Trump-Zölle: Wie erfolgreich kann das Instrument geopolitischer Erpressung sein?

2. May 2025

Mit dem “Liberation Day” hat Donald Trump die Katze aus dem Sack gelassen: Die Trump-Zölle werden zum Instrument einer erpresserischen Geopolitik. Handelsschranken feiern das größte Comeback seit der Zeit des Merkantilismus. Unsere historische Rückschau, zeigt, wie anachronistisch und zugleich bedrohlich die Trump-Zölle sind. 

Die Trump-Zölle als historisches Experiment

Die Ziele der Trump-Zölle sind nicht nur die Wiederauferstehung der amerikanischen Industrie. Sie sollen auch als Tool einer neuen US-Hegemonie dienen und Handelspartner mit erpresserischen Methoden gefügig machen. Wer die Erfolgsaussichten der Trump-Zölle verstehen will, muss etwas in die Geschichte zurückgehen und die Grundlage des heutigen Welthandelssystems vor Augen führen. Nur dann wird deren Tragweite deutlich. Die heutige Welthandelsordnung ist das Ergebnis jahrzehntelanger internationaler Zusammenarbeit. MAGA-Amerika schickt sich an, dieses selbst geschaffene Instrument der Nachkriegsordnung, die Grundlage der dominanten Stellung der USA, zu zerstören.

Die USA und ihre Partner schufen mit dem GATT (General Agreements on Tariffs and Trade) und später mit der WTO (World Trade Organization) Regelwerke, die in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß nicht nur Handelsschranken senkten, sondern auch ein Instrument waren für Transparenz, Reziprozität und Streitschlichtung. So hat die WTO zwischen 1995 und 2023 über 600 Streitfälle geschlichtet. Die säkularen Zollsenkungen nach dem Zweiten Weltkrieg verhalfen vielen Regionen zu Wachstum und neuem Wohlstand. Dafür nahm man in Washington in Kauf, dass im Zuge der weltweiten Arbeitsteilung andere Regionen stärker wuchsen als die USA – ohne, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, die USA seien der “Sucker” der globalen Staatengemeinschaft. 

Noch nie waren globale Lieferketten so komplex – laut OECD stammen im Automobilsektor bis zu 70 % der Wertschöpfung aus Vorleistungen aus mindestens fünf Ländern. Ein Auto, das in Deutschland gebaut wird, enthält sogar Teile aus Dutzenden Ländern. Zölle sind für die meisten Staaten kaum noch eine bedeutende Einnahmequelle, sie machen in den USA weniger als zwei Prozent des Haushalts aus. 

Die US-Zölle vom „Liberation Day“ 2025 sind zunächst auch weniger ein Mittel zur Staatsfinanzierung, auch wenn sie nach dem Willen Trumps perspektivisch ein Ersatz für Einkommenssteuern werden sollen. Sie sind aktuell in erster Linie ein Signal an die eigene Wählerschaft, dass es MAGA-America ernst ist mit dem Wahlversprechen, Arbeitsplätze in die USA zurückzuholen. Regelrecht sinister ist allerdings das Signal an Handelspartner der USA, dass man die bisherige internationale Handelsordnung auf den Kopf stellen will: Eine Rückkehr zu einem merkantilistischen System von Zöllen und bilateralen Verträgen soll die liberale globale Handelsordnung der Nachkriegszeit ersetzen. Das erinnert an die Welt des 19. Jahrhunderts. Ist das in einer Welt, in der Unternehmen und Produkte international verflochten sind, machbar? Oder treffen solche Maßnahmen nicht die eigene Wirtschaft? Warum Trump ein bekennender “Tariffs Guy” ist, lässt sich nur aus der Historie ableiten. Unsere Umschau.

Souveränität und fiskalische Staatsbildung: Zollräume bis zum 20. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert waren Zölle für viele Staaten lebenswichtig. In den USA kamen bis zum Bürgerkrieg mehr als 85 Prozent der Staatseinnahmen aus Zöllen, in Preußen rund 70 Prozent. Der Deutsche Zollverein, gegründet 1834, war nicht nur ein wirtschaftliches Integrationsprojekt Preußens, sondern auch ein wichtiger Schritt zur politischen Einigung. Die Abschaffung von mehr als 1.800 Binnenzöllen und die Einführung eines gemeinsamen Außenzolls schufen erstmals einen zusammenhängenden Binnenmarkt. Die Zollsätze blieben jedoch so hoch, dass man sich ausländische Konkurrenten vom Hals hielt. So wurden damit britische Industriewaren – vor allem Eisen und Textilien – vom deutschen Markt ferngehalten. Das förderte die Entwicklung einer eigenen Schwerindustrie. Die Zolleinnahmen ermöglichten zudem den Ausbau von Infrastruktur wie Eisenbahnen und die Finanzierung einer modernen Verwaltung. 

Doch die Geschichte von Zollregimen reicht noch viel weiter zurück. Im 17. Jahrhundert führte die merkantilistische Politik Frankreichs unter Jean-Baptiste Colbert zu Konflikten mit den Niederlanden und zur Verschärfung der Rivalität mit Großbritannien. Der Staatsmann Colbert zielte auf die Stärkung der französischen Wirtschaft durch Exportförderung ab, im Gegenzug sollten Importbeschränkungen den Aufbau einer staatlich gelenkten Industrie sichern. Der Colbertismus scheiterte letztlich an der Unvereinbarkeit von absolutistischer Machtpolitik, die auch aggressiv nach außen wirkte, und nachhaltiger Wirtschaftsplanung. 

In Großbritannien verlief die Entwicklung anders: Nach den Corn Laws 1846 setzte das Land auf Freihandel und senkte die Zölle drastisch. Der Wohlstand und die globale Dominanz des britischen Empires standen im krassen Gegensatz zur Entwicklung in Frankreich. Hier verzögerten die hohen Agrarzölle bis zur „loi Méline“ 1892 die Modernisierung der Landwirtschaft, was auch eine Landflucht zur Folge hatte. Das England von Adam Smith hatte es verstanden, dass alle davon profitieren, wenn jeder sich auf das konzentriert, was er am besten kann. 

In den USA wiederum wurden die Zölle nach dem Bürgerkrieg gezielt eingesetzt, um die eigene Industrie zu schützen. Die Morrill Tariffs (1861/1864) schützten die junge Stahl- und Maschinenbauindustrie, was die USA binnen weniger Jahrzehnte zur führenden Industrienation aufsteigen ließ. Nach der Trumpschen Mythenbildung war dies das “goldene Zeitalter”, das er durch seine Zollpolitik jetzt wiederbeleben will. 

1930 –1945: Wirtschaftskrise und der Kollaps der Weltordnung

Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre markierte einen historischen Wendepunkt: Mit dem Smoot-Hawley Tariff Act 1930 erhöhten die USA die Zölle auf über 20.000 Produkte, was Durchschnittssätze von bis zu 59 Prozent bedeutete. Die fiskalische Motivation war dabei sekundär – die Zolleinnahmen machten nur noch rund 10 % des Bundeshaushalts aus. Entscheidend war vielmehr der innenpolitische Druck, Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und Industrie zu retten. Die Folgen waren fatal: Über 25 Staaten, darunter Kanada, Frankreich und Deutschland, konterten mit eigenen Zollerhöhungen und Importverboten. Der Welthandel schrumpfte zwischen 1929 und 1933 um mehr als zwei Drittel, internationale Wertschöpfungsketten zerfielen. Die wirtschaftliche Autarkiepolitik – etwa in Nazi-Deutschland durch das „Neue Plan“-System – führte zu massiven Effizienzverlusten und Innovationsstau. 

Die internationale Ordnung zerbrach: Der UNO-Vorläufer, der Völkerbund, war ohne die USA, der Sowjetunion und dann ohne Japan und Deutschland ein Papiertiger. Die Weltwirtschaftskonferenz 1933 scheiterte an nationalen Egoismen. Erst die Kriegswirtschaft und die US-geführte Nachkriegsordnung setzten dem protektionistischen Teufelskreis ein Ende. Die Lehre aus dieser Periode war eindeutig: Unkoordinierte Zollerhöhungen in einem fragmentierten System führen zu globaler Depression und politischer Instabilität. Man würde sich wünschen, Trump würde sich zumindest die Highlights dieser Phase von seinen Beratern in einem gut leserlichen Handout näher ansehen. 

1947–1994: Die Ära des „Embedded Liberalism“ 

Mit dem GATT von 1947 begann eine Ära des systematischen Abbaus von Zöllen. Die USA und Westeuropa senkten in mehreren Runden die Zölle auf Industriegüter von durchschnittlich 40 Prozent (1947) auf unter 5 Prozent (1994). Doch der Freihandel war stets „embedded“ – eingebettet in nationale Sicherungssysteme, die die sozialen Kosten der Öffnung abfederten. Die Kennedy-Runde (1964–67) und die Tokio-Runde (1973–79) illustrieren das Prinzip: Zölle wurden gesenkt, aber Ausnahmen für Landwirtschaft und Textilien blieben bestehen. Die fiskalische Bedeutung der Zölle schwand rapide: In der Bundesrepublik sank ihr Anteil an den Staatseinnahmen von 15 Prozent (1950) auf unter 2 Prozent (1990), in Japan von 28 auf 1,7 Prozent. 

Dabei entfaltete die Verrechtlichung des Handels die  Dynamik der Globalisierung. Mit der Gründung der WTO 1995 wurden erstmals umfassende Streitbeilegungsmechanismen geschaffen, die nationale Alleingänge bestrafen konnten. Doch die Öffnung war nie vollständig: Die USA hielten an „Section 301“-Klauseln fest, die einseitige Strafmaßnahmen ermöglichten, und die EU schützte ihre Landwirtschaft über die gemeinsame Agrarpolitik. Die Globalisierung der 1980er und 1990er Jahre beruhte auf einer Mischung aus Marktöffnung und gezielter Industriepolitik – ein Modell, das heute unter Druck steht.

Trump-Zölle: Neo-Merkantilismus im Zeitalter der Hypervernetzung

Die Trump-Administration hat die Logik der Zölle radikal transformiert: Am “Liberation Day” wurden 10 Prozent pauschal auf alle Importe in die USA eingeführt. Zuvor waren bereits Zölle auf Aluminium und Stahl in Höhe von 25 Prozent verhängt worden. Nach einem Schlagabtausch Trumps mit der politischen Führung in Beijing werden nahezu auf  alle  chinesischen Güter Zölle von bis zu 145 Prozent fällig. Ziel der Zölle ist nicht mehr nur die Stärkung der heimischen Wirtschaft oder die Steigerung der Staatseinnahmen (deren Anteil am US-Haushalt bleibt marginal), sondern die Etablierung einer US-Hegemonie durch die strategische Schwächung von Rivalen und Handelspartnern. Dabei macht man sich in Washington nicht einmal die Mühe, die Zölle, mit denen man Handelspartner überziehen wird, sachlich zu begründen: Die “reziproken” Zölle, die am 9. April zunächst für 90 Tage ausgesetzt wurden, basieren auf einer haarsträubenden Berechnung: Wie hoch der Zoll ist “errechnet” sich nach Adam Stümper aus dem Handelsbilanzdefizit eines Landes gegenüber den USA geteilt durch 2. 

Werden die sogenannten reziproken Zölle durchgesetzt, hätte das auch für die US-Industrie verheerende Folgen, denn sie ist tief in globale Wertschöpfungsketten eingebunden – 54 Prozent der US-Pharmavorprodukte stammen aus China, 35 Prozent der Autoteile aus Mexiko und Kanada. Die Zölle verteuern daher nicht nur Importe, sondern auch Exporte, da US-Produkte teurer und weniger wettbewerbsfähig werden. Chinesische Unternehmen umgehen die Zölle durch Produktionsverlagerungen nach Südostasien: Die Exporte aus Vietnam in die USA stiegen zwischen 2018 und 2025 um 327 Prozent. 

Gleichzeitig reagieren andere Staaten mit Gegenmaßnahmen: Die EU verhängt Klimazölle (CBAM), China setzt auf Exportkontrollen bei seltenen Erden. Das alles hat die Märkte stark unter Druck gesetzt. Nach dem „Liberation Day“ sanken die US-Börsenindizes zweistellig. Die Reaktion bei Bonds und Währungen waren besonders bedrohlich: Die Rendite von US-Staatsanleihen schoss in die Höhe, zugleich brach der Dollarkurs gegenüber den meisten anderen G-7-Währungen ein. Da der Dollar und Treasuries als klassische Risk-off-Instrumente, als Krisen-Assets sind, wurde dies auch als Ausdruck des Vertrauensverlusts in die USA interpretiert. Kein Wunder, dass die US-Administration einknickte: Die sogenannten reziproken Zölle wurden – bis auf die gegen China – ausgesetzt, und gegenüber Beijing signalisierte Trump Verhandlungsbereitschaft. Aktuell scheinen die Märkte dem Szenario anzuhängen, wonach Trump weniger ein Revolutionär denn ein Papiertiger sei.

Ausblick: Fragmentierung und die Suche nach neuer Ordnung

Die globalen Reaktionen auf die US-Zölle deuten auf eine Fragmentierung der Handelsordnung hin. Die WTO ist durch die US-Blockade des Berufungsgremiums gelähmt, während China und die EU auf bilaterale und regionale Abkommen ausweichen könnten. Die EU setzt auf eine Renaissance des Multilateralismus, indem sie die WTO-Streitschlichtung reformieren und mit Sanktionsbefugnissen ausstatten will. China wiederum baut seine „Belt and Road“-Initiative zu einem alternativen Handelsraum aus, in dem Zölle bilateral ausgehandelt werden. Afrikas kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) reduziert Binnenzölle, erhöht aber Einfuhrsteuern auf europäische Fertigwaren, um die eigene Industrialisierung zu fördern. 

Ein anhaltender Zollkrieg würde verheerend wirken. In den vergangenen Wochen schwirrten verschiedenste Berechnungen und Szenarien durch den Äther. Die Weltwirtschaft könnte er bis 2030 bis zu 12 Billionen US-Dollar an Wohlstandseinbußen kosten, rechnete Aston University vor. Das französische Research-Institut CEPII erwartet bei einer Eskalation einen Kollaps des Handels zwischen China und den USA und einen grundlegenden Umbau und Regionalisierung der Handelsketten. Das ist auch eine Folge der Post-Covid-Reorganisatzion der Lieferketten. Laut PwC planen 63 Prozent der multinationalen Konzerne, ihre Lieferketten zu regionalisieren. Auch wenn historische Analogien ihre Grenzen haben: Ein Merkmal des Untergangs des weströmischen Reiches im fünften Jahrhundert war die Vereinfachung der Produktionsprozesse in den ehemaligen Reichsgebieten. Die hochorganisierten Produktionsnetzwerke und die komplexe staatliche römischen Infrastruktur wurden durch einfachere und regionale Strukturen ersetzt. Eine systematische Ent-Globalisierung wäre in jedem Fall ein Rückschritt für die globale Arbeitsteilung und eine Rückkehr zu Blockbildungen.

Die Geschichte der Zollregime zeigt, dass sie oftmals nicht ihre ökonomischen Ziele erreichen, aber immer auch als ein Ausdruck politischer Souveränität inszeniert werden. Der Deutsche Zollverein schuf die Grundlage für die preußische Hegemonie, Smoot-Hawley festigte Roosevelts innenpolitische Basis. Trumps „Liberation Day“ hat noch ambitioniertere Ziele: Es soll die industrielle Kernwählerschaft mobilisiert und zugleich den US-Handelspartnern Konzessionen abgepresst werden. Wer nicht sein Handelsdefizit ausgleicht mit einem Buy America-Plan, wird bestraft. Doch das ist ein risikantes Spiel, weil es die US-Partner in existenzieller Weise herausfordert: Wessen Souveränität gefährdet ist, reagiert nicht zwingend ökonomisch rational. Der Einsatz ist hoch in einer Welt, in der 70 Prozent des Handels auf Vorprodukte entfallen und die Wertschöpfungsketten global verteilt sind. 

Zölle wirken wie Strafsteuern auch auf die eigenen Exporteure. Es ist unklar, ob MAGA-Amerika wirklich bereit sein wird, als Zerstörer der US-Nachkriegsordnung in die Geschichte einzugehen. Protektionismus mag performativ mächtig wirken, ökonomisch ist er jedoch selten erfolgreich, und in einer Ära der Hyperglobalisierung ist sein Preis potenziell verheerend.

Autor

  • Ali Masarwah

    Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

    View all posts
Picture of Ali Masarwah

Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

Aktuelle Beiträge

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Neueste Beiträge

Tags

Neuste Kommentare

Twitter

Instagram