Stagflation 2022? Optionen für ein hässliches Marktszenario

12. November 2021

Stagflation droht

Eine schwächelnde Wirtschaft bei gleichzeitig steigenden Preisen (Stagflation): Das ist der Stoff, aus dem Angst an den Börsen gemacht ist. Oftmals wird das Beispiel der 1970-er Jahre als Proxy für Abwehrmechanismen bemüht. Aber die Welt ist heute eine andere. Wir blicken auf mögliche (relative) Gewinner eines Stagflationsszenarios.

In unserer Analyse gehen wir folgendermaßen vor: Wir schauen uns die Performance von Industriesektoren seit 1960 an, um die Frage nach den Folgen von Stagflationszenarien zu beantworten. Anschließend leiten wir daraus Handlungsempfehlungen für Anleger ab.


Es ist durchaus ein glaubhaftes Szenario, dass wir durch die andauernden Lieferkettenprobleme sowie steigenden Rohstoffpreisen in eine Marktphase eintreten, die durch steigende Inflation bei gleichzeitig geringem Wirtschaftswachstum gekennzeichnet ist. Es besteht dabei das Risiko, das die Notenbanken zu spät mit der Inflationsbekämpfung beginnen, bedingt durch die Hoffnung, dass es sich hier nur um eine temporäre Phase handelt, sodass diese außer Kontrolle geraten könnte. Gleichzeitig kann es dazu kommen, dass das Wirtschaftswachstum langfristig auf einem geringen Niveau verbleibt, da insbesondere südeuropäische Länder eine hohe Staatsverschuldung und eine mangelnde Reformbereitschaft aufweisen.

16 Stagflationsphasen identifiziert

Die bisherigen Erfahrungen der 70er Jahre zeigen, dass so ein Szenario überwiegend negative Auswirkungen auf die internationalen Aktienmärkte hat. Doch nicht alle Sektoren verlieren gleichermaßen. Welche halten sich relativ wacker? Blicken wir nun auf die Performance von Industriesektoren seit 1960, um diese Frage zu beantworten. Da Daten für die internationalen Aktienmärkte nur begrenzt verfügbar sind und die Datenqualität oft problematisch ist, haben wir uns bei dieser Fragestellung auf den amerikanischen Aktienmarkt beschränkt.

Bruttosozialprodukt vs. Inflation USA

Die obere Grafik zeigt den Verlauf der Inflation und des Bruttosozialproduktes in den USA von 1960 bis heute. Deutlich sichtbar sind mehrere langandauernde Phasen, in denen die Inflation wesentlich höher als das Wirtschaftswachstum war. Insbesondere in den 1970er Jahren wird dieser Zusammenhang deutlich. Wir definieren für unsere Zwecke Stagflationsphasen als solche, in denen das Wirtschaftswachstum unter 1,5 Prozent und die Inflation über drei Prozent lag.

Stagfaltion-Phasen der USA

Seit 1960 finden wir 16 Quartale, die unserer Definition von Stagflation entsprechen. Bei diesen vergleichen wir die Performance und das Risikoprofil von Industriesektoren mit denen im gesamten Untersuchungszeitraum.

Stagflation vs normale Märkte

Deutlich zu erkennen ist, dass sich für fast alle Sektoren das Risiko erheblich gestiegen ist in Marktphasen, die durch Stagflation gekennzeichnet waren. Diese Marktphasen gehen zudem bei vielen Sektoren mit klaren Performance-Einbußen einher. Besonders signifikant sind diese Kursverluste gerade bei Firmen, die den klassischen Zyklikern zuzuordnen sind. Zu nennen wären Automobil-, Bau-, Finanz- und Metallfirmen. Industriesektoren, die als „Save Havens“ fungieren, sind in den defensiven Industrien zu finden, wie zum Beispiel in der Nahrungsmittel-, Pharma- sowie Edelmetallindustrie.

Bedeutung der Sektorallokation steigt

Wir können klar erkennen, daß die Bedeutung der Sektorallokation in der Phase der Stagflation deutlich zunimmt. Während in normalen Marktphasen viele Sektorengruppen durch ähnliche Performance und Riskoprofile gekennzeichnet sind, ist in der Phase der Stagflation die Dispersion von Rendite und Risiko außerordentlich weit gefächert. Es zeigt sich, dass das Timing und die Allokation von zylischen Sektoren im Vergleich zu defensiven Sektoren viel schwieriger ist, da diese durch eine größere Homogenität der Aktienrenditen gekennzeichnet sind.
Die Schwierigkeit des Timing von zyklischen Phasen liegt daran, da zyklische Sektoren in der Phase nach einer Marktbodenbildung outperformen. Zu diesen Zeiten herrscht die größte Volatilität für Aktienmärkte generell. Die Allokation, also die Auswahl einzelner Industriesektoren, ergibt sich daraus, daß die Performance dieser Aktien durch wenig Homogenität gekennzeichnet ist. Die folgende Graphik zeigt diesen Sachverhalt exemplarisch für einen Zeitraum in 2020-2021.

Defensive Aktien vs Zyklische Aktien

Von High-Growth zu Value: Die Gefahr statischer Betrachtungsweisen

Ein Problem bei der Analyse von Industriesektoren ist, dass es sich um eine statische Betrachtungsweise handelt, die strukturellen Veränderungen der Industriesektoren und deren Entwicklung im Zeitablauf nicht Rechnung trägt. Über längere Jahreszeiträume sind strukturelle Veränderungen auf Sektorebene immer wieder zu sehen.
So war der Telekommunikationssektor als Komponente des TMT Ende der 90er Jahre ein Wachstumssektor und wurde mit einer annualisierten Volatilität von 80 Prozent auf einem enormen Bewertungsniveau gehandelt, welches heutzutage unvorstellbar für diesen Sektor wäre. In der Phase der Marktkorrektur in den Jahren 2000 bis 2003 verdunkelten sich die Aussichten für diesen Sektor, weil es sich herauskristallisierte, dass die Telekommunikationsunternehmen die enormen Summen für ihre Lizenzen nicht in Unternehmensgewinne würden übersetzen können. Daraufhin wurde der Sektor massiv abverkauft, so dass aus den Wachstumsunternehmen, Value-Aktien wurden, die am anderen Ende des Marktspektrums auf der Bewertungsskala zu finden waren.
Ein weiteres Beispiel für eine strukturelle Änderungen spiegelt sich im Retail-Sektor wider. Dieser galt lange Zeit als defensiver Sektor, veränderte sich jedoch seit einigen Jahren durch die fortlaufende Digitalisierung sowie die Entstehung und dramatische Ausweitung von Online Market Places zum Problemfall. Dies hat sich insbesondere durch die andauernde Gesundheitskrise maßgeblich beschleunigt und dazu geführt, dass die Retailunternehmen, die nicht früh genug bzw. strategisch effizient die Digitalisierung vorangetrieben haben, den Anschluss verpassten und so ihren defensiven Charakter verloren.
In der Phase des Lockdowns waren Unternehmen mit einer schwachen digitalen Plattform ihren Konkurrenten mit effizienter digitaler Platform weit unterlegen.
Auch der Materialsektor durchlief tiefgreifende strukturelle Veränderungen im Zeitablauf von Value zu Growth und anschließend wieder zurück zu Value. In den 90er Jahren wurde der Sektor als Valuevertreter gesehen, der wenig Kursphantasie und in erster Linie sich durch Dividendenzahlungen auszeichnete.
Das massive industrielle Wachstum in China von 2003 bis 2008, brachte allen Ländern die Rohstoffe produzieren, wie Australien, Kanada und einer Reihe von Entwicklungsländern einen Wachstumschub, der „langweilige“ Rohstofffirmen in Wachstumsunternehmen umwandelte. Die strukturellen Veränderungen der chinesichen Wirtschaft nach 2008 haben dazu geführt, dass sich der Sektor wieder zurückentwickelt hat.

Dynamische Sektorallokation für unsere Stagflation-Trade

Aus diesen Gründen beschränken wir uns beim Digital Leader Fund nicht auf einen statischen Industriesektor basierten Ansatz, sondern verfolgen eine dynamischen Vorgehensweise, in welcher wir die strukturellen Veränderungen an den Aktienmärkten berücksichtigen, sodass unser Portfolio kontinuierlich an die Marktstruktur angepasst ist. Konkret bedeutet dies, dass wir den Zusammenhang zwischen Aktienperformance und Makrofaktoren auf einer monatlichen Basis analysieren und bewerten.

Vier Phasen Wirtschaftszyklus

Wir haben dazu den Wirtschaftszyklus in vier Phasen eingeteilt. Unter der Analyse von Bewertung, Wachstum, Qualität, Risiko und Marktkapitalisierung ordnen wir allen Aktien eine Sensitivität zu den Wirtschaftszyklusphasen zu. Dies führt zu einem Ranking, welches einzelnen Aktien und damit auch zusammenfassend die Industriesektoren den makroökonomischen Phasen zuordnet. Die Definition des Wirtschaftszyklus basiert auf einer Reihe von Faktoren, wie Frühindikatoren, Gewinnrevisionen, Zinssätzen, Arbeitsmarktdaten und Kreditspreads. Die Auswahl und Gewichtung der Fundamentalfaktoren fuer die Berechnung der Sensitivitäten der einzelnen Phasen leiten wir aus der Performance von sogenannten Style-Portfolios ab.
Als Ergebnis sehen wir z.B., dass große Digitalunternehmen wie Facebook, Microsoft und Alphabet hohe Rankings für die Phasen Slowdown und Rezession besitzen, d.h. in diesen Marktphasen sind diese Aktien zu empfehlen. Da die Rankings für Boom und Aufschwung sehr negativ sind, bedeutet dies allerdings auch, dass diese Aktien bei einem zyklischen Marktaufschwung den Index in der Regel underperformen werden. Dass das Timing dieser Rotation eine Herausforderung ist, versteht sich von selbst. Aber die beste Grundlage für den Erfolg ist eine an den Dynamiken des Marktes ausgerichtete Analyse; die Geschichte wiederholt sich nur scheinbar.

Um das Problem mit der statischen Sektorenanalyse zu umgehen und um aktuelle Sensitivitäten der Sektoren zum Makrozyklus zu erzielen, haben wir die Sensitivitäten individueller Aktien im S&P500 auf Sektorenbasis aggregiert und die Ergebnisse auf Sektor-Ebene berechnet.
Die Sektoren, die gegen die Stagflation am besten gewappnet sind und von der digitalen Transformation profitieren, haben wir in der folgenden Tabelle aufgelistet. Wie schon erwartet sind dies Sektoren, die Nahe am Konsumenten sind, wie Internet & Direct Marketing Services und Interactive Media &Services, aber auch Software und Biotechnology sind hier vertreten.

Disclaimer

The Digital Leaders Fund und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Upstart. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Stefan Hartmann

    Stefan schaut auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Derivate und Hedge Funds zurück. In seiner Tätigkeit als globaler Leiter des Quantitativen Research Teams bei ABN AMRO, hat er über 300 institutionelle Kunden in den USA, Europa und Asien zu allen Fragen des Investment Prozesses beraten. Zuvor war er 10 Jahre bei Salomon Smith Barney als Leiter des quantitativen Research Teams für Europa tätig, wo er Top Rankings in den großen Research Surveys erzielte. Stefan hat über 50 Research Veröffentlichungen zu allen Aspekten des Investment Prozesses in Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Währungen publiziert.

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Stefan Hartmann

Stefan schaut auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Derivate und Hedge Funds zurück. In seiner Tätigkeit als globaler Leiter des Quantitativen Research Teams bei ABN AMRO, hat er über 300 institutionelle Kunden in den USA, Europa und Asien zu allen Fragen des Investment Prozesses beraten. Zuvor war er 10 Jahre bei Salomon Smith Barney als Leiter des quantitativen Research Teams für Europa tätig, wo er Top Rankings in den großen Research Surveys erzielte. Stefan hat über 50 Research Veröffentlichungen zu allen Aspekten des Investment Prozesses in Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Währungen publiziert.

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