Risikokennzahl Beta einfach erklärt – Fondskennzahlen für die schlechten Zeiten

26. Oktober 2022

Beta

Im zweiten Teil der Serie zu Risikokennzahlen beschäftigen wir uns mit der Kennzahl Beta. Sie geht einen Schritt weiter als das Risikomaß Volatilität, weil sie die Beziehung eines Wertpapiers zu seinem Markt oder Portfolio beschreibt. Das Beta ist komplizierter als die Volatilität, gibt uns dafür Kontext -und ist dabei nicht das perfekte Risikomaß.

Im ersten Teil unserer Serie zu Risikokennzahlen haben wir uns mit der wohl bekanntesten Kennzahl beschäftigt: der Volatilität. Sie drückt die Unsicherheit aus, die mit einem Investment an Risikomärkten verbunden ist. Die Volatilität misst die Schwankungen eines Wertpapiers. Dabei lässt sich zwischen der Auf- und Abwärtsvolatilität unterscheiden. Ein Vorteil der Volatilität ist, dass sie eine bessere Indikation für das Risikoprofil einer Anlage gibt, als es die Performance für das Renditeprofil könnte, weil sie über die Zeit –ceteris paribus– relativ stabil ist.

Der Artikel endete allerdings mit dem Hinweis auf einen Nachteil der Kennzahl: die Volatilität steht ohne Kontext im Raum. Die Volatilität stößt an ihre Grenzen, wenn wir die Risiken unterschiedlicher Assets in einem bestimmten Kontext analysieren wollen. Der DAX weist ein anderes Schwankungsverhalten auf als Tech-Aktien oder israelische Nebenwerte. Ein riskanter Deutschlandfonds schwankt mitunter weniger als ein konservativ verwalteter israelischer Nebenwertefonds. Daher sind Risikomaße sinnvoll, die den Bezug eines Assets zu seinem zugrundeliegenden Markt herstellen. Das leistet die Kennzahl Beta. Sie misst die Marktsensitivität eines Wertpapiers.

Der Weg zum Beta: Das systematische Aktienrisiko

Zunächst etwas Kontext. In der Finanzwissenschaft unterscheidet man zwischen den individuellen Risiken eines Wertpapiers – gehen wir ab jetzt der Einfachheit halber von Aktien aus – und den allgemeinen Marktrisiken. Das allgemeine Aktienmarktrisiko ist das Risiko, das wir eingehen, wenn wir in einen breit gestreuten Fonds oder ETF investieren. Investieren wir in eine einzelne Aktie aus diesem Markt, gehen wir ein Einzeltitelrisiko ein. 

Für ein praktisches Beispiel wollen wir die Tesla Aktie dem US-Markt gegenüberstellen, der typischerweise mit dem Index S&P 500 gleichgesetzt wird (dem Tesla auch angehört). Aktionäre in Tesla haben im vergangenen Monat 33 Prozent verloren; der S&P 500 gab nur um 4,8 Prozent nach. In den vergangenen drei Jahren konnten Tesla-Aktionäre jedes Jahr eine Performance von knapp 130 Prozent einstreichen, während der S&P 500 jährlich „nur“ um 8,8 Prozent zulegte. Tesla ist also in schlechten Zeiten ein Performance-Desaster, in guten Zeiten ein Performance-Bringer. (Sehr zum Leidwesen zahlreicher Shortseller, die in den vergangenen Jahren immer wieder in großem Stil gegen Tesla gewettet haben.) Wie hängen nun diese beiden Assets zusammen? 

(Schöner Nebeneffekt: Wer uns bis hierher gefolgt ist, hat sich intuitiv den Nutzen von Fonds und ETFs erschlossen: Die Summe aller Risiken von Apple, Tesla und anderen Aktien machen zwar das Marktrisiko des S&P 500 aus, aber der Index schwankt in Summe weniger stark, als es die Volatilität der Einzeltitel nahelegen würde. Das ist die Folge der Diversifikation. Sie ist das Einzige, was Anleger am Markt “geschenkt” bekommen. Fonds und ETFs mindern das Anlagerisiko durch eine breite Streuung. Damit verzichten Investoren zwar auf die Chancen, die mit einzelnen Aktien verbunden sind (siehe Tesla zwischen 2019 und heute!), aber sie bekommen dafür für weniger Risiko eine Prämie, die ein Aktienmarkt zu bieten hat. Mehr zur Diversifikations-Story findet Ihr hier.)

Beta für mehr Portfolio-Systematik

Es gibt also eine Beziehung zwischen der Tesla Aktie und dem S&P 500. Diese Beziehung betrifft sowohl die Richtung (Kursanstieg/Kurssturz), aber auch die Dynamik (größere/kleinere Amplituden). Die Kennzahl Beta drückt diesen zweidimensionalen Beziehungszusammenhang aus. Sie misst die Sensitivität der Bewegung einer Aktie relativ zu ihrem Markt.

Das Beta gibt die Antwort auf die Frage, wie stark die Kursschwankungen einer Aktie mit den Schwankungen des Marktes zusammenhängen und welche Richtung sie nehmen. Um das Beta bzw. den Betafaktor eines Wertpapiers zu taxieren, erhält der Markt als Referenzpunkt einen Beta-Wert von 1,0. Ein Wertpapier, das ein Beta von mehr als 1,0 hat, schwankt stärker als der Markt, dem es angehört; ein Wert von 1,0 signalisiert einen Gleichklang; ein Beta von unter 1,0 signalisiert einen geringeren Schwankungsgrad. (Theoretisch kann das Beta auch negativ sein. Dann würde sich ein Asset gegenläufig zu seinem Markt entwickeln. Aber das ist aber bei Aktien unwahrscheinlich –und selbst der Goldpreis hatte in den vergangenen Jahren ein positives Beta relativ zu vielen Aktienmärkten.)

Kommen wir zu unserem oberen Beispiel zurück. Das Beta bzw. der Betafaktor von Tesla lag in den vergangenen drei Jahren bei 2,69. Das bedeutet, dass der Kurs der Tesla-Aktie bei einer Indexbewegung von 1,0 um den Faktor 2,69 reagiert hat. Die Tesla Aktie schwankt also deutlich stärker als der S&P 500 und ist damit erheblich riskanter. Im Gegensatz zur Volatilität drückt das Beta dieses relative Risiko aus. Zum Vergleich: Das Beta der PepsiCo Aktie betrug seit 2019 0,58. Die Reagibilität der PepsiCo Aktie auf Marktbewegungen war also deutlich geringer als die der Tesla Aktie.

(Finanzmathematischer Mini-Exkurs: Der Betafaktor einer Aktie wird berechnet, indem man das Produkt der Kovarianz der Aktien- und der Marktrendite durch die Varianz der Marktrendite teilt; die Kovarianz beschreibt den Zusammenhang zwischen Aktie und Markt; die Varianz drückt aus, wie sich der Markt zu einer gegebenen Zeit relativ zu seinem Durchschnitt bewegt.)

Wie auch bei der Volatilität können wir beim Beta zwischen dem “guten” und dem “schlechten” Beta unterscheiden. Alle Anleger mögen es, wenn eine Aktie in Aufwärtsphasen ein höheres Momentum hat als der Markt. Nicht gut ist, wenn eine Aktie in Abwärtsmärkten stärker schwankt, weil sie dann zumeist nach unten durchbricht. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Das „gute“ Beta der Tesla Aktie, also die Sensitivität in Aufwärtsmärkten, lag zwischen 2019 und heute bei 4,91 (sic!); in schlechten Marktphasen betrug das Beta 3,11. Das ist einerseits erfreulich, weil die Sensitivität bei Markt-Aufwärtsbewegungen fast beim Faktor fünf lag. Das Abwärts Beta von 3,11 bedeutet aber, dass die Tesla Aktie bei fallenden Marktkursen seit 2019 deutlich stärker verlor als der S&P 500. 

Exkurs: Wer verliert, muss sehr viel aufholen; die Beziehung zwischen Renditen, die erzielt werden müssen, um vorherige Verluste aufzuholen und besagten Verlusten, ist nicht-linear. Die Formel dafür lautet (1 / ((1 – %Verlust)) -1.

Anders bei PepsiCo. Hier lag das Aufwärts Beta zwischen 2019 und 2022 bei 0,79; das Abwärts Beta bei nur 0,27. Das ist das Bild, das man von einer Quality Aktie erwarten kann –träge im Aufschwung, robust im Abschwung. Bezogen auf den vergangenen Monat stand dem Verlust von 33 Prozent bei Tesla und dem Minus von 4,8 Prozent beim S&P ein Plus von 1,5 Prozent bei PepsiCo entgegen. Auch im laufenden Jahr konnte der Getränkehersteller gegen den Trend leicht zulegen – im Gegensatz zu Tesla (minus 41 Prozent) und dem S&P 500 (minus 22,1 Prozent).

Tesla vs. PepsiCo: Aus dem Risiko folgt die Performance

Beta Tesla vs PepsiCo
3-Jahres Beta relativ zum S&P 500, per 30.9.2022, Performance in US-Dollar, per 20.10.2022 und in Prozent, Quelle: Morningstar

Beta: Nutzen und Grenzen in der Praxis

Das Beispiel von Tesla und PepsiCo illustriert den praktischen Nutzen der Kennzahl Beta. Sie gibt Aufschluss darüber, ob bzw. wie stark sich das Risikoprofil eines Portfolios ändert, wenn ihm eine Aktie hinzugefügt wird. Auch für Fondsanleger ist die Kennzahl Beta nützlich, denn sie gibt Aufschluss über das relative Risiko eines Fonds im Vergleich zum Index. 

Aber gibt das Beta, das die Bewegungen der Vergangenheit abbildet, wirklich Hinweise auf die Zukunft? Ja und nein. Natürlich ist die Vergangenheit vergangen, aber –wie auch bei der Volatilität –ist das Beta eine relativ stabile Kennzahl, sofern sich die Rahmenbedingungen an den Märkten und der Fonds Aktien nicht ändern. Bei Aktien ist es dagegen schwieriger, wie wir weiter unten sehen werden.

Um diesen Punkt zu illustrieren, haben wir uns das Beta von drei bekannten, global anlegenden Aktienfonds seit dem Jahr 2001 angeschaut: DWS Vermögensbildungsfonds I, UniGlobal und Fidelity World. Als Bezugsmarkt haben wir den Index MSCI All Country World Index (MSCI ACWI) verwendet, der sowohl Industrie- als auch Schwellenländer umfasst. Dabei haben wir fünfjährige Investment-Perioden unterstellt und die resultierenden 214 monatlich rollierenden Betas miteinander verbunden.

Schwankend stabil: Die Betas von drei globalen Aktienfonds 2001 bis 2022

Drei Fonds Beta Vergleich
Monatliche Betas zwischen 1.1.2001 und 30.9.2022, rollierende Fünfjahresdaten, in Prozent und auf Euro-Basis, Quelle: Morningstar

Wie die obere Grafik zeigt, entwickeln sich die Betas der drei Standardwertefonds seit Anfang des Jahrtausends relativ stabil. Sie pendeln in einem Band zwischen 0,9 und 1,2. Das zeigt, dass es sich um Standardwertefonds handelt und keine Cowboys. Doch marktunabhängig vollzieht sich das Geschehen bei den Fonds natürlich nicht. Sie waren den diversen Auf- und Abschwüngen an den Märkten ausgesetzt, was das Verhalten der Fondsmanager beeinflusst hat. Die Manager des DWS Vermögensbildungsfonds I und UniGlobal hatten ihre Fonds zu Beginn des Jahrtausends offenkundig relativ offensiv aufgestellt, aber mit dem fortschreitenden Crash ab 2000 wurde das Risiko gegenüber dem Aktienmarkt reduziert. Anders der Fidelity World: Hier wurde das relative Risiko sogar erhöht, und über weite Strecken blieb er zwischen 2000 und 2022 der aggressivste der drei Fonds. 

Dabei fällt auf, dass der UniGlobal mit Abstand das stetigste Verhalten zeigt, was angesichts mehrerer Fondsmanagerwechsel bemerkenswert ist. Anders war es beim DWS Vermögensbildungsfonds I. Unter der Ägide von Andre Köttner wurde der Fonds konservativer verwaltet und nimmt weniger (relatives) Risiko als zuvor unter Fondsmanager Klaus Kaldemorgen, der die Verantwortung für den Fonds 2013 abgab.

Soweit die Nützlichkeit der Kennzahl Beta, kommen wir nun zu den Nachteilen. Ein häufiges und nicht ganz triviales (aber lösbares) Problem ist die Wahl des richtigen Marktes als Bezugsgröße – sowohl bei Aktien als auch bei Fonds. Um zum Beispiel Tesla zurückzukommen. Nimmt man den NASDAQ 100 statt den S&P 500 als Bezugsmarkt, kommt das Beta der Tesla Aktie deutlich zurück –das Aufwärts Beta seit 2019 liegt dann bei 3,63 statt 4,91 gegenüber dem S&P 500, das Abwärts Beta bei nur noch 0,15 statt 3,1. Damit das Beta aussagekräftig ist, müssen Anleger also bei der Wahl der richtigen Benchmark gut abwägen –gehört Tesla zu den Tech-Werten oder ist es ein zyklischer Konsumwert wie Daimler, VW und andere Autohersteller?

Ein weitaus größeres Problem als die Wahl der geeigneten Benchmark sind dagegen prinzipielle Einwände gegen das Beta. Es unterstellt, dass die Einzeltitelrisiken systematischer Natur sind. Zur Erinnerung: Für die Berechnung des Beta werden die Aktienrenditen relativ zu den Marktrenditen gesetzt. Doch kursbeeinflussende Faktoren betreffen oftmals Ereignisse bei den einzelnen Unternehmen. 

Das Beispiel Tesla zeigt eine atemberaubende Idiosynkratie, und es fällt mir schwer, hier von systematischen Marktprämien zu sprechen. Tesla-Gründer Elon Musk legt mitunter ein höchst erratisches Verhalten an den Tag. So behauptete er 2018 unter Umgehung aller Ad-hoc-Pflichten, er habe das nötige Funding, um Tesla von der Börse nehmen zu können. Dafür kassierte er von der SEC eine saftige Strafe und musste die Rolle des Chairman von Tesla abgeben. In diesem Jahr lieferte er sich eine denkwürdige Übernahmeschlacht mit dem Management von Twitter, in der er nicht davor zurückschreckte, das Unternehmen öffentlich –man kann es nicht anders sagen –zu dissen und das Management mit sehr robusten Worten zu beschimpfen. Und das sind nur zwei Beispiele für kursbeeinflussende Eingriffe Musks. Kann man die Kursentwicklung von Tesla also als Ausdruck einer perfekten Markteffizienz verstehen, was man tun muss, wenn man die Renditen von Tesla und denen des S&P 500 zum Tesla-Beta zusammenführt? Kritiker der Effizienzmarkthypothese werden hier Zweifel anmelden.

Weil Fonds diversifiziert sind, würde ich das Beta hier als stabiler bzw. “systematischer” ansehen, als das bei einzelnen Aktien der Fall ist. Allerdings erfordert eine Analyse des relativen Fondsrisikos immer auch eine Kenntnis der zugrundeliegenden Märkte. Und es gibt fondsspezifische Faktoren zu berücksichtigen: Ist die Investmentstrategie gleich geblieben? Gibt es Änderungen im Fondsmanagement? Das ist nicht trivial und erfordert Kapazitäten im Fondsresearch. Ändert ein Fonds seine Strategie und/oder wird der Fondsmanager ausgetauscht, ändern sich wichtige Parameter, und dann können quantitative Analysen, die eine historische Kontinuität voraussetzen, irrelevant sein. Insofern gilt bei der Volatilität, beim Beta und bei allen anderen quantitativen Kennzahlen auch: Ohne eine qualitative Analyse spiegeln Datenanalysen schlimmstenfalls nur den Lärm der Märkte wider, nach dem Motto: Garbage in, Garbage out.

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Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Ali Masarwah

    Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

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