Die Taktische Asset Allocation wird oft als Investment-Strategie missverstanden. Noch immer hält sich der Glaube an den Fondsmanager, der bei Marktveränderungen immer „das Richtige“ macht. Doch wie wichtig ist die kurzfristige Taktik im Vergleich zur langfristigen Investmentstrategie? Und wie sieht die Bilanz derer aus, die die Taktik zum Prinzip erkoren haben? Eine kritische Bilanz.
Inhaltsverzeichnis
Von Bewertungen, Umschichtungen und Crashs
Vor wenigen Tagen brachte die Financial Times einen längeren Artikel über den Trade eines renommierten Fondsmanagers in den USA. Aktien seien stark überbewertet, weshalb er die Aktienquote in seinem Fonds von 70 auf 55 Prozent reduziert habe, zitierte die FT David Giroux von T. Rowe Price.
Nun muss man wissen, dass Giroux kein Feld-Wald-Wiesen-Fondsmanager ist. Sein Wort hat in der Szene Gewicht. Giroux managt unter anderem den 52 Milliarden Dollar schweren Mischfonds T. Rowe Price Capital Appreciation (nur in den USA zum Vertrieb zugelassen). Der Fonds zählt zu den erfolgreichsten Aktien-Renten-Fonds in den USA. Giroux hat seit 2006 eine beachtliche Erfolgsserie hingelegt.
Laut der Fonds-Rating-Agentur Morningstar zählte der Fonds in acht von neun vollen Jahren seit 2011 zu den besten 25 Prozent der Fonds seiner Kategorie. Nur 2016 landete er im zweiten Quartil; 2021 lag Giroux bisher weit vor der Konkurrenz, und er kann sich die berechtigte Hoffnung machen, auch in diesem Jahr erneut zu den Besten zu zählen.
Der T. Rowe Price Fondsmanager hat an entscheidenden Wendepunkten an den Märkten richtig gehandelt. So hat Giroux Ende 2007 und Ende 2019 Aktien verkauft. Spiegelbildlich hatte er 2008, 2011 und 2018 Aktien gekauft. Im Finanzjargon spricht von man bei solchen kurzfristigen Unter- und Übergewichtungen von taktischer Asset Allocation (TAA).
Dirk Müller: Mit viel Taktik und gegen die Wand
Wir springen über den großen Teich und kommen nach Europa. Auch hierzulande macht ein Fondsmanager von sich reden. Der ehemalige Kursmakler Dirk Müller berät einen Fonds. Der Dirk Müller Premium Aktien hat den Auftrag, „überwiegend in großkapitalisierte Unternehmen“ zu investieren, wobei der Anlageschwerpunkt „in den Regionen Nordamerika/Europa“ liege.
Blickt man auf die Performance, dann wird jedoch schnell klar, dass der Fonds so gut wie nichts mit einem globalen Aktienportfolio gemein hat. Auch wenn der Fonds in hochwertige Aktien wie Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon oder Nike schwerpunktmäßig investiert, haben Anleger des 500 Millionen Euro schweren Fonds in den vergangenen Jahren nicht an der Entwicklung der Aktienmärkte partizipiert. Wer vor fünf Jahren in einem hypothetischen Investment 10.000 Euro in den MSCI World investierte, konnte sein Vermögen auf gut 18.000 Euro steigern. Der Dirk Müller Aktien Premium erwirtschaftete einen Verlust. Er machte aus 10.000 Euro rund 9.400 Euro.
Woher diese Divergenz kommt? Fondsberater Dirk Müller sichert seine Aktienpositionen „taktisch“ ab. Und zwar immer dann, wenn er der Meinung ist, dass eine Korrektur an den Märkten droht. Und da Müller, wie es sich für einen Crash-Guru gehört, ständig und überall Gefahren lauern sieht, hat er in den vergangenen Jahren sehr oft das Fonds-Portfolio abgesichert. So oft, dass die Rating-Agentur Morningstar den Fonds inzwischen wegen seines erratischen Performance-Bildes als flexiblen Mischfonds einstuft.
Man kommt nicht umhin zu konstatieren, dass hier die Absicherung der Aktien gegen Kursverluste die Performance dominiert. Dabei ist die Underperformance des Dirk Müller Fonds so dramatisch, dass das Ziel, Anlegern die Partizipation an der Kursentwicklung globaler Aktien zu ermöglichen, als gescheitert angesehen werden muss. Wer vor fünf Jahren in den Dirk Müller Fonds investierte, hat fünf hervorragende Aktienjahre verpasst. So etwas lässt sich kurzfristig nicht wettmachen.
TAA versus SAA: Eine Abgrenzung
Vor dem Hintergrund dieser beiden Extrembeispiele wollen wir heute erläutern, was unter Taktische Asset Allocation (TAA) zu verstehen ist. Ist es die Müllersche Trading-Variante? Oder reflektiert das besonnene Wirken von David Giroux das Wesen der TAA?
Wer über TAA spricht, muss sich zunächst über den Gegenpol Klarheit verschaffen: die strategische Asset Allocation (SAA). Die SAA entspricht der langfristigen Vermögensstrukturierung. Auf Ebene der Anleger entspricht die SAA den Renditezielen unter Einbeziehung seiner Risikotragfähigkeit.
Auf Ebene eines Fonds drückt sich die SAA in der Investmentstrategie aus. So wird ein Value-Fonds unter Anwendung von bestimmten Kennzahlen, wie beispielsweise das Kurs-Gewinn-Verhältnis, in unterbewertete Aktien investieren, um langfristig eine Outperformance zu erzielen.
Ein Growth Aktienfonds wird wiederum andere Kennzahlen und Methoden nutzen, um eine Benchmark oder Konkurrenzfonds zu überwinden. Hier stehen in der Regel Wachstumsfaktoren, etwa das Umsatz- oder Gewinnwachstum, im Vordergrund. Langfristig sollen also bei Growth- oder bei Value-Fonds die fundamentalen Kennziffern die Linie Vorgeben. Ebenso wie bei Mischfonds ein bestimmtes Verhältnis zwischen Aktien und Anleihen die richtige Mischung zwischen Risiko und Ertrag widerspiegeln.
Die SAA soll also die Linie vorgeben, nach der das Vermögen – egal, ob auf Fonds- oder auf Anlegerebene – verwaltet werden soll. Unterstellt man, dass Aktien-Investieren langfristig ist, bezieht sich die TAA immer auf die SAA. Die TAA stellt eine kurzfristige Abweichung von der als Norm definierten Strategie dar; sie sollte dabei die SAA ergänzen bzw. robuster machen, sie aber nicht überlagern.
SAA und TAA: Wag the tail oder wag the dog?
Die TAA kann auf verschiedenen Parametern beruhen, etwa auf makroökonomischen Daten, bzw. Veränderungen bei diesen (Zinsen, Wachstum, Inflation o.ä.); sie kann auf unternehmensbezogenen Größen (Veränderungen beim Gewinn, den Bewertungen o.ä.) reagieren. Oder aber auf markttechnische Verschiebungen (Charttechnik, Momentum, Sentiment-Indikatoren o.ä.).
Es stellt sich die Frage, wie TAA und SAA zusammenwirken sollen. Biegt die TAA die SAA zu stark, dann droht diese zu brechen. Siehe Dirk Müller. Die TAA kann also im Extremfall ein Risiko für die Erfüllung der finanziellen Ziele von Anlegern bzw. der Einhaltung der Fondsstrategie darstellen.
Dabei ist der T. Rowe Price Capital Appreciation insofern ein Ausnahmefall, als er langfristig und konstant sehr erfolgreich ist. Andererseits geht Giroux bisher nach Lehrbuch vor: Er behält das große Ganze im Blick, die TAA besteht hier aus Feinjustrierungen. Laut Fondsstrategie soll sein Fonds eine Aktienquote von zwischen 50 und 70 Prozent aufweisen. Giroux hat sich also bisher innerhalb seiner vordefinierten Bandbreite bewegt. Die TAA und die SAA haben sich also aufs Vorzüglichste ergänzt.
Auch die Durchschnitte sprechen eine klare Sprache
Kommen wir nun von den Extremrändern zu den Durchschnitten. Generelle Aussagen lassen sich anhand eines Vergleichs taktischer Mischfonds und Mischfonds mit stabilen Aktien-Renten-Quoten treffen. Am einfachsten ist dies bei Mischfonds in den USA möglich, wo es eine dezidierte Gruppe taktischer Mischfonds gibt.
In der unteren Tabelle haben wir taktische Mischfonds mit zwei Kategorien verglichen, die sich durch eine SAA auszeichnen: Mischfonds mit einer Aktienquote von zwischen 30 und 50 Prozent und Mischfonds, die eine Aktienbandbreite von zwischen 50 und 70 Prozent aufweisen. Als Datenpunkte haben wir die Rendite, das Risiko, die risikoadjustierte Rendite und den maximalen Verlust aufgeführt.
Nachrichtlich haben wir auch die Rendite-Risiko-Kennzahlen der beiden oben besprochenen T. Rowe Price Capital Appreciation und Dirk Müller Premium Aktien aufgeführt.
Wie die obere Tabelle zeigt, haben taktische Mischfonds die schlechteste risikoadjustierte Rendite in den vergangenen fünf und zehn Jahren erzielt. Strategisch ausgerichtete Fonds, sowohl die defensiveren (30-50) als auch die offensiveren (50-70), hatten eine höhere Sharpe Ratio.
Die Volatilität der TAA Fonds und auch der maximale Verlust waren höher als bei den defensiveren Mischfonds, und selbst die Performance war auf Sicht der vergangenen zehn Jahre schwächer. Die Volatilität der TAA Fonds war zwar geringfügig niedriger als bei Mischfonds mit einer Aktienquote von zwischen 50 und 70 Prozent, aber die Rendite war deutlich schwächer.
Die schwächeren Ergebnisse der TAA Mischfonds geht auch auf die höheren Kosten zurück. Offenbar sind die Anbieter taktischer Fonds der Meinung, dass sie einen Aufschlag gegenüber herkömmlichen Mischfonds verdienen. Die Realität stützt diese Selbsteinschätzung freilich nicht.
Flexible Mischfonds in Europa gehen taktisch vor
In Europa werden diese Ergebnisse tendenziell widergespiegelt. Flexible Mischfonds, die TAA Fonds am ehesten nahekommen, schneiden deutlich schwächer ab als ausgewogene Mischfonds, die typischerweise eine Aktienquote von zwischen 35 und 65 Prozent haben.
Während flexible Mischfonds große Freiheiten bei der Festlegung ihrer Aktienquote haben, sind die Fondsmanager ausgewogener Mischfonds eher an Leitplanken gebunden. Wie die untere Tabelle zeigt, können Leitplanken hilfreich sein. Ausgewogene Mischfonds erwirtschaften eine bessere Rendite unter Inkaufnahme geringerer Risiken als flexible Mischfonds. (Auch hier haben wir nachrichtlich unsere beiden Musterfonds aufgeführt.)
Ein Blick auf die Entwicklung der Aktienquoten der beiden Mischfondskategorien deutet an, dass die Manager flexibler Mischfonds häufig traden, aber dabei weniger erfolgreich sind, als die Manager ausgewogener Mischfonds. Flexible Mischfonds geben bei der Entwicklung der Aktienquoten ein deutlich volatileres Bild ab. Interessant ist dabei, dass im Schnitt die Aktienquote der beiden Kategorien in den vergangenen fünf Jahren mit knapp 45 Prozent nahezu identisch war. Die Streuung um den Mittelwert war bei den flexiblen Mischfonds indes deutlich höher. Man fühlt sich hier an das Klischee des mexikanischen Scharfschützen in den klassischen Western erinnert, der wild herumballert, aber wenig trifft.
Fazit: Taktische Asset Allocation darf nicht überschätzt werden
Beginnen wir unser Fazit mit den beiden ausführlich besprochenen Fonds, die so gar nichts miteinander gemein haben. Während der stark von der Taktik geleitete Dirk Müller Fonds eine katastrophal schlechte Bilanz aufweist, geht David Giroux beim T. Rowe Price Fonds bei der TAA deutlich behutsamer vor. Er war damit extrem erfolgreich.
Das Scheitern von Dirk Müller ist allerdings ebenso wenig repräsentativ für Taktische Asset Allocation Fonds wie der bemerkenswerte Erfolg von David Giroux bei strategisch aufgesetzten Strategien. Es handelt sich um Extrembeispiele. Allerdings bestätigen die Ergebnisse unseres breit angelegten Vergleichs auf Ebene von Fondskategorien, dass TAA nur als Kalibrierung strategisch ausgerichteter Portfolios verstanden werden sollte; sie darf keinesfalls die SAA dominieren. Der vergleichsweise geringe Erfolg von TAA Fonds ist dabei Legende.
Regelmäßig das Portfolio fein zu justieren, ist absolut in Ordnung. Sich dagegen von kurzfristigen Zielen leiten zu lassen und hektisch Entwicklungen an den Märkten zu antizipieren oder auf sie zu reagieren, ist es nicht. Wer reagiert, wird das Geschehene nicht ungeschehen machen, und wer in Antizipation auf eine Entwicklung alles auf eine Karte setzt, fordert das Schicksal regelrecht heraus.
Daher sind die Leitplanken, die uns die SAA vorgibt, so wertvoll. Sie geben uns halt. Erst sie erlauben es den Portfolio-Lenkern, klare Kante zu zeigen und das Investment-Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
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Disclaimer
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.
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