Teladoc und Livongo Fusion: Was kommt nun?

13. August 2020

Teladoc Livongo Fusion - Bild von beiden Unternehmenslogos nebeneinander

Seit dem Start von The Digital Leaders Fund in 2018 waren wir in einem wichtigen Bereich der Digitalisierung unterinvestiert: Digital Health. Die digitale Transformation des Gesundheitswesens schreitet weltweit unaufhaltsam voran – auch wenn das in Deutschland nur sehr langsam spürbar wird. Bisher waren wir nur mit den Operations-Assistenz-Robotern vom Weltmarktführer Intuitive Surgical in diesen Markt investiert. Hier kannst Du unsere Beiträge zum Intuitive Surgical Investment Case nachlesen.

Die ganz aufmerksamen Betrachter unserer Portfolio-Aufstellung unter Euch haben aber schon bemerkt, dass wir vor einigen Wochen mit Livongo ein zweites Digital-Unternehmen aus dem Healthcare-Sektor in unser Portfolio aufgenommen haben.

In der vergangenen Woche wurde nun bekannt, dass Livongo und Teladoc fusionieren und ein marktführendes Digital Health-Unternehmen schaffen wollen. Die herausragenden Quartalszahlen von Livongo sind da fast schon ein bisschen untergegangen. Aber eins nach dem anderen. Mit diesem Artikel möchten wir Livongo/Teladoc erstmals hier im Blog vorstellen.


Was macht Livongo?

Livongo Health beschäftigt sich mit der Entwicklung und dem Betrieb einer digitalen Gesundheitsplattform für Verbraucher. Sie bietet Patienten Lösungen für Diabetes, Bluthochdruck und der Behandlung von Übergewicht an. Das Kerngeschäft ist das Coaching von Diabetes-Patienten im täglichen Leben.

Das Unternehmen stellt den Mitgliedern u.a. vernetzte Blutzucker-Messgeräte zur Verfügung. Die Gesundheitsdaten werden von Livongo in der Cloud gesammelt, mit KI-unterstützen Algorithmen ausgewertet. Patienten bekommen daraufhin Hinweise zum Verhalten im täglichen Leben und zur Verhinderung beziehungsweise bei Bedarf Bekämpfung von akuten Symptomen.

Das Unternehmen wurde 2008 von dem Serial Entrepreneur und heutigen Chairman Glen E. Tullman gegründet, der damit auf die Erkrankung seines Sohnes an Diabetes reagierte. Livongo hat seinen Hauptsitz in Mountain View im Silicon Valley.

Vor fast genau einem Jahr erfolgte der IPO an der NASDAQ, in den vergangenen 12 Monaten erwirtschaftete Livongo $258 Millionen Umsatz, bei einem rein organischen Wachstum von 128 Prozent.

Die Kunden von Livongo sind derzeit vor allem die größeren Arbeitgeber in den USA. Über 30 Prozent der Fortune 500 Unternehmen bieten ihren Arbeitnehmern mittlerweile die Mitgliedschaft auf der Livongo-Plattform als Gesundheitsleistung im Rahmen ihrer Beschäftigung an.

Was macht Teladoc?

Teladoc Health bietet telemedizinische Services über Smartphone und Web via Video und Telefon an. Das heißt Teladoc bietet den Patienten die Möglichkeit, kurzfristig und online einen passenden Arzt konsultieren zu können.

Das Dienstleistungs- und Lösungsportfolio deckt verschiedene medizinische Bedürfnisse ab: von nicht dringenden, einmaligen virtuellen Arzt-Besuchen bei Grippe und Infektionen bis hin zu chronischen, komplizierten Erkrankungen wie Krebs und Herzproblemen.

Das Unternehmen wurde 2002 von George Brooks gegründet und hat seinen Hauptsitz in der Nähe von New York. In 2015 erfolgte der IPO an der NYSE, in den vergangenen 12 Monaten erwirtschaftete Teladoc $716 Millionen Umsatz und ist damit fast 3x so groß wie Livongo, bei einem – auch durch Akquisitionen unterstützten – Wachstum von 36 Prozent.

Teladoc und Livongo Fusion - Tools und Benutzeroberflächen auf Bildschirmen von beiden Unternehmen

Teladoc und Livongo – Der Merger

Die Fusion beider Unternehmen soll durch eine Übernahme von Livongo durch Teladoc im Rahmen eines Aktientauschs mit zusätzlicher Barabfindung abgewickelt werden. Konkret bekommen Livongo Aktionäre für ihre Aktien je 0,592 Teladoc Aktien und zusätzlich 11,33$ je Livongo Aktie.

Damit werden die heutigen Livongo-Aktionäre zukünftig circa 42 Prozent des kombinierten Unternehmens halten, die heutigen Teladoc-Aktionäre halten dann noch circa 58 Prozent.

Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Deals am 5. August wurde Livongo damit zu $18,5 Milliarden bewertet. Insgesamt sollte das neue Unternehmen damit zu circa $44 Milliarden bewertet werden – auf der Basis der Aktienkurse von Livongo und Teladoc vor Bekanntgabe des Mergers wohlgemerkt.

Das ist ein überaus stolzer Preis für das kombinierte Unternehmen, das nach der Fusion 2020 circa $1,3 Milliarden Umsatz machen wird. Auch wenn das avisierte pro forma Wachstum von 85 Prozent gegenüber Vorjahr für ein Unternehmen dieser Größenordnung außergewöhnlich ist und eine hohe Bewertung rechtfertigt.

Dieses Wachstum rührt vor allem aus dem explosiven dreistelligen Wachstum des Umsatzstroms, den Livongo mit in die Ehe bringt. Teladoc wuchs vor dem Merger wesentlich langsamer –  das tatsächliche Wachstum (ausgewiesen werden 36 Prozent für die vergangenen 4 Quartale) lag bisher bereinigt um Akquisitionen eher bei 20-25 Prozent.

Zudem ist das Livongo-Geschäft mit Bruttomargen über 75 Prozent deutlich attraktiver als das Teladoc-Business, das in den letzten 12 Monaten auf eine Bruttomarge von 64 Prozent kam.

Teladoc und Livongo Fusion - Tabelle mit den Finanzkennzahlen beider Unternehmen

Livongo ist also wesentlich kleiner als Teladoc, wächst jedoch wesentlich schneller bei einer höheren Bruttomarge. Das erklärt, warum die Livongo Aktionäre deutlich überproportional am neuen Unternehmen beteiligt sein werden.

Für uns war Livongo bisher das wesentlich attraktivere Investment, an dem wir kürzlich für unseren Fonds eine Einstiegsposition erworben hatten. Wir hatten uns in der Vergangenheit auch Teladoc mit Interesse angeschaut, aber die Aktie als überbewertet empfunden.

Einschätzung des Teladoc Livongo Mergers

Aus Sicht der Teladoc-Aktionäre ist das unserer Meinung nach ein attraktiver Deal. Die mit einem EV/Sales Verhältnis >20 in jüngster Zeit überbewertete Teladoc-Aktie dient als Akquisitionswährung für den Kauf eines der besten Digital Health Unternehmens, das sich auch eigenständig zum Challenger für Teladoc hätte weiterentwickeln können.

Aber ist der Merger auch für Livongo-Aktionäre attraktiv?

Ich bin da etwas gespaltener Meinung:

Grundsätzlich war Livongo auch als unabhängiges Unternehmen auf einem tollen Weg. Sicherlich auch unterstützt von der Corona-Krise ist der Umsatz zuletzt im Q2 um 125 Prozent gewachsen. Die Anzahl der Mitglieder des Livongo Diabetes Netzwerks ist dreistellig auf über 410.000 gewachsen. Das Unternehmen ist trotz des rasanten Wachstums bereits Cashflow-positiv und mehr als ausreichend finanziert. Von außen betrachtet lief die Unternehmensentwicklung also ziemlich perfekt.

Warum stimmen die Livongo-Großaktionäre dennoch der Fusion mit Teladoc zu?

Zunächst einmal gibt es durch die Fusion erhebliche Synergieeffekte sowohl auf der Umsatzseite als auch auf der Kostenseite zu heben. Teladoc hat 51 Millionen zahlende Mitglieder, denen man nun im Falle von Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht die Livongo-Produkte anbieten kann. Auch die existierenden Versicherungs-Kooperationen, Corporate-Kunden, tausende angeschlossene Ärzte etc, können genutzt werden, um das Wachstum bei Livongo weiter zu befeuern.

Die Firmenlenker von Teladoc und Livongo haben nach eigener Aussage zudem erkannt, dass man früher oder später in einen knallharten Wettbewerb miteinander verwickelt worden wäre, wenn es nicht zu diesem frühzeitigen Zusammenschluss kommt.

Offenbar wollte Livongo dem aus dem Weg gehen. Und der ausgehandelte Deal, bei dem Livongo-Altaktionäre 11,33$ pro Aktie kassieren und zukünftig 42 Prozent am gemeinsamen Unternehmen halten, ist sicherlich insbesondere für die Risikokapitalgeber, die frühzeitig vorbörslich bei Livongo eingestiegen sind, ein attraktiver Exit. Denn sie erhalten ein Vielfaches dessen als Baranteil, was sie seinerzeit investiert hatten und sind zukünftig an einem führenden Digital-Health-Unternehmen beteiligt.

Wir normalen Aktionäre müssen nun mit dem Merger leben und entscheiden, ob wir an der neuen Teladoc beteiligt sein wollen.

Die Reaktion der Börse seit der Bekanntgabe des Mergers am 5. August zeigt, dass einige Aktionäre wenig von den Plänen halten. In den wenigen Börsensitzungen seitdem hat die Livongo Aktie 20 Prozent und die Teladoc Aktie sogar 26 Prozent ihres Wertes verloren.

Allerdings muss man diese Entwicklung auch im Kontext der aberwitzigen Kurssteigerung der beiden Corona-Gewinner-Aktien in den vergangenen Monaten sehen. Seit Jahresbeginn ist die Livongo Aktie auch nach der dringend notwendigen Korrektur immer noch um 360 Prozent gestiegen. Und auch Teladoc-Aktionäre freuen sich noch immer über dreistellige Kursgewinne.

Vergleich Charts Teladoc Aktie und Livongo Aktie

Teladoc und Livongo – Fazit

Der Markt ist gerade dabei, die zukünftige Teladoc/Livongo-Aktie neu zu bewerten. Nach der Euphorie der vergangenen Monate scheint man nun etwas realistischer auf das Unternehmen zu blicken. Der Unternehmenswert wird deutlich unter den $44 Milliarden liegen, die sich noch Anfang August errechneten.

In der Theorie sollte hier eines der führenden Digital Health Unternehmen der Welt geboren werden. Aber in der Praxis ist es ein weiter Weg, zwei Unternehmen mit unterschiedlichen Unternehmenskulturen so zusammenzuführen, dass sie eine neue gemeinsame Identität entwickeln, die unabdingbar ist für eine langfristig erfolgreiche Entwicklung.

Wir werden zunächst unsere Einstiegsposition weiter halten und genau beobachten, wie der Merger der verschiedenen Unternehmenskulturen in der Praxis funktioniert. Unsere sehr überschaubare Gewichtung der Livongo-Aktie ist auch zu verstehen als ein Startpunkt, von wo aus wir uns noch intensiver mit der Digitalisierung im Gesundheitsmarkt beschäftigen werden. Wenn Du die weitere Entwicklung von Teladoc/Livongo gemeinsam mit uns verfolgen willst, dann kannst Du jetzt hier unseren kostenlosen Newsletter bestellen, um nichts zu verpassen.

Disclaimer
The Digital Leaders Fund und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Teladoc/Livongo. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Stefan Waldhauser

    Stefan war in seinem gesamten Berufsleben in der High-Tech-Industrie tätig. Er hat sein eigenes Software-Unternehmen gegründet, internationalisiert und vor einigen Jahren ins Silicon Valley verkauft. Der Wirtschaftsmathematiker investiert seit über 30 Jahren in Aktien. Er verwaltet eines der erfolgreichsten investierbaren Musterportfolios auf der wikifolio Plattform.

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Stefan Waldhauser

Stefan war in seinem gesamten Berufsleben in der High-Tech-Industrie tätig. Er hat sein eigenes Software-Unternehmen gegründet, internationalisiert und vor einigen Jahren ins Silicon Valley verkauft. Der Wirtschaftsmathematiker investiert seit über 30 Jahren in Aktien. Er verwaltet eines der erfolgreichsten investierbaren Musterportfolios auf der wikifolio Plattform.

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2 Antworten

  1. Ihr Investment bei Livongo war mir schon vor ein paar Wochen aufgefallen – und es war die erste Position Ihres Portfolios, die ich nicht verstehen konnte.

    Alle Ihre Portfolio-Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie besitzen einen erheblichen technologischen Vorsprung vor anderen Unternehmen und damit einen deutlichen Burggraben. Bei Livongo kann ich diesen jedoch absolut nicht erkennen. Die Bedienung der Geräte fühlt sich mehr als altbacken an; in puncto Look & Feel könnten diese problemlos auch aus den 90er-Jahren stammen. Zwar ist Livongo mit einer Kooperation mit Dexcom nun dieses Jahr auch auf den CGM-Zug aufgesprungen, das hauseigene Diabetes-Messgerät ist technologisch hingegen jedoch vollkommen veraltet. Außerdem reiht sich Livongo brav in die Regie jener Unternehmen ein, die neuerdings recht simple Algorithmen unter dem schönen Buzzword KI verkaufen: Geräte, die den Nutzern großteils lediglich vollkommen banale Empfehlungen liefern, beispielsweise etwas mehr Wasser zu trinken oder doch ein wenig mehr Sport zu treiben, sind wohl nicht gerade das, was man von einem modernen Digital-Health-Unternehmen erwarten würde. Meiner Meinung nach lebt Livongo derzeit von einem sehr starken, aber auch recht kurzfristigen Momentum. Es dürfte nur eine Frage einer überschaubaren Zeitspanne sein, bis jemand auf dem Markt auftaucht, der diesen Sektor mit wirklich smarten Geräten und einer cleveren KI bespielt. Nach all den Eindrücken, die die Livongo-Hard- und -Software bei mir bisher hinterlassen hat, glaube ich nicht daran, dass Livongo am Ende dieser Player sein wird.

    Auch Teladoc stehe ich ein wenig kritisch gegenüber. Hier sehe ich bislang ebenfalls keinerlei Ansatz, der von Konkurrenten nicht sehr schnell kopiert werden kann – und das mit Sicherheit werden wird. Abgesehen davon finde ich das Geschäftsmodell per se nicht sonderlich attraktiv, da es prinzipbedingt nur begrenzt skaliert und die erzielbaren Margen daher immer überschaubar bleiben werden.

    Als Ärztin interessiert mich dieser Sektor sehr stark und ich finde es ein wenig schade, dass es hier derzeit noch so wenige Investment-Möglichkeiten gibt, aber das dürfte sich in den kommenden Jahren hoffentlich deutlich ändern. Aktuell gefällt mir die Idee hinter Tabula Rasa ganz gut und ich bin gespannt, inwieweit sich deren Konzept durchsetzen kann. Außerdem finde ich Schrödinger spannend, da die Softwareplattform dieses Unternehmens etliche Probleme wesentlich besser als die Konkurrenz zu lösen weiß. Aber ein Digital-Health-Unternehmen, das mich rundum überzeugen würde, habe ich bislang leider noch nicht gesehen …

    Abschließend wollte ich Ihnen noch ein riesengroßes Lob für Ihren Blog aussprechen. Sie liefern hier zu absolut fantastischen Unternehmen mit jedem Beitrag sehr durchdachte und äußerst wertvolle Analysen. Dafür möchte ich Ihnen, lieber Herr Waldhauser und lieber Herr Irmak, sehr, sehr herzlich danken. Ihre Artikel bilden für mich den mit Abstand spannendsten deutschen Aktienblog. Machen Sie bitte weiter so, Sie leisten wirklich absolut begeisternde Arbeit!

    1. Liebe Frau Grögel,
      Vielen Dank für das große Lob und diesen ausführlichen Kommentar zu Livongo/Teladoc aus medizinischer Sicht!

      Insbesondere Ihre Einschätzung der Livongo Technologie und der verwendeten Algorithmen ist sehr interessant. Das Thema Burgraben haben wir natürlich auch diskutiert – meiner Meinung nach besteht er weniger in der Technologie als in den Netzwerkeffekten. Hier geht es wohl darum sehr schnell sehr groß am Markt zu werden. Relativ geringe technologische Alleinstellungsmerkmale könnten dann wohl auch ein Treiber dieses Mergers sein.

      Ebenso erhellend ist es zu hören, dass eine am Aktienmarkt interessierte Ärztin wie Sie ebenso wie wir Schwierigkeiten dabei hat, ein rundum überzeugendes Digital Health Investment zu finden. Es bleibt spannend…

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