Die Regulierung in China zum privaten Bildungssektor nahm im Juli 2021 ihren Anfang. Seitdem wurde er insbesondere von internationalen Investoren fast ausnahmslos ignoriert. Was hat sich seitdem getan? Lassen sich alle privaten Bildungsanbieter über einen Kamm scheren? Wir zeigen heute, dass es immer noch Nischen gibt, die von der staatlichen Bildungspolitik profitieren können. Im Fokus: Das Startup Fenbi. Der IPO der Fenbi Aktie erfolgte im Januar an der Hongkonger Börse.
Chinas Bildungssektor nach dem Crackdown
Mittlerweile ist es achtzehn Monate her, dass der chinesische Regulierer begann, gegen private Unternehmen im bis dato prosperierenden Segment des außerschulischen Nachhilfeunterrichts vorzugehen. In die Schusslinie waren vor allem die Anbieter geraten, die sich auf “Kindergarten bis 9. Klasse” – deswegen auch K9 genannt – spezialisiert hatten. Ziel war es einerseits, diesen Bereich des Bildungssektors wieder zu hundert Prozent in die Domäne des Staates zu überführen. Andererseits sollten die neuen Richtlinien – auch “Double Reduction Policy” 双减政策 genannt – die Schüler vor der immer größer werdenden Last an Schularbeiten befreien und die Eltern vor horrenden Gebühren bewahren. Diese staatlichen Restriktionen dezimierten über Nacht den Markt für Privatunterricht in den schulischen Kernfächern. Große Player in diesem K9-Segment wie New Oriental Education, Gaotu oder TAL verloren an der Börse binnen weniger Tage mehr als 90 Prozent an Wert. Die untere Grafik zeigt, dass die Kurse noch am Boden sind. Das reflektiert die harte Regulierungswelle: Die chinesische Führung hat 2021 den Flock in den Boden gerammt, und an dieser Realität ändert sich voraussichtlich nichts. Allerdings lohnt sich der Blick auf die Nischen. Hier gibt es eine interessante Geschichte zu erzählen, die von einer beachtlichen Adaptionsleistung zeugt.
Bildungsanbieter Yuanfudao 猿辅导
Einer der ganz großen der chinesischen EdTech Branche war das Startup Yuanfudao 猿辅导. Zwar noch nicht gelistet, aber mit Tencent als strategischen Investor an Bord sammelten die Gründer alleine im Jahre 2020 mehr als 3,5 Milliarden Dollar von namhaften VCs wie IDG Capital, Matrix Partners und Hillhouse Capital ein. Mit Beginn des Crackdowns musste umgedacht werden. Als das Nachhilfe-Geschäft für Schulkinder gewissermaßen über Nacht versiegte, richtete sich die Aufmerksamkeit auf einen Teil des Bildungssektors, der noch immer von offizieller Seite unterstützt wird: die informelle Berufsausbildung und Testvorbereitung für Berufe wie Lehrer oder Beamter, auch VET (non-formal vocational education and training) genannt. Informell heißt es deshalb, weil am Ende kein offizielles Diplom ausgehändigt wird.
Der Fenbi Aktie IPO
Glücklicherweise war Yuanfudao bereits seit 2015 in diesem Segment mit einem hauseigenen Startup namens “Fenbi” 粉笔 unterwegs. Der Name bedeutet “Kreide” im Chinesischen. Angeboten werden berufliche und technische Bildung sowie Nachhilfe für Prüfungen zum öffentlichen Beamtendienst. Im Jahre 2020 erfolgte der offizielle Spinoff von Yuanfudao. Bereits vor einem Jahr wurde der Börsengang der Fenbi Aktie in Hongkong erstmals angepeilt, musste aber angesichts des seinerzeit desolaten Sentiments unter den Investoren abgeblasen werden.
Kleiner Exkurs: Dieses Jahr nahmen mehr als 1,52 Millionen Menschen an Chinas jährlicher Einstellungsprüfung für den öffentlichen Dienst teil. Es gab fast 1,95 Millionen Bewerber. Die schriftliche Prüfung fand am 9. Januar gleichzeitig in 287 Städten im ganzen Land statt. China plant, in diesem Jahr 37000 Beamte einzustellen, die für zentrale Behörden und ihnen direkt unterstellte Institutionen arbeiten sollen. Das heißt, dass nur einer von 41 Prüflingen letztlich einen der begehrten Jobs in Chinas Verwaltung ergattern wird. Bei der in den letzten zwölf Monaten sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit von fast 20 Prozent sind stabile Arbeitsplätze im chinesischen Regierungsapparat sehr beliebt geworden.
Zwei recht bekannte Unternehmen im chinesischen Markt für Prüfungen zur Zulassung zum öffentlichen Dienst sind seit mehr als 20 Jahren Offcn Education Technology (in Shenzhen gelistet unter dem Ticker: 002607) und die Privatfirma Beijing Huatu Hongyang Education. Die beiden Giganten entstammen jedoch der “alten Schule” und bieten hauptsächlich Offline-Nachhilfe an. Yuanfudao erkannte eine Möglichkeit, mit Online-Unterricht die Platzhirschen digital zu “disrupten”. Das Geschäft wurde Zhang Xiaolong anvertraut, ehemals ein bekannter Dozent beim Branchenführer Huatu Hongyang Education. Im übrigen ist der Fenbi CEO nicht zu verwechseln mit seinem wesentlich bekannteren Namensvetter, der im Hause Tencent die soziale Medienplattform Wechat “erfunden” hat und auch heute noch leitet.
Die Fenbi Geschäftszahlen
Das Startup Fenbi hatte es nicht leicht im Kampf mit den Großen seiner Branche. Mit der Mitte 2020 begonnenen Expansion in den Offline-Bereich begann der direkte Wettbewerb. Durch die rasante Eröffnung von Trainingszentren und damit einhergehende Beschäftigung von Schulungspersonal erhöhten sich die Vertriebs- und Verwaltungskosten. Wurde im Jahr 2019 bei reinem Online-Geschäft Einnahmen von 1,1 Milliarden Yuan (166 Millionen Dollar) noch ein Nettogewinn von 154 Millionen Yuan erwirtschaftet, so hatten sich die Zahlen innerhalb von zwei Jahren dunkelrot gefärbt: Der Umsatz war ein Jahr später zwar auf stolze 2,1 Milliarden Yuan angewachsen, aber jetzt wurden Nettoverluste von rund 480 Millionen Yuan eingefahren. Im Jahr 2021 stieg der Umsatz auf 3,4 Milliarden Yuan, aber das Defizit vervielfachte sich auf mehr als 2 Milliarden Yuan.
Aus operativer Sicht erreichte Fenbi im März 2021 mit 16.800 Angestellten und mehr als 370 Trainingszentren seinen absoluten Höchststand. Gemessen am Umsatz machten die Personalausgaben 2020 55 Prozent und 2021 sogar 79 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Die Bruttomarge brach in Folge von rund 46 Prozent im Jahr 2019 auf 23 Prozent im Jahr 2020 ein. Erst in 2021 gelang wieder ein leichter Anstieg der Bruttomarge auf 24,5 Prozent, nachdem massenhaft Entlassungen sowie Gehaltskürzungen von fast 45 Prozent begonnen wurden.
Die jüngsten Zahlen im Prospekt zeigen, dass zum Stichtag 30. Juni 2022 die Belegschaft wieder auf ein den Rahmenbedingungen angemessenes Maß von 3.796 Angestellten geschrumpft ist. Die Zahl der Trainingszentren ist auf 276 reduziert worden. Diese decken aber immer noch 220 Städte in 33 Provinzen ab. Auch die Bruttomarge hat sich infolgedessen wieder erholt und liegt nun bei soliden 47 Prozent. Das Unternehmen hat laut Prospekt zum Stichtag 30.Juni 2022 seinen Halbjahres-Umsatz mit 1,45 Milliarden Yuan stabilisieren und seine Nettoverluste auf 392 Millionen Yuan drastisch verkleinern können. 50 Prozent der Einnahmen stammen heute aus dem Online-Geschäft, 36 Prozent aus dem Offline-Geschäft und die verbleibenden 14 Prozent aus dem Verkauf von Schulbüchern.
Laut einem Bericht von Frost & Sullivan ist Fenbi heute mit 2 Millionen zahlenden Nutzern der größte Online-VET-Anbieter in China. Bis Ende Juni dieses Jahres hatte die Plattform etwa 43 Millionen registrierte Benutzer akkumuliert, wobei die monatlich aktiven Nutzer (MAU) von etwa 4,7 Millionen im Jahr 2020 auf etwa 7,5 Millionen im Juni 2022 gestiegen sind. Auch dieses technische Detail ist mit Blick auf zukünftiges Skalieren wichtig: Die Fenbi Dozenten sind in der Lage, hochwertige Live-Vorträge für über 100.000 Studenten in einer Klasse zu halten.
Berücksichtigt man separat die Offline-Anbieter in dieser Branche, rangiert Fenbi laut Frost & Sullivan auf Platz 3 mit einem Marktanteil von 1,4 Prozent im Jahr 2021. Zwar hat Fenbi beim Offline-Geschäft erst 143.000 zahlende Nutzer. Dafür ist das Offline Geschäft mit 3662 Yuan Umsatz pro Nutzer äußerst attraktiv, auch wenn die Bruttomarge hier nur 36 Prozent beträgt. Beim Online-Segment liegt der Umsatz pro Nutzer lediglich bei 351 Yuan mit einer höheren Bruttomarge von 60 Prozent. An dieser Stelle spielt Fenbi seinen technologischen Vorteil aus, den Online Kunden sehr effektiv auch Offline Dienstleistungen zu verkaufen – diese Art der Konversion nennen sie intern “OMO”: online-merge-offline. Im ersten Halbjahr 2022 waren so 68 Prozent der zahlenden Offline-Kunden frühere Online-Kunden bei Fenbi.
Der Börsengang des Unternehmens fand vor wenigen Wochen am 9. Januar unter dem Ticker “2469” in Hongkong statt und war mehr als 30-fach überzeichnet. Ein Nettoerlös von 120 Millionen Hong Kong Dollar (15,4 Millionen Dollar) wurde in die Kassen gespült. Der Großteil soll über die nächsten zwei Jahre investiert werden, um das bestehende Kursangebot zu bereichern und qualifizierte Ausbilder und anderes Lehrpersonal einzustellen. Die Fenbi Aktie war mit 9,90 Hong Kong Dollar bepreist und schloss am ersten Tag mit einem stattlichen Plus von 12 Prozent bei 11,10 Hong Kong Dollar. Zwischenzeitlich hat sich der Wert bei 10,20 Hong Kong Dollar eingepegelt. Das Unternehmen hat damit eine Marktkapitalisierung von 2,7 Milliarden Dollar.
Vor dem IPO hatte Fenbi noch 1,1 Milliarden Yuan an Barreserven. Diese und die Erlöse von dem IPO wird das junge Unternehmen gut brauchen können. Die Zeiten haben sich geändert, und jetzt wird das Erreichen der Profitabilität absolute Priorität haben müssen, um nicht die Gunst ungeduldiger Investoren schnell wieder zu verlieren. Positiv zu vermerken ist auch, dass in der ersten Jahreshälfte 2022 der operative Cashflow von negativ zu positiv gewechselt ist.
Natürlich lässt sich nicht verschweigen, dass das Offline-Geschäft durch die strikten Zero-Covid Massnahmen einen herben Schlag erlitten hat. In vielen Städten wurden sogar die Prüfungen für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst verschoben. Sogar der Branchenprimus Offcn Education Technology verzeichnete im ersten Halbjahr 2022 einen Umsatzeinbruch von 54 Prozent im Jahresvergleich, während sich der Verlust um mehr als das Achtfache auf 891 Millionen Yuan erhöhte. Doch mit der Aufhebung der strengen Zero-Covid Regeln darf man auf eine schnelle Erholung hoffen.
Fenbi ist im Vergleich zu seinem engsten Wettbewerber, Offcn Education Technology [SZ: 2607] mit einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von 6 noch günstig bewertet. Auch das Gesamtumfeld stimmt seit einigen Wochen optimistisch: Die jüngste Rally der chinesischen Technologieaktien seit Ende Oktober hat auch die EdTech Werte beflügelt, die größtenteils um das Zwei-bis Dreifache zugelegt haben. Wir haben für die Fenbi Aktie eine erste kleine Position aufgebaut und werden diesen jungen Wert in den nächsten Monaten aufmerksam verfolgen.
Disclaimer
China Digital Leaders und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Fenbi. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Mirko war 23 Jahre lang in China als Anwalt und Unternehmer tätig. Zuletzt war er Global Head of HR für das chinesische EV Startup BYTON in Nanjing. Davor lagen seine unternehmerischen Tätigkeiten im Bereich des chinesischen E-Commerce und Einzelhandels. Seit 2020 managt Mirko den auf die chinesische Digitalisierung spezialisierten “China Digital Leaders” Fonds.
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