzins in der Eurozone liegt seit 2016 bei null Prozent. Das spiegelt sich im Kursverlauf des Deutschen Rentenindex, kurz: REX, wider. Er legte seit den 1990-er Jahren bis Anfang 2022 kontinuierlich zu, wie die untere Grafik zeigt.
Deutsche Anleihen: Die scheinbar ewig währende Anleihenhausse
Die Grafik zeigt, dass Bundesanleihen in den vergangenen Jahrzehnten einen riesen Lauf hatten. Bundesanleihen schützten Aktienanleger also nicht nur vor der Volatilität des Aktienmarkts, sondern sie haben auch eine hervorragende Performance geliefert.
Apropos Performance: Vergleicht man die Performance des REX einschließlich der Zinszahlungen (REX P) mit dem DAX, stellt man erstaunt fest, dass Anleihen seit Anfang des Jahrtausends Aktien outperformt haben. Ein hypothetisches Investment von 10.000 Euro in den REX P hätte zwischen Anfang 2000 und Ende März 2022 eine Endsumme von 21.174 Euro ergeben, verglichen mit 20.720 Euro, die man mit einem DAX-Investment erzielt hätte. Der untere Chart zeigt an, dass der deutsche Leitindex wiederholt (vor allem 2000 bis 2003; 2007 bis 2009) unter schweren Korrekturen litt, während deutsche Anleihen von den stetig fallenden Zinsen profitierten.
Anleihen-Performance in der Zukunft: Kein Zurück in die Vergangenheit
Jetzt kommen wir zur Welt von heute, in der die Zinsen in der Eurozone bei null und die Anleihenrenditen bis vor wenigen Wochen im negativen Bereich notierten. Die Rendite aller umlaufenden Bundesanleihen lag zwischen 2019 und Anfang 2022 im Minus. Die Bundesrepublik Deutschland bekam über alle Laufzeiten hinweg also Geld dafür, dass sie Schulden aufnahm. Das spiegelt die phantastische Performance der Vergangenheit wider, die wir oben beschrieben haben.
Aber die Entwicklung in diesem Jahr zeigt: Bei Anleihen gilt eben nicht das Aktien-Motto: the Sky is the limit. Wir sind Zeugen einer absoluten Anomalie. Das ohnehin deflationäre wirtschaftliche Umfeld, die Eurokrise und die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank haben den Zins abgeschafft. Wer sich in den vergangenen Jahren eine sichere Bundesanleihe ins Depot legte, wusste, dass er am Ende der Laufzeit weniger Geld zurückerhalten würde, als er eingezahlt hatte. Bei den richtungsweisenden zehnjährigen Benchmark-Anleihen der Bundesrepublik lag der Tiefpunkt bei minus 0,57 Prozent Ende 2020. Wer seinerzeit zuschlug wusste, dass er Jahr für Jahr 0,57 Prozent der investierten Summe nominal verlieren würde.
Normalisierung der Zinsen – Desaster für Anleihen
Erst im Januar 2022 hat sich das verändert. Inzwischen rentieren zehnjährige Bundesanleihen wieder bei 0,63 Prozent. Das ist der höchste Stand seit Mitte 2018. Ausgangspunkt ist die Zinswende in den USA, wo die Notenbank FED auf die stark gestiegene Inflation reagiert und angefangen hat, die Zinsen zu erhöhen. Zuletzt hatte Fed Chef Jerome Powell angekündigt, die Zinsen unter Umständen noch stärker zu erhöhen, als das ursprünglich erwartet worden war. Inzwischen wird am US-Geldmarkt ein Zinsanstieg auf 2,15 Prozent Ende 2022 erwartet; für die Eurozone geht man bis Jahresende von einem Niveau beim Einlagensatz von 0,5 Prozent (von aktuell minus 0,5 Prozent) aus.
Das hat die Rentenmärkte weltweit in Aufruhr gebracht. Wie die untere Grafik zeigt, sind die meisten Anleihen-Indizes in diesem Jahr (jeweils in der lokalen Währung) tief im Minus. Europäische Anleihen haben über sechs Prozent in diesem Jahr verloren. Auch globale, japanische und US-amerikanische Anleihen mussten Verluste von über fünf Prozent hinnehmen. Das Niveau mag für Aktienanleger Peanuts sein, für Bonds sind diese Einbußen erheblich.
Anleihen-Indizes verbuchen hohe Verluste 2022
Für Fans der Anleihen-Diversifikation dürfte die Erfahrung in diesem Jahr erst recht eine schockartige Wirkung gehabt haben: Die Volatilität ist auf der Aktienseite infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine und der nachfolgenden hohen Energiepreise deutlich gestiegen. Doch bemerkenswerterweise waren die Verluste auf der Anleihenseite in den vergangenen drei Monaten höher als auf der Aktienseite. Per 28. März verloren Euro-Renten knapp sechs Prozent. Damit waren Anleihenverluste in einem klassischen Risk-off Markt höher als Aktienverluste; der MSCI World verlor nur 5,2 Prozent. Eine positive Aktien-Renten-Korrelation in volatilen Marktphasen mit höheren Drawdowns bei Bonds – das nagt am Selbstverständnis des Rentenmarkts!
Ausblick: Anleihen-Performance durch die reale Brille betrachtet
Wer den Zinsanstieg durch die Brille des typischen Anleihen-Investors betrachtet, könnte zum Schluss kommen, dass die Sache nicht so schlimm ist. Schließlich werden Anleihenrisiken wieder mit einer Prämie vergütet – dass Bunds wieder positiv rentieren, war der Financial Times sogar einen Kommentar wert (freilich nicht ohne eine Prise britischer Ironie). Wer seine Anleihe bis zur Fälligkeit hält, braucht Zinsänderungsrisiken, die sich bei länger laufenden Anleihen zwischenzeitlich in Gestalt schmerzlicher Verluste einstellen können, nicht zu fürchten.
Doch leider ist es nicht so einfach: Die Realrenditen, die seit geraumer Zeit negativ sind, sind angesichts der stark gestiegenen Inflation im Laufe des vergangenen Jahres dramatisch eingebrochen. Zwischen Juni 2021 und Februar 2022 legte die Teuerungsrate von 2,3 Prozent auf 5,1 Prozent zu. Und dabei ist der größte Inflationssprung, der nach dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine einsetzte, noch nicht in der Berechnung enthalten. Der DIW-Präsident Marcel Fratzscher hält schlimmstenfalls eine Teuerungsrate von zehn Prozent in diesem Jahr für denkbar. Stark steigende Inflationsraten setzen Investoren in Nominalwert-Investments stark zu. Die Inflation in der Eurozone liegt derzeit bei über fünf Prozent; da hilft es Anleihen-Investoren wenig, wenn die Nominalrenditen heute bei 0,6 Prozent statt bei null oder nahe null Prozent liegen.
Die desaströsen Folgen des Inflationsanstiegs zeigen sich besonders eindrücklich, wenn man sich die Realrenditen von Tagesgeldangeboten von Banken in Deutschland anschaut. Aktuell werden laut dem Portal Tagesgeldvergleich.net im Schnitt 0,03 Prozent Zinsen für Tagesgeldkonten angeboten. Was über weite Strecken der vergangenen Jahre nur leicht negative Renditen brachte, hat sich seit Ende 2021 zu einem regelrechten Desaster für Sparer entwickelt. Im laufenden Jahr dürfte sich diese Entwicklung weiter verschärfen. Nominalwert-Investments sind in diesen Zeiten reale Wertvernichter – zumindest solange, bis die Zinsen wieder auf deutlich höhere Niveaus steigen und sich die Energiepreise auf ein normales Maß einpendeln.
Absturz der Realrenditen beim Tagesgeld
Im zweiten Teil unserer Analyse des Bond-Markts steigen wir tiefer in die Materie ein und gehen auf die makroökonomischen Implikationen von steigenden Zinsen in Zeiten galopierender Inflation ein.
Disclaimer
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.
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