Die Quartalszahlen zeigen ein deutlich verlangsamtes Bild bei den ehemals gefeierten Highgrowthwerten. Die Reaktionen der Anleger sind mitunter hart. Allerdings sind auch einige stark unter die Räder gekommene Unternehmen gut für die Zukunft aufgestellt – und inzwischen attraktiv bewertet.
Roku punktet bei seinen Fans – Der Kampf um Werbebudgets hat begonnen
Die Streaming-Plattform Roku hat im vierten Quartal 2022 die Erwartungen von Analysten übertroffen und damit den unverdrossenen Optimisten, die die Roku Aktie in den vergangenen Wochen hochgekauft haben, Recht gegeben. Zumindest vorläufig. Q4 2022 hatte Roku einen Umsatz von 867 Millionen Dollar statt der erwarteten 802 Millionen Dollar erzielt. Auch das EPS lag mit minus 1,7 Dollar etwas über den Schätzungen. Die aktiven Accounts stiegen in Q4 um 2,3 Millionen auf 65,4 Millionen und die Streaming-Stunden erhöhten sich um 21 Prozent YoY auf 21,9 Milliarden Stunden. ARPU stieg im Zeitraum um zehn Prozent.
Das führte zu einem regelrechten Kursfeuerwerk. Nach Bekanntgabe der Quartalszahlen machte die Roku Aktie am Donnerstag vergangener Woche einen Sprung auf bis zu 76 Dollar, nachdem sie zu Beginn der Woche noch bei rund 55 Dollar notiert hatte. Inzwischen ist die Aktie wieder auf rund 70 Dollar zurückgekommen, unter dem Strich bleibt dennoch ein YTD-Plus von 75 Prozent. Allerdings notiert die Aktie gerade mal auf dem Niveau des Corona-Tiefs vom März 2020 – Ionen entfernt von den 2021-er Hochs von gut 480 Dollar. Ein Teil des jüngsten Kurssprungs dürfte auf einen Short-Squeeze zurückgehen. Anlegern, unter ihnen ARK-Chefin Cathie Wood, deren ETFs die größten Investoren im ehemaligen Highgrowth-Champion sind, dürfte das erst einmal egal sein.
Stärker geerdete Investoren dürften auch die Risiken im Blick haben. Fakt ist, dass die Umsätze nicht nur im schrumpfenden Devices Segment rückläufig sind, sondern auch das Wachstumgsgeschäft der Streamingplattform schwächelt. Der Umsatzanstieg von 699 Millionen Dollar zwischen Q4 2021 auf 731 Millionen ein Jahr später ist bescheiden. Das liegt an den sinkenden Werbeeinnahmen. Der Cost of Revenue stieg indes deutlich von 275 Millionen auf 323 Millionen Dollar – wie auch die operativen Kosten, wo Sales&Marketing besonders ins Kontor schlägt (von 163 Millionen in Q4 2021 auf 298 Millionen Dollar ein Jahr später). Das Umsatzwachstum kommt also zu einem hohen Preis. Für das erste Quartal erwartet Roku einen Umsatz von 700 Millionen Dollar bei einem Bruttogewinn von 310 Millionen Dollar und einem “Adjusted” EBITDA von minus 110 Millionen Dollar. Das Management rechnet mit einem “herausfordernden” makroökonomischen Umfeld mit sinkenden Werbeeinnahmen und zurückhaltenden Konsumenten (letztes trifft vor allem Devices).
Roku ist eine führende Streaming-Plattform in den USA und profitiert vor allem von seiner offenen Architektur. Kunden haben über Roku einen aggregierten Zugang zu den großen Streaming-Diensten Netflix, YouTube, Disney+ und Co. Das Betriebssystem von Roku ist führend im Markt, in den USA allein erreicht Roku 70 Millionen Haushalte. Auch in Kanada und Mexiko ist Roku auf Platz 1 beim Verkauf von Smart TV Betriebssystemen. Im nächsten Schritt möchte Roku nun sogar eigene Smart TVs herstellen. Mit den führenden TV Herstellern in die direkte Konkurrenz zu treten ist aktuell sehr ambitioniert. Solange der Werbemarkt nicht wieder anzieht, werden Investoren kritisch auf alle Ausgaben schauen. Und auch der Kampf um Werbebudgets bei den Streaminganbietern wird größer. Wir haben die Rally der Aktie genutzt, um unsere Position wieder zu reduzieren.
Match Group – Hinge löst Tinder als Wachstumsmotor ab
Die Tage, an denen Wohl und Wehe des Erfolgs der Match Group allein an Tinder hing, sind zwar nicht gezählt, aber perspektivisch vielleicht möglich. In Q4 trat der Umsatz der beliebtesten Dating-Plattform weltweit auf der Stelle (währungsbereinigt: plus acht Prozent), der Umsatz pro zahlendem Kunden (RPP) ging bei Tinder um zwei Prozent zurück, während die Zahl der zahlenden Kunden um drei Prozent stieg. Ganz anders sieht es beim “seriösen” Tinder-Bruder Hinge aus. Der Umsatz der App für Nutzer mit ernsten Absichten konnte um 30 Prozent YoY wachsen. Hinge entwickelt sich damit zum Wachstumstreiber der Match Group, bei der es derzeit aber insgesamt nicht nach Wachstum aussieht.
Der Match Umsatz ging im vierten Quartal um zwei Prozent auf 786 Millionen Dollar zurück, der operative Gewinn sank sogar um 54 Prozent auf 107 Millionen, was einer Marge von 14 Prozent entsprach. Die Zahl der zahlenden User ging um 1 Prozent zurück, wie auch die RPP. Unter dem Strich blieb ein Nettogewinn von 84,6 Millionen Euro nach einem Verlust von 169 Millionen Dollar Q4 2021. Das entspricht einem EPS von 0,30 Dollar, womit Match die Erwartungen von Analysten von 0,46 Dollar deutlich verfehlte.
Danach brachen die Dämme: Die Match Aktie, die im Zuge der allgemeinen Markterholung im Januar um rund 30 Prozent zugelegt hatte, schmierte nach Bekanntgabe der Quartalszahlen am 31. Januar ab – von knapp 55 Dollar auf aktuell 43 Dollar. Auch für 2023 gibt sich CEO Bernard Kim zurückhaltend. Die erste Jahreshälfte werde weiter von “makroökonomischem Druck” geprägt sein; der Umsatz werde sich im ersten Quartal bei zwischen 790 Millionen und 800 Millionen Dollar bewegen; der “adjustierte operative Ertrag” bei zwischen 250 Millionen und 255 Millionen Dollar. In der zweiten Hälfte würde der Umbau bei Tinder, der auch in neuen Features besteht, Früchte tragen und zu einem Gesamtjahres-Umsatzwachstum von fünf bis zehn Prozent führen.
Was Anleger im Allgemeinen gerne hören, könnte Skepsis hervorrufen; schließlich hatte Match CEO Kim bereits nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 2022 bei Tinder aufgeräumt und sich selbst dort an der Spitze installiert. Erst eine Woche vor Bekanntgabe der Zahlen legte Match dann seine neue “Organisationsstruktur” vor, die dazu führen werde, dass man “lösungsorientiert” arbeiten werde. Neben der Installierung eines neuen Chief Technology Officer (Will Wu, kommt von Snap) finden die vier “Brand-Gruppen” Tinder, Hinge, Asien und Evergreen & Emerging. (Die amorphe Gruppe der “Evergreens” umfasst Meetic, auf das eine hohe Abschreibung anfiel, wie auch Legacy Marken Match oder Plenty of Fish). Das klingt in der Präsentation hochdiversifziert, kann aber faktisch nur schwer kaschieren, dass der Erfolg der Match Group auf zwei Annahmen fußen: der Wiederbelebung von Tinder und der Expansion und Monetarisierung von Hinge. Die inzwischen günstigere Bewertung wäre attraktiv, würde der nicht ein Schuldenberg von 3,9 Milliarden Dollar gegenüberstehen.
Bumble – Love is a Battlefield
Um die Quartalszahlen von Match besser einzuordnen, bietet sich ein Vergleich zum weltweiten Konkurrenten Bumble an, also jenes Unternehmen, das von der ehemaligen Tinder-Mitgründerin Whitney Wolfe Herd geführt wird. Und siehe da, Bumbles Zahlen lesen sich deutlich besser. Der Umsatz in Q4 ist gegenüber dem Vorjahr um 17 Prozent auf 241,6 Millionen Dollar gestiegen. Die Umsatz bei Bumble App ist sogar um 28 Prozent auf nun 191 Millionen Dollar gestiegen und macht nun 80 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Der Badoo-Umsatz ist mit -12 Prozent weiter rückläufig. Sehr imposant ist der Anstieg der Bezahlkunden bei Bumble App, nämlich um 35 Prozent. Das sequentielle Wachstum um 133 Tsd. Kunden ist zwar geringer als in Q3 (164 Tsd.), aber das ist der Saisonalität geschuldet. Mit der globalen Expansion und Monetarisierung kommt Bumble also sehr gut voran. Auch das adjustierte EBITDA fiel mit 60,5 Millionen besser aus als erwartet.
Die Guidance kann sich ebenso sehen lassen. Der Umsatz soll 2003 zwischen 16 und 19 Prozent, bei Bumble App sogar um 25 Prozent steigen. Die adjustierte EBITDA Marge soll um 100 Basispunkte auf 26 Prozent anziehen. Auch hier gibt sich Buble deutlich optimistischer als die Match Group. Nachbörslich oszillierte der Aktienkurs zwischen + und – 8 Prozent. Verwirrt hat die Investoren sicher der hohe Verlust, der auf die Abschreibung der Marke Badoo und auf Assets in Russland in Höhe von insgesamt 141 Millionen Dollar zurückzuführen ist. Im offiziellen Handel legte die Badoo Aktie wieder deutlich zu.
Wir hatten im letzten Update schon darauf hingewiesen, dass wir aktuell Bumble im Portfolio höher gewichten als die Match Group Aktie. Das war bisher eine gute Entscheidung. Im Analystencall hat Bumble sogar darauf hingewiesen, dass man gerade dabei ist, bei Downloads die Konkurrenz zu überholen: “We are also excited to say that as of Valentine’s Day, Bumble App is the most downloaded dating app in our top markets, including the U.S., Canada, Australia, the U.K. and Germany.” Das ist richtig, allerdings gilt das nicht für Apple-Kunden. Auf IOS liegt Tinder und sogar Hinge bei den Downloads in den USA vor Bumble. Mit der stärkeren Monetarisierung von Hinge, sollte man das auch in den Zahlen bald sehen. Noch ist also nicht ausgemacht, dass Bumble bei der Verkupplung der Welt am großen Konkurrenten vorbeizieht. Aber die Liebe der Investoren gilt aktuell Bumble.
Digital Turbine – Warten auf Godot?
Nach den Q3 Zahlen hatte APPS (so das Börsenkürzel) um 60 Prozent zugelegt. Meine Begründung damals: “I have no clue.” Investoren hatten offensichtlich die Hoffnung, dass das Schlimmste bei APPS vorbei ist. Das ist mitnichten so. Die Umsätze sind im vierten Quartal 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen, auf nun 162 Millionen Dollar. Erwartet worden waren 185 Millionen Dollar. Der adjustierte Gewinn Pro Aktie ist von 49 auf 29 Cents gefallen – auch deutlich unter den Erwartungen, die bei 37 Cent lagen. Auch die Umsatzguidance für 2023 ist mit 660 bis 670 Millionen Dollar deutlich schlechter ausgefallen als die Konsensusschätzung von 720 Millionen Dollar.
Die Digital Turbine Aktie verlor am Tage nach den Quartalszahlen sage und schreibe 24 Prozent und schwächelte weiter seither. Aktuell notiert die Aktie nah an den Tiefständen vom November 2022.
CEO Bill Stone macht dafür das Markoumfeld verantwortlich: “We expect current macro headwinds to continue into the first half of the calendar year, but our high-level strategic vision remains intact, as advertising spending tends to be among the first items to be negatively impacted at the onset of a cyclical downturn, but is typically also among the first items to rebound.”
Das ist sicherlich zum großen Teil richtig. Der Absatz von Smartphones ist im vierten Quartal 2022 laut IDC mit einem Rückgang von 18,3 Prozent regelrecht eingebrochen. Weniger Devices bedeutet weniger Umsatz für die auf Android Geräten vorinstallierten Apps von Digital Turbine. Immerhin ist der Revenue-per-Device mit über 5 Dollar leicht gestiegen. Auch der Einbruch von Werbeausgaben ist eher ein Makro-Thema. Allerdings zeigt der Rückgang der eCPM (effective Cost per Mille) um 10 bis 20 Prozent über alle Formate, dass Werber nicht nur weniger Geld bei Digital Turbine ausgeben, sondern auch deutlich niedrigere Preise für die diversen Formate durchsetzen.
Wenn man sie sehen wollte, gab es durchaus auch gute Nachrichten. Der Rohertrag fiel weniger als der Umsatz, nämlich um 18 Prozent. Die Bruttomarge (Non-GAAP) erhöhte sich somit auf 50 Prozent. APPS generiert weiterhin einen Free-Cashflow, so dass die Schulden auch im vierten Quartal weiter abgebaut werden konnten. Das Kerngeschäft schwächelt, aber immerhin gibt es Fortschritte bei den neuen Formaten. Mit der SingleTap Lizensierung kommt man offensichtlich gut voran: “We are now on a run rate of many millions of SingleTap licensing installs per month and have already done more SingleTap licensing installs so far in 2023 than we did in all of 2022.” In den Umsätzen zeigt sich das allerdings auf absehbare Zeit kaum. Positiv ist auch die erste Installation des alternativen App Stores auf Android Smartphones bei einem ersten Mobilfunkanbieter (US Cellular).
In Samuel Becketts Theaterstück war bekanntlich das Warten auf Godot vergeblich. Der digitale Werbemarkt kommt aber wieder zurück. Digital Turbine ist eine Wette darauf, dass irgendwann die Werbeausgaben wieder steigen. Dann ist m.E. das Unternehmen einzigartig positioniert, um davon überproportional zu profitieren. Bis dahin muss man sehr geduldig sein und die Achterfahrt an den Börsen aushalten können.
Fiverr – Alles auf Gewinn
Der führende Online-Marktplatz für Freiberufler hat wieder gute Quartalszahlen präsentiert. Während der Umsatz leicht über Erwartungen ausgefallen ist, hat Fiverr die Profitabilität deutlich steigern können. Mit einem adjustierten EBITDA von 9,4 Millionen Dollar und einer Marge von 11,3 Prozent konnte man das beste Quartal in Sachen Profitabilität präsentieren. Mit einem Verlust (GAAP) von 1,3 Millionen Dollar (Vorjahresquartal -19 Millionen Dollar), kann Fiverr auch bald einen echten und nicht nur adjustierten Gewinn vorweisen.
Auch Fiverr setzt aktuell mehr auf Gewinn als auf Wachstum. Dennoch verbessern sich die wichtigen KPIs. Die Zahl der Active Buyer ist trotz deutlich niedrigerer Marketingaufwendungen auf 1 Prozent gestiegen, zugleich konnte die Take Rate auf 30,2 Prozent gesteigert werden. Das Wachstum bei Active Buyer mit mehr als 10.0000 Dollar Ausgaben konnte 2022 sogar 29 Prozent gesteigert werden. Allerdings spürt Fiverr die Zurückhaltung bei den Ausgaben. Nahezu alle Kohorten haben sich die Ausgaben pro Kunden im zweiten Halbjahr reduziert. Auch die Guidance fällt positiv aus. Der Umsatz soll in 2023 zwar nur um 4-8 Prozent wachsen, aber das adjustierte EBITDA wird mit 45 bis 55 Millionen Dollar angegeben. 2022 lag der Wert bei 24 Millionen Dollar. Die Investoren haben die Zahlen mit einem Kurssprung von fast 19 Prozent gefeiert.
Wir halten Online-Marktplätze für Freiberufler für einen säkularen Trend, der in einer noch sehr jungen Phase ist. Fiverr ist u.E. der international führende Player mit einem starken Geschäft in den USA. Mit der neuen Guidance ist die Fiver Aktie mit einem EV/Sales (FWD) von ca. 3 und der deutlich verbesserten Profitabilität attraktiv bewertet.
Disclaimer
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Autor
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Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.
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