Rule of 40? Rule of X? SaaS-Unternehmen zwischen Profitabilität und Wachstum

5. February 2025

Rule of 40 vs. Rule of X Bewertung von Saas-Unternehmen

Rule of 40 oder Rule of X? Hinter zwei Kennzahlen steht für Anleger der Zielkonflikt: Ist für die Bewertung von SaaS-Unternehmen die Profitabilität oder das Wachstum wichtiger? Unsere Analyse zeigt, worauf es ankommt – und dass die fundamentale Analyse dynamischer ist, als es vielen Anlegern lieb ist.

Einführung: Rule of 40 und Rule of X einfach erklärt

Die Rule of 40 und die Rule of X sind Metriken, die zur Bewertung der Leistung von Software-as-a-Service-Unternehmen (SaaS) verwendet werden. Sie unterscheiden sich darin, wie sie Wachstum und Rentabilität gewichten. Die Rule of 40 ist die bekanntere. Sie besagt, dass ein gesundes SaaS-Unternehmen eine kombinierte Umsatzwachstumsrate und Gewinnmarge (normalerweise EBITDA oder freier Cashflow) von mindestens 40 Prozent aufweisen sollte. Diese Regel betont das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Rentabilität. Mit Hilfe dieser Regel lässt sich feststellen, ob ein Unternehmen effizient wächst. Ein höherer Wert deutet darauf hin, dass das Unternehmen ein Gleichgewicht zwischen Umsatzwachstum und finanzieller Disziplin findet. Ein SaaS-Unternehmen mit einem Umsatzwachstum von 30 Prozent und einer freien Cashflow-Marge von 10 Prozent erfüllt die 40er-Regel. Spiegelbildlich kann die Cashflow-Marge den Ausschlag geben

Die Kennzahl Rule of X dagegen ist relativ neu. Sie wurde vom Researchhaus Bessemer Venture Partners (BVP) entwickelt, das Co-Sponsor des bekannten BVP Nasdaq Emerging Cloud Index ist. Was ist das Neue? Die Rule of 40 wird dahingehend abgeändert, dass der Schwerpunkt stärker auf das Wachstum gelegt wird, insbesondere bei Unternehmen in einer reiferen Phase. Die Wachstumsrate wird mit einem Multiplikator versehen, der in der Regel zwischen dem 2-fachen und dem 3-fachen liegt und den höheren Wert widerspiegelt, den Investoren dem Wachstum im Vergleich zur Rentabilität beimessen. Der Multiplikator variiert je nach Marktbedingungen und der Phase der Unternehmensentwicklung.

Formel: (Wachstumsrate x Multiplikator) + FCF-Marge

Rule of 40 vs. Rule of X: Welche Regel soll es sein?

Was drücken die beiden Kennziffern aus? Die Rule of 40er wird von Anlegern bevorzugt, denen sowohl Wachstum als auch Rentabilität wichtig sind. Die X-Regel könnte besser für Thesen sein, die die Bedeutung eines hohen Wachstums für Unternehmen in den Vordergrund rücken. Die Rule of 40 spiegelt die Realität von reiferen, profitablen Unternehmen wider, die Rule of X die der “jungen Wilden”, also der wachstumsstarken, mitunter unprofitablen Unternehmen.

Wir wollen die beiden Kennziffern an der Realität des SaaS-Universums messen. In unserer Analyse bewerten wir 80 SaaS-Unternehmen, wobei wir die Bestandteile des BVP-Index mit 15 weiteren wichtigen Unternehmen aus unserer Beobachtungsliste kombinieren. Wir analysieren die Bedeutung des Wachstums (1 Jahr nachlaufendes Umsatzwachstum) und setzen es ins Verhältnis zur Rentabilität (freie Cashflow-Marge) bei der Erklärung der Bewertung (Enterprise Value zum Umsatz). Unser Analysezeitraum umfasst die vergangenen sechs Jahre. Wir tun dies mittels einer Regression und beobachten das Bestimmtheitsmaß (R-Quadrat).

Vergleich: Rule of 40 vs. Rule of X

SaaS-Unternehmen: Rule-of-40-vs-Rule-of-X
Quelle: Factset

Das Ergebnis unserer Analyse deckt sich mit den Analysen von Bessemer Venture Partners, wonach die Rule of X bei der Bestimmung von SaaS-Bewertungen über den beobachteten Zeitraum durchweg eine hohe Erklärungskraft aufweist. Allerdings stellen wir fest, dass diese Erklärungskraft im Laufe der Zeit schwankte und im Jahr 2021 besonders schwach war. Welche Faktoren haben zu dieser Abweichung beigetragen? Um dies weiter zu ergründen, untersuchen wir die Beziehung aus einer anderen Perspektive mit Hilfe der Regressionsanalyse. Diesmal bewerten wir die relative Bedeutung von Wachstum und Rentabilität, indem wir die Signifikanz der Regressionskoeffizienten vergleichen.

Die Bedeutung von Wachstum und Rentabilität

Die Bedeutung von Wachstum und Rentabilität bei SaaS-Unternehmen
Quelle: FactSet

Wie aus unseren Daten hervorgeht, hat sich die Gewichtung von Rentabilität und Wachstum im Laufe der Zeit recht dramatisch verändert. Derzeit sind wir bei einer Gewichtung von 75 Prozent für Wachstum zu 25 Prozent für Rentabilität, was einem Faktor 3 in der Regel von X entspricht. Dies scheint auch der langfristige Durchschnitt zu sein. 

Was hat sich im Untersuchungszeitraum getan? Die COVID-19-Pandemie hatte von Mitte 2020 bis Ende 2021 einen tiefgreifenden Einfluss auf SaaS-Unternehmen und wirkte als wichtiger Beschleuniger für die Digital-Ökonomie. Die Pandemie beschleunigte den Wandel hin zu digitalen Lösungen und führte zu einer verstärkten Einführung von SaaS-Produkten in verschiedenen Branchen. SaaS-Unternehmen, die Remote-Tools wie Videokonferenzen und Kollaborationsplattformen anbieten, verzeichneten ein erhebliches Wachstum. Der Nettoeffekt war ein massiver Boom bei den SaaS-Bewertungen und -Umsätzen.

Umsatzwachstum vs. Bewertung

Umsatzwachstum vs. Bewertung Rule of 40 vs Rule of X
Quelle: FactSet

Warum hat der Markt 2021 Wachstum gegenüber Rentabilität bei SaaS bevorzugt?

Im Jahr 2021 wurden SaaS-Unternehmen aufgrund einer Kombination aus Makrofaktoren, Anlegerpräferenzen und dem SaaS-Geschäftsmodell selbst für ihr Wachstum gegenüber der Rentabilität belohnt.

SaaS-Unternehmen arbeiten mit Abo-Modellen, was einen hohen Customer Lifetime Value (LTV) bedeutet, auch wenn die Gewinne kurzfristig niedrig sein mögen. Cloud-basierte Software hat niedrige Grenzkosten, so dass die Unternehmen schnell skalieren können, ohne dass die Kosten proportional steigen. Investoren bewerten die Kundenakquise höher als kurzfristige Gewinne, da sie davon ausgehen, dass die Kunden im Laufe der Zeit mehr ausgeben werden. Salesforce zum Beispiel machte jahrelang Betriebsverluste, konnte aber seine Einnahmen jährlich um 25-30 Prozent steigern. Anleger sahen darin ein Zeichen für Marktdominanz und künftige Rentabilität.

Die Welteroberungsstrategien hatten einen realen Hintergrund: Nach der Finanzkrise 2007/9 fielen die Zinsen in vielen Industrieländern auf null oder nahe null. Anleger konnten es sich leisten, Risiken einzugehen, und waren bereit, länger auf Gewinne zu warten. Dies führte zu höheren SaaS-Bewertungen und belohnte Unternehmen, die dem Ertragswachstum Priorität einräumten.

Wenn die Zinsen niedrig sind, ist der Abzinsungssatz für künftige Cashflows niedriger, wodurch langfristige Gewinne wertvoller werden. Die Anleger konzentrierten sich auf die langfristige Marktdominanz und nicht auf die kurzfristige Rentabilität. Die Logik der Investoren war, dass ein SaaS-Unternehmen, das heute einen ausreichenden Marktanteil erobert, später profitabel sein wird.

Unternehmenswert versus freie Cashflow-Marge

Unternehmenswert versus freie Cashflow-Marge Rule of 40 vs Rule of X
Quelle: FactSet

Ab 2022 änderten sich die Investitionsbedingungen dramatisch.

Investoren konzentrierten sich nicht mehr auf Wachstum um jeden Preis, sondern auf Rentabilität und Cashflow-Effizienz. Mehrere makroökonomische und marktspezifische Faktoren treiben diesen Wandel voran.

Im Jahr 2022 hoben die Notenbanken die Zinsen aggressiv an, um die Inflation zu bekämpfen. Damit ging die Nullzins-Ära jäh zu Ende. Die Bedingungen für die SaaS-Bewertungen wurden neu kalibriert.

Höhere Zinsen verringern den Gegenwartswert künftiger Cashflows und machen langfristiges, unrentables Wachstum weniger attraktiv. Die Bewertungen brachen ein – SaaS-Unternehmen, die im Jahr 2021 mit einem Umsatzmultiplikator von über 20 gehandelt wurden, fielen auf das 5-8-fache des Umsatzes oder sogar noch darunter. Die Investoren verlangten Rentabilität, da die Finanzierung teurer wurde.

Öffentliche und private Investoren wurden aufgrund der makroökonomischen Unsicherheit risikoscheu. Unternehmen, die schnell wachsen, aber Geld verbrauchen, wurden unattraktiv. Die SaaS-Börsengänge gerieten ins Stocken, und unrentable Unternehmen hatten Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung.

Nach 2022 verlangen die Investoren nun ein Gleichgewicht zwischen Wachstum und Rentabilität. Im Allgemeinen spielt jedoch das Wachstum eine wichtigere Rolle als die Rentabilität. Warum ist dies der Fall?

SaaS-Unternehmen arbeiten nach einem Modell mit wiederkehrenden Einnahmen, was bedeutet, dass die heutige Kundenakquise zu einem mehrjährigen Cashflow führt. Ein Unternehmen hat die Wahl zwischen der Auszahlung von 1 Dollar heute oder der Investition von 1 Dollar, um jedes Jahr auf Dauer eine Rendite zu erzielen – Unternehmen sollten immer dem Wachstum, das zu positiven Erträgen führt, Vorrang vor kurzfristigen Gewinnen geben.

Schlussfolgerung: Die Marktdynamik entscheidet

Das Verhalten der Märkte ändert sich je nach dem makroökonomischen Umfeld. Eine einfache statische Regel kann für eine gewisse Zeit das Verhalten der Anleger recht gut erklären. Wenn sich jedoch die die Märkte bestimmenden Kräfte ändern, kommt es zu recht großen Verhaltensänderungen. Um das zugrunde liegende Verhalten wirklich zu verstehen, müssen die relevanten Faktoren dynamisch analysiert werden. Es macht einen Riesenunterschied, ob SaaS-Unternehmen in einem Nullzinsumfeld agieren, oder aber unter den Bedingungen eines US-Zinssatzes von fünf Prozent und mehr operieren müssen. Auch die Richtung der Zinsentwicklung ändert die Rahmenbedingungen für SaaS-Unternehmen, wie die Kurs-Rally im vierten Quartal 2024 gezeigt hat.

Downloadtabelle: Top Aktien nach der Rule of X 

Laden Sie hier eine Liste von Aktien herunter, die entsprechend der Rule of X günstig bewertet sind. Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass die Rule of X die Bewertung nicht vollständig erklärt und dass weitere Faktoren einen Einfluss haben.

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Autor

  • Stefan Hartmann

    Stefan schaut auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Derivate und Hedge Funds zurück. In seiner Tätigkeit als globaler Leiter des Quantitativen Research Teams bei ABN AMRO, hat er über 300 institutionelle Kunden in den USA, Europa und Asien zu allen Fragen des Investment Prozesses beraten. Zuvor war er 10 Jahre bei Salomon Smith Barney als Leiter des quantitativen Research Teams für Europa tätig, wo er Top Rankings in den großen Research Surveys erzielte. Stefan hat über 50 Research Veröffentlichungen zu allen Aspekten des Investment Prozesses in Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Währungen publiziert.

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Stefan Hartmann

Stefan schaut auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Derivate und Hedge Funds zurück. In seiner Tätigkeit als globaler Leiter des Quantitativen Research Teams bei ABN AMRO, hat er über 300 institutionelle Kunden in den USA, Europa und Asien zu allen Fragen des Investment Prozesses beraten. Zuvor war er 10 Jahre bei Salomon Smith Barney als Leiter des quantitativen Research Teams für Europa tätig, wo er Top Rankings in den großen Research Surveys erzielte. Stefan hat über 50 Research Veröffentlichungen zu allen Aspekten des Investment Prozesses in Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Währungen publiziert.

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