China Aktien: Die Chancen und Risiken für Anleger im Reich der Mitte

2. Juli 2021

China Aktien

International orientierte Anleger kommen heute an China Aktien kaum vorbei. Die chinesische Wachstumsstory lockt. Doch was finden sie vor, wenn sie in China Aktien investieren wollen? Weiter gefasst stellt sich sogar die Frage, welche Eigenschaften bestehende Emerging Markets Portfolios aufweisen. Denn China ist überall präsent. Die Chancen und Risiken für Aktien Anleger im Reich der Mitte.

Einführung: China als Investmentziel

Für Aktienanleger, die es gewohnt sind, nach klaren Rendite-Risiko-Parametern zu handeln, ist ein China-Investment mit einer weiteren Research Dimension verbunden: Die Analyse politischer Strömungen, da diese einen großen Einfluss auf den Kapitalmarkt und seine Funktionsweise haben. Was sind die aktuellen Pläne der  Staats- und Parteiführung Chinas? Der tiefe Fall von Jack Ma, der es gewagt hatte, die staatlichen Banken bzw. Regulierungsbehörden zu kritisieren, zeigt, dass Unternehmer (und Investoren) mitunter auf dünnem Eis gehen.

Der Kapitalmarkt dient als Mittel zur Stabilisierung des politischen Systems und zur Machtprojektion der zunehmend autokratisch regierenden Führung um Präsident Xi Jinping. Das hat Folgen nicht nur für die Corporate Governance auf Unternehmensebene, sondern sollte in das Risikomanagement von Investoren aus den Industrieländern Eingang finden.

Wer das nicht tut, kann mit den – für Anleger durchaus vertrauten – unbeabsichtigten Konsequenzen zu tun bekommen, die aus unvollständigen Risikoanalysen resultieren.

Aktien China: Der Versuch einer Annäherung

Wohl kaum ein Land hat in den vergangenen Jahren die Phantasie von Investoren so geweckt wie China. Superlative gibt es, wohin man blickt. Kaufkraftparitätsbereinigt ist China bereits seit 2016 die weltgrößte Volkswirtschaft der Welt. Seit Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung und Öffnung Chinas im Jahr 1978 lag das jährliche BIP-Wachstum bei knapp zehn Prozent. Auch wenn die Zeit des rasanten Wachstums schon seit 2010 zu Ende gegangen ist, gilt ein Wachstum von 2,3 Prozent im Corona Jahr 2020 als sehr beachtlich. (Absolut gesehen war es das niedrigste Wachstum seit 1976, als das BIP um 1,7 Prozent schrumpfte.)

Grafik: Jährliches BIP Wachstum Chinas seit 1990 (Quelle: Weltbank)

Der Anteil am Welt-BIP ist allein seit 2010 von 13,7 Prozent auf 18,3 Prozent im Jahr 2020 gewachsen und soll Schätzungen zufolge im Jahr 2026 die 20 Prozent Schwelle überschreiten.

Grafik: PPP-adjustierter Anteil am Welt-BIP (Quelle: OECD)

China ist sowohl der größte Importeur als auch der größte Exporteur von Gütern in der Welt. Die Lebenserwartung ist seit Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 von 40 auf 76,7 Jahre (Männer) bzw. 79,1 Jahre (Frauen) gestiegen. Auch wenn das Land mit einem Pro-Kopf-BIP von 10.500 Dollar (2020) noch ein Middle Income Country ist, zählt der Aufstieg der chinesischen Mittelklasse zu einem der wichtigsten Aspekte des Aufstieg Chinas.

Träger des Fortschritts sind private Unternehmen (POE). Die Zahlenkombination 60/70/80/90 wird häufig verwendet, um den Beitrag des Privatsektors zur chinesischen Wirtschaft zu beschreiben: Er trägt 60 Prozent zum chinesischen BIP bei, ist für 70 Prozent der Innovationen und 80 Prozent der städtischen Beschäftigung verantwortlich und schafft 90 Prozent der neuen Arbeitsplätze. (Private Unternehmen sind auch für 70 Prozent der Investitionen und 90 Prozent der Exporte verantwortlich.)

„Made in China 2025“ gibt den Takt vor

Heute geht es um viel mehr als um die Etablierung eines neuen Wirtschaftsmodells, weg vom kapitalintensiven Produktions- und Exportmodells hin zur Steigerung des Binnenkonsums. Geht es nach den Plänen der Führung in Beijing, dann wird das Land in ausgewählten Zukunftsbranchen bis zum Jahr 2049 die globale Technologieführerschaft übernehmen. Die Initiative „Made in China 2025“ sieht vor, dass sich China zu einer wichtigen Kraft in zehn Branchen etabliert, bei denen es vor allem eine erfolgreiche Digitalisierung ankommt. Hierbei kommen POE wie Alibaba, Baidu, Huawei und Tencent Schlüsselfunktionen, etwa im Bereich KI, zu.

Spiegelbildlich dazu soll diese Innovationsoffensive zugleich die Effizienz staatlicher Konzerne (SOE) verbessern. POE kommt hier eine wichtige unterstützende Rolle zu. Dass hier im Zuge der nationalen, staatlich gelenkten Innovationsstrategie die Grenzen zwischen staatlichen und privaten Unternehmen verwischen, dürfte ganz im Sinne der chinesischen Führung sein.

Die KPC hat immer Recht

Ermöglicht wird der umfassende Klammergriff auch durch die zunehmende Beeinflussung der POE Unternehmensführungen durch die Kommunistische Partei Chinas (KPC). Auch in Unternehmen, in denen staatliche Unternehmen keine Mehrheit halten, wird die Bildung kommunistischer Zellen gefördert. Das hat bereits jetzt Konsequenzen.

So sprang kurzerhand der Elektroautohersteller BYD als Smartphone-Hersteller für den von der US Trump Administration unter Druck gesetzten Telekom-Konzern Huawei ein.

Made in China Porgramm
Grafik: Schwerpunktindustrien gemäß des „Made in China 2025“ Programms (Quelle: Merics Papers on China, No. 8, Juli 2019

Für Anleger übersetzt sich das rasante Wachstum Chinas in viele Investment Stories: Von „Werkbank der Weltwirtschaft“ in den Nullerjahren zum High Tech Standort und Konsum-Mekka, als das China perspektivisch gezählt wird. Es wäre ermüdend und würde auch zu weit führen, an dieser Stelle alle Aspekte der Investment-Gelegenheiten in China aufzuzählen. Halten wir also fest, dass die Rahmenbedingungen im Vergleich zu anderen Schwellenländern günstig sind.

So weit die Chancen einerseits … 

Andererseits ist die Öffnung Chinas und die Einführung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems nur die eine Seite der Medaille. Die andere, nicht weniger bedeutsame ist, dass die Wirtschaft Chinas staatlich gelenkt ist. Dabei steht weniger das längst ausgehöhlte und daher unglaubwürdige Lippenbekenntnis zum Kommunismus im Vordergrund, sondern ein autoritäres Regime, das in der Wirtschaftspolitik ein staatskapitalistisches System etabliert hat.

Die Führung unter Präsident Xi Jinping sieht die Wirtschaft Chinas als Instrument zur Förderung der Interessen der Kommunistischen Partei Chinas (KPC). Dass die Führung diese Interessen auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen bereit ist, bekamen die ernüchterten Beobachter mit der Rede Xi Jinpings anlässlich der 100-Jahr-Feier der KPC mit Brief und Siegel.

Rollback des Westens zeichnet sich ab

Sowohl die Europäische Union als auch die USA und Japan haben mit wirtschaftlichen und – letztere beiden – mit geopolitisch-militärischen Rollback Maßnahmen reagiert. Auch wenn die EU sich vorerst auf Symbolpolitik beschränkt, so hat der Westen inzwischen ernüchtert zur Kenntnis genommen, dass die Einführung der marktwirtschaftlichen Ordnung in China eben nicht mit einer Demokratisierung einhergeht. China nutzt vielmehr die Zusammenarbeit mit dem Westen, um seine hegemoniale Politik regional und international durchzusetzen.

Anleger in China und Emerging Markets generell müssen also beachten, dass die Politik eine entscheidende Rolle für die Rahmenbedingen spielen kann. Wer mit Fug und Recht die Ergebnisse der Bundestagswahlen als irrelevant für sein DAX Investment abtut, muss mit Blick auf China umdenken: Der Kollisionskurs zwischen China und den westlichen Industrieländern ist für Kapitalanlagen höchst relevant. Einen kleinen Vorgeschmack könnte dabei die plumpe und letztlich ineffektive Einführung von tarifären Handelsschranken durch die US Trump Administration gegeben haben. Die Biden Administration hält jedoch Kurs; more to follow, dürfte also das Motto sein.

Der chinesische Aktienmarkt: Geschichte und Struktur

Die Struktur des chinesischen Aktienmarkts ist nur durch die Geschichte der kommunistischen Enteignung und der schrittweisen Liberalisierung des Finanzplatzes ab 1990 zu verstehen. Zwischen 1949 und 1990 gab es in China keine öffentlichen Märkte. Der Sieg der KPC im chinesischen Bürgerkrieg 1949 setzte der langen Historie des Finanzplatzes Shanghai, die auf das Jahr 1866 zurückgeht, ein jähes Ende.

Erst 1990 ging es weiter. Seitdem arbeitet die Börse Shanghai wieder (gelistet waren damals zum Start acht Unternehmen); 1991 startete dann die Börse Shenzhen den Handel. Damals waren – und sind noch immer – die beiden Festlandsbörsen vorwiegend von lokalen Investoren dominiert. Doch China öffnet sein Finanzsystem. Zunächst nur selektiv für ausländische institutionelle Investoren (ab 2002 im Zuge des Programms für Qualified Foreign Institutional Investors, QFII). Uneingeschränkten Zugang zu chinesischen Unternehmen auf dem Festland gab es vor allem an der Börse in Hongkong, die ab 1993 den Handel mit sogenannten H-Shares (siehe unten) startete.

Shenzhen: Das neue Silicon Valley Chinas

Diese beiden dynamische wachsenden Börsenplätze haben dem traditionellen Handelsplatz für chinesische Aktien, die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong, längst den Rang abgelaufen. Shenzhen ist inzwischen mit knapp 2.400 Unternehmenslistings der größere der beiden Marktplätze, Shanghai kommt auf 1.800 gelistete Unternehmen.

Weltweit stehen Shenzhen und Shanghai nach Handelsvolumen auf Rang vier bzw. sechs. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass ausländische Investoren erst seit 2014 bzw. 2016 einen nennenswerten Zugang zu den Festlandsbörsen erhalten haben. Noch immer sind diese beiden Börsen von lokalen Investoren geprägt. Wie die untere Statistik zeigt, ist die Hongkong Stock Exchange als Standort für chinesische Unternehmen abgeschlagen auf Rang zwölf der weltweit größten Börsen.

Grafik: Rangliste der größten Börsen nach Handelsumsatz (Quelle: Statista)

Der chinesische Aktienmarkt: Onshore und Offshore

Anleger haben heute, seit Beginn der Öffnung des chinesischen Festlandsaktienmarkts die Qual der Wahl. Es hat sich in den vergangenen Jahren ein recht unübersichtliches Konglomerat an Handelsplätzen herausgebildet, das wir kurz zusammenfassen wollen:

Das Onshore-Segment

Das bereits erwähnte wichtigste Segment sind die beiden Börsen Shenzhen und Shanghai, wo die sogenannten A-Shares gelistet sind und die auf Renminbi (RMB) lauten. Mit dem sogenannten Connect Programm, das das Festland über die Börse in Hongkong verbindet, ist dieses Segment in den vergangenen Jahren deutlich stärker mit der internationalen Finanzwelt verbunden worden als zuvor.

Allerdings bestehen nach wie vor regulatorische und handelstechnische Hindernisse für die vollständige Integration von Festlandsaktien in das globale Finanzsystem. A-Shares werden etwa nur zu 20 Prozent von globalen und regionalen MSCI Benchmarks berücksichtigt (siehe weiter unten).

Deutlich weniger Bedeutung hat das Segment der B-Shares. Im Unterschied zu A-Shares sind diese Unternehmen in Fremdwährungen gelistet. In Shanghai lauten die Kurse auf US-Dollar, in Shenzhen auf Hongkong-Dollar. Dieses Segment steht ausländischen Investoren offen. Es handelt sich allerdings über ein recht kleines Segment und hat seit der Erweiterung das Hongkong-Shenzhen bzw. Hongkong-Shanghai Connect Programms weiter an Bedeutung verloren, zumal diese Aktien in wenigen wichtigen Benchmarks in signifikantem Umfang vertreten sind.

Die „alte China-Welt“: H-Shares und Red Chips

Hier bewegen wir uns häufig, aber längst nicht nur in Legacy Gefilden. Hier tummeln sich typischerweise westliche Investoren, die lange Zeit keinen anderen Zugang zu China Aktien hatten. Es lassen sich etliche Segmente unterscheiden:

H-Shares umfassen chinesische Unternehmen, die an der Börse Hongkong gelistet sind und auf Hongkong-Dollar lauten. Viele dieser Unternehmen sind ebenfalls im A-Shares-Segment notiert. Eine nach wie vor bestehende Kuriosität: Da Festlands-Aktien nach wie vor eher von chinesischen Privatanlegern gehandelt werden und noch nicht uneingeschränkt in das internationale Finanzsystem eingebunden sind, notieren die Aktien identischer Unternehmen nicht zu einheitlichen Kursen; das Sentiment von Festlands-Investoren kann zu beträchtlichen Auf- und Abschlägen von A- gegenüber H-Shares führen.

Red Chips werden in Hongkong gehandelt. Sie sind Unternehmen, die unter Kontrolle von Organisationen oder Firmen stehen, die dem chinesischen Staat, den Provinzen oder den Regionen der Chinesischen Volksrepublik gehören. Hier handelt es sich also um das Terrain der sogenannten SOE.

Das Paradigma der Zukunft? SOE versus POE

Doch das alte Onshore-Offshore Paradigma wird zunehmend von einer neuen Trennlinie ersetzt: SOE versus POE. Etliche Handelsplätze, etwa Hongkong und Shanghai, sind die Listing-Orte der klassischen großen staatseigenen Finanz- und Industrieunternehmen. Vorwiegend in Shenzhen finden sich dagegen die wachstumsstarken Unternehmen, die privat geführt werden.

Die Region an der Küste unweit von Hongkong wurde früh als Innovations- und Dienstleistungszentrum gefördert, und etliche privat geführte Unternehmen, wie etwa Tencent, wurden in dieser auch als Silicon Valley Chinas bekannten Region gegründet.

Shenzhen und ChiNext als neue Segmente für High Growth Aktien

An der Börse Shenzhen findet sich auch das Segment ChiNext, das 2009 ins Leben gerufen wurde und an dem vorwiegend innovative Technologieunternehmen notiert sind. Auch das trägt zum Ruf Shenzhens als Technologie Hub bei.

Doch auch an anderen Börsen finden sich Wachstumsunternehmen. Stichwort Tencent: Das Unternehmen aus Shenzhen wurde in Hongkong gelistet. Auch bei den sogenannten P-Chips finden sich Wachstumsfirmen, deren Sitz sich außerhalb Chinas befindet, die in Hongkong gehandelt werden und einige Kriterien erfüllen müssen mit Blick auf den Umsatz, den sie in China erwirtschaften, die Reichweite der chinesischen Eigentümerstruktur und die regionale Konzentration ihres Firmenbesitzes. Wichtig ist dabei, dass sie vorwiegend in Privatbesitz sind.

Es finden sich weitere chinesische Unternehmen an Offshore-Standorten, vor allem in den USA. Prominentestes Beispiel ist hier der Konzern Alibaba, der bereits 2014 an der NYSE gelistet wurde.

Indexanbieter setzen entscheidende Marken

Etliche Indexanbieter haben diese Wachstumsunternehmen identifiziert. Etwa WisdomTree, das seit April 2015 den WisdomTree China ex-State-Owned Enterprises Index rechnet. Hier finden sich Unternehmen, die nicht im staatlichen Besitz sind, in China gegründet oder ansässig sind und ihre Aktien an der Börse in Hongkong notiert haben. Infrage kommen auch Unternehmen, die ihren Sitz in China haben oder dort gegründet wurden und hauptsächlich an einer US-Börse gehandelt werden.

Darüber hinaus sind im WisdomTree Index die fünfzig größten privaten chinesischen Festlandsunternehmen, die Teil des Hongkong-basierten Connect-Programms sind. Ein Schelm, wer vermutet, dass diese Kriterien so gestrickt wurden, um Unternehmen wie Tencent, Alibaba, Baidu, Meituan, Ping An Insurance zusammenzubringen.

Die Top Holdings des WisdomTree China ex SOE Index (Quelle: WisdomTree)

Auch der Indexanbieter MSCI ist mit von der Partie. Mit dem seit Mai 2018 berechneten MSCI China All Shares IMI Tech Index bekommen Anleger Zugang zu Unternehmen aus den verschiedenen On- und Offshore Segmenten, „von denen erwartet wird“, dass sie signifikante Umsätze aus der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen aus technologischen Innovationen erzielen. Genannt werden die Themen Internet und Digitalisierung, Mobilität, autonome Technologie, industrielle Automatisierung und digitale Gesundheitsversorgung. Auch im MSCI Index, aus dem sich weitere Benchmarks ableiten, sind Unternehmen wie Meituan, Alibaba, Tencent, Pinduoduo und Baidu prominent vertreten.

Und MSCI wäre nicht MSCI, wenn es nicht gleich eine ganze Batterie an Themen Indizes lancieren würde, die sich ausschließlich auf innovative Branchen und Sektoren konzentrieren. Vermutlich nicht zufällig lassen sich diese Themen den Innovationszielen der chinesischen Führung im „Made in China 2025“ zuordnen. Es fehlt nicht viel Phantasie, um sich einen Rollout einer Flut neuer Fonds und ETFs vorzustellen, die in den nächsten Jahren an den hiesigen Kapitalmärkten aufgelegt werden dürften.

Tabelle: MSCI Tech Themen Indizes

An dieser Stelle müssen wir aber etwas Wasser in den POE-Wein gießen. Zwar haben SOE den Ruf, ineffizient zu wirtschafte und erzielen oft eine schlechtere Kapitalrendite. Sie haben aber den Vorteil, dass sie sich im Zweifel der Unterstützung des Staates sicher sein können.

Bisher hat die chinesische Führung überschuldete Staatsunternehmen, die auch wichtige soziale Funktionen erfüllen, viel eher geschützt als POE. Diese Ungleichbehandlung könnte inzwischen auch dazu geführt haben, dass sich in manchen Bereichen die finanzielle Performance von POE gegenüber SOE verschlechtert. An dieser Stelle sei an die politische Rollenzuweisung für POE erinnert: Sie sind Teil des Projekts Großchina und sie werden im Zweifel eher vor dem politischen Herrn in Beijing kuschen als vor dem hoffnungsfrohen deutschen Aktionär aus Düsseldorf.

Grafik: Finanz-Performance SOE versus POE (Quelle: Brussels European and Global Economic Laboratory (Breugel), Policy Contribution Issue n˚05/21, February 2021)

China als Teil der Emerging Markets oder China and the Rest?

Die Entwicklung der Struktur der Emerging Markets in den vergangenen 15 Jahren ist ein Spiegel des rasanten Aufstieg Chinas und der kleineren asiatischen Tigerstaaten. Das veranschaulicht die Rolle dieser Region im MSCI Emerging Markets Index. Damals, 2006, hatten die asiatischen Schwellenländer ein Gewicht von 22 Prozent im Schwellenländer Weltindex, dicht gefolgt von Lateinamerika mit knapp 18 Prozent und Osteuropa-Aktien mit 14,3 Prozent. Nahost-Aktien machten damals knapp drei Prozent aus.

Die orangefarbene Linie in der unteren Grafik stellt das Gewicht chinesischer Aktien als Teilbereich der asiatischen Schwellenländer dar (seit 2018 einschließlich A Shares); Mitte 2006 waren China-Titel noch mit lediglich 9,4 Prozent im MSCI Emerging Markets Index gewichtet.

Grafik: Der Aufstieg Chinas und Ostasiens im MSCI Emerging Markets (Quelle: MSCI, Morningstar)

15 Jahre später stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Asiatische Schwellenländer dominierten per Ende Mai den Index mit knapp 52 Prozent. China macht mit 42 Prozent den Löwenanteil aus. Lateinamerika ist inzwischen nur noch mit 7,5 Prozent gewichtet, Osteuropa ist mit 4,3 Prozent sogar hinter Nahost-Aktien zurückgefallen, die wiederum zeitweilig überhaupt nicht im Index vertreten waren und nur dank saudi-arabischer Titel derzeit wieder mit 4,6 Prozent „dabei sind“.

Der „China Moment“: A Shares reif für den Index

Für China-Aktien war die Entscheidung des Indexanbieters MSCI im Juni 2017, China A-Shares in globalen und regionalen Schwellenländer Aktienindizes schrittweise zu integrieren. Ab Mai 2018 wurden in insgesamt vier Schritten Festlandsaktien in den MSCI Emerging Markets aufgenommen. Zunächst wurden fünf Prozent der A-Aktien als „Index-tauglich“ definiert. Das A Shares Universum wurde dann in drei weiteren Fünf-Prozent-Schritten ab Mai 2019 auf 20 Prozent des relevanten Universums von Festlandsaktien erweitert. 

Von 222 A-Aktien im Mai 2018 erhöhte sich die Zahl der Festlandsaktien im MSCI Emerging Markets auf 421 Titel im Mai 2019. Das schließt auch Mid Caps sowie 27 Aktien aus dem ChiNext Segment ein.

Technische, keine prinzipiellen Grenzen für A Shares

Interessant ist jedoch, dass sich der Indexanbieter MSCI vorerst dagegen entschieden hat, das Universum der A-Shares – und damit letztlich deren Gewicht in den großen Indizes – über 20 Prozent hinaus zu erweitern. MSCI beruft sich dabei auf den Input von institutionellen Investoren. Diese haben einiges zu bemängeln: Die Begrenzung des täglichen Handels auf bestimmte Quoten, unterschiedliche gesetzliche Feiertage in Hongkong und in Festlandchina, die den Handel verzerren könnten, sowie Einschränkungen beim Day Trading und der Wertpapierleihe.

Es ist keine Prophetie, dass diese eher technischen Hürden allenfalls temporärer Natur sein werden und das Gewicht Chinas an den Aktienmärkten perspektivisch weiter zunehmen wird. Vielleicht wird ja die Dominanz der USA im MSCI World in wenigen Jahren parallelisiert von einer entsprechenden Unwucht im MSCI Emerging Markets?

Performance und Korrelationen: Mehr als Western von gestern?

Kommen wir nun zur Frage der Performance und zum Risiko. Wie haben sich China Aktien bzw. die einzelnen Segmente in den vergangenen Jahren entwickelt – zueinander und im Vergleich zu Emerging Markets generell? Die untere Übersicht zeigt, das chinesische Aktien seit 2016 sehr gute Zeiten (2017, 2020), aber auch sehr schlechte Zeiten (2016, 2018) gesehen haben im Vergleich zu Aktien aus Deutschland oder den USA. Das geht aus der farblichen Markierung der Zellen (je grüner desto besser, je röter, desto schlechter) hervor. 

In den vergangenen zehn Jahren fiel die Performance im Vergleich zum S&P 500, Nikkei, aber auch zum DAX insgesamt eher bescheiden aus. Angesichts der hohen Volatilität und der hohen Drawdowns sind die Risiko-adjustierten Renditen noch bescheidener. China-Aktien sind also auf Index Ebene keine Selbstläufer. 

Rendite-Risiko-Profil von China Aktien der vergangenen 10 Jahre
Rendite-Risiko-Profil von China Aktien der vergangenen 10 Jahre

Beachtlich war in diesem Zusammenhang die Performance 2020. In der Corona-Krise konnte der autoritäre Staat seine Handlungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellen. Mit radikalen Lockdown-Maßnahmen im Epizentrum des Infektionsgeschehens in Wuhan gelang es den chinesischen Behörden, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Folglich ist die chinesische Wirtschaft recht schnell der Krise entstiegen, und das hat auch die Aktienkurse im vergangenen Jahr beflügelt.

Die konträre Entwicklung der Aktienkurse in China zu ihren Welt-Pendants hat interessante Folgen aus Sicht von Portfoliokonstrukteuren. In den Jahren 2011 bis 2016, als China A-Shares weitgehend die Domäne chinesischer Privatanleger waren, bewegten sich deren Kurse nur eingeschränkt im Gleichklang mit globalen Aktien. A Shares, hier repräsentiert vom MSCI China A, waren nur sehr gering mit DAX, FTSE, S&P und Co korreliert, wie die untere Grafik zeigt.

Indes wiesen der marktbreite MSCI China, der seinerzeit vorwiegend Hongkong-Aktien enthielt, und erst recht der Hang Seng Index, recht hohe Gleichklänge mit globalen Aktien auf.

Korrelationsmatrix China Aktien zwischen 2011 und 2016
Korrelationsmatrix China Aktien zwischen 2011 und 2016 (Quelle: Morningstar)

Der Blick auf China A Aktien zwischen 2016 und heute weist auf den ersten Blick keine großen Unterschiede zur Vorperiode auf. Bis auf die deutlich gestiegene Korrelation des China A Index mit dem US-Leitindex S&P 500 bewegten sich die Aktienkurse in China recht wenig im Einklang mit den meisten anderen Indizes unserer Auswahl. Mit einer Korrelation von 0,37 zum DAX und 0,28 zum FTSE 100 haben China A-Aktien also erneut ihre Diversifikationsqualitäten unter Beweis gestellt. Wirklich?

Korrelationsmatrix China Aktien zwischen 2016 und 2021

Die Ursache hierfür ist klar: das Jahr 2020. Chinesische Aktien zeigten ein viel robusteres Verhalten als die meisten anderen globalen Aktienmärkte, sodass die Korrelationen in Jahr 2020 überwiegend negative Werte zu Aktien aus den Industrieländern zeigten. Nimmt man sich indes die Jahre 2017 bis 2019 vor, dann waren die Korrelation des MSCI China A mit 0,63 zum DAX 30 und 0,54 zum FTSE 100 deutlich höher.

Wer das Jahr 2020 als Ausnahmesituation sehen will, der wird die niedrigen Korrelationen der Vergangenheit als Muster ohne viel Wert ansehen. Denn die Integration chinesischer Aktien in das globale Finanzsystem schreitet voran. Und setzen sich die Investoren aus den Industrieländern erst einmal in Bewegung, wird die Diversifikationswirkung chinesischer Aktien unvermeidlich nachlassen. Das schließt natürlich nicht aus, dass chinesische Aktien outperformen werden, verwässert aber das häufig vorgebrachte Diversifikations-Argument.

Wer dagegen das Jahr 2020 als Lackmustest sehen will, der wird ob der Diversifikationsvorteile in einer entscheidenden Krisensituation künftig nicht auf China-Aktien verzichten wollen. Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. (Am Ende dürften viele Anleger das Thema Diversifikation ohnehin beiseiteschieben und den Performance-Verheißungen chinesischer High Growth Unternehmen erliegen.)

Fazit China Aktien: Ankunft in einem neuen Alltag

Wer sich dem Thema China Aktien nähert, und das werden zukünftig so gut wie alle Anleger tun, die ihre Portfolios diversifizieren müssen, kommt nicht umhin, die beachtlichen Chancen mit den ebenso beachtlichen Risiken abzuwägen.

Der Staatskapitalismus der KPC unter Xi Jinping hat spätestens im Corona Jahr 2020 seine Resilienz gezeigt. Vor allem POE gelten als Träger von Innovationen, Wachstum und wirtschaftlicher Dynamik. Vor allem im Technologiebereich sind chinesische POE inzwischen ernsthafte Konkurrenten von US-Tech-Firmen. (Über Europa spricht man nicht einmal mehr!). Vor allem SOE, aber auch die POE profitieren von der schieren Größe ihres oftmals in entscheidenden Branchen abgeschotteten Heimatmarktes und von ihrer privilegierten Stellung gegenüber ausländischen Firmen.

Und doch sind die dynamischen Privatunternehmen nur ein Ausschnitt des Marktes, auf den sich ausländische Investoren hinbewegen. Es gibt Emerging Markets spezifische Risiken wie Governance-Probleme, unklare Regulierungspraxis, die unberechenbare Richtung von Kapitalströmen.

Und dann gibt es noch die spezifischen China Risiken. Der chinesische Kapitalmarkt ist funktional ein Baustein der Großmachtpläne der KPC. Ein Aspekt des zunehmend autoritären Systems Xi Jinpings ist die Verwischung der Trennung zwischen POE und SOE. Eine Analyse des „Made in China 2025“-Programms lässt die Tragweite der Ambitionen Chinas mehr als nur erahnen.

Inzwischen haben die Industrienationen die Herausforderung der KPC zur Kenntnis und auch angenommen – wirtschaftlich, politisch, geostrategisch. Die Zeichen in den sino-westlichen Beziehungen stehen auf Sturm. Für Investoren bieten sich enorme Chancen in China, sie sollten aber ein ernsthaftes Rollback des Westens in ihre Szenarien integrieren. Schon heute werden POE mit allzu engen Verbindungen zur KPC angezählt – SOE sowieso. Der Westen ist noch auf der Suche nach einer Strategie im Umgang mit Chinas Ansprüchen auf der politischen und wirtschaftlichen Weltbühne.

Die Investorenwelt hat bereits ihre Antwort gegeben; angesichts der zunehmenden Vernetzung Chinas in das internationale Handels- und Finanzsystem bauen Anleger darauf, dass es nicht zu einem Bruch kommt. Ja, viele Banken forcieren gerade jetzt Wealth Management Geschäft in China – trotz der sich anbahnenden Konfliktverschärfung auf politischer Ebene. Demnach wäre der Point of No Return bereits erreicht und ein verheerender Bruch mit China nicht mehr denkbar. Ob diese These so aufgeht, wird eine der spannendsten Fragen der Zukunft sein.

Disclaimer

Der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen China Aktien. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Ali Masarwah

    Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

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2 Antworten

  1. Hallo Herr Masarwah,
    ich bin in einigen Chinesischen Aktien investiert. Ich habe die Holdings gekauft. ( Kaiman Inseln )
    Seit die Probleme mit DIDI aufgetreten sind bin ich etwas verunsichert. Ich habe mich etwas belesen , und mir ist klar geworden, dass ich eigentlich nichts besitze. Die Holding hat zwar Vertäge mit der Gesellschaft in China, aber wenn Sie sich nicht daran halten , habe ich keine Handhabe. Eine Frage: Die großen Fonds wie Blackrock und Vanguard worin sind die investiert? Noch eine Frage: Die Firma Prosus hält einen Anteil von ca. 30 % an Tencent. Welche shares hält
    Prosus? als Sie jetzt einen Anteil von ca. 15 Mrd. verkauft haben, welche Art von shares waren das? Wenn ich ADRs
    kaufe beziehen die sich auch auf die Kaiman Holding? Und sind im schlimmsten Fall wertlos. Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen. Grüße Christian Schröder

    1. Hallo Herr Schröder, jeder, der in diese Aktien investiert, geht über denselben Web, also über eine in einer Steueroase beheimatete Holding, die die Rechte an den Assets/Umsätzen der Festlandsunternehmen hält. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass Sie „nichts“ besitzen. Sie müssen sich nur der Risiken bewusst sein. Die praktischen Risiken, die mit einer möglichen Verlagerung der Liquidität von New York nach Hongkong verbunden ist, würde ich als akuter einschätzen, als diese lange bekannten (und bereits anlässlich der verschiedenen Börsenlistings chinesischer Unternehmen geäußerten) Risiken. Aber natürlich kann man Anstoß daran nehmen, dass die VIE Konstrukte ein Risiko darstellen und der Praxistest noch nicht gemacht wurde – erkennt China die VIE Strukturen überhaupt an? Das ist für manche Investoren ein nicht hinnehmbares Risiko, für andere schon. Auch für Prosus; die Naspers Holding hält Anteile an Tencent Holdings Limited – wie auch BlackRock, Vanguard und Co auch. Hoffe, das hilft? Beste Grüße Ali Masarwah

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