Die Twitter Aktien wurden im November 2013 erstmals an der NYSE notiert. Der erste Kurs lag bei 45 Dollar. Das ist ziemlich genau der Preis, für den wir auch heute die Twitter Aktie kaufen können. Der Boom der Tech- und Social Media Aktien ist also in den letzten acht Jahren unterm Strich völlig am Unternehmen vorbeigegangen. Was im kommenden Jahr anstehen könnte.

Jack Dorsey ist als Twitter CEO abgetreten
Außer Spesen nichts gewesen für die Twitter Aktionäre der ersten Stunde. Kein Wunder also dass der Gründer Jack Dorsey am 29. November 2021 zum zweiten Mal von der Firmenspitze zurückgetreten ist. Auch aus dem Twitter Board wird er sich nach einer Übergangszeit zurückziehen und damit Twitter in den kommenden Monaten komplett verlassen. Seine offizielle Begründung den eigenen Mitarbeitern gegenüber liest sich so:

Dorsey betont, dass er selbst die Entscheidung zum Rücktritt getroffen hat. Die beiden neuen Männer an der Firmenspitze, der neue CEO Parag Agrawal und Bret Taylor als Chairman of the Board, seien seine erste Wahl für die Zukunft von Twitter gewesen.
Davon kann man halten was man will. Für viele Investoren war der Rückzug von Jack Dorsey bei Twitter ein lange überfälliger Schritt. Er konnte in den vergangenen Jahren nicht wirklich nachweisen, dass er Twitter wie auch Square als Teilzeit-CEO in eine erfolgreiche Zukunft führen kann.
Ich selbst bin zwiegespalten. Einerseits bevorzuge ich gründergeführte Unternehmen und ein wahrhaft visionärer Jack Dorsey ist für Twitter nicht leicht zu ersetzen. Andererseits war es tatsächlich unübersehbar, dass Twitter immer wieder Probleme in der Umsetzung seiner Wachstumspläne und bei der Integration der zahlreichen Akquisitionen hatte. Auch die Schwächen im Produkt konnte man nie wirklich zufriedenstellend beseitigen.
Ein Ausflug in die Twitter Historie
Zur Erinnerung an die bewegte Twitter Geschichte: Es ist bereits das zweite Mal, dass Jack Dorsey als CEO von Twitter abtritt bzw. abtreten muss. Er leitete das Unternehmen nach der Gründung 2006 schon einmal bis 2008, bevor er nach Streitigkeiten von seinem Co-Founder, dem Serial Entrepreneur, Investor und Milliardär Evan Williams, abgelöst wurde.
Nach dem Ausscheiden von Williams kam Dorsey 2011 zunächst als Chairman of the Board zurück ins Unternehmen und begann damit, seine eigene Zeit zwischen Twitter und Square aufzuteilen, das er zwischenzeitlich 2009 gegründet hatte. Zwei Jahre nach dem Twitter IPO übernahm Dorsey 2015 inmitten eines rückläufigen Aktienkurses dann zum zweiten mal den CEO-Posten, um das schlingernde Twitter Schiff wieder auf Kurs zu bringen.
Dorsey trimmte das lange defizitäre Unternehmen in den Jahren danach zwar erfolgreich auf Profitabilität, aber es wurde zu wenig in die Entwicklung investiert, wohl um die nach dem Börsengang zunehmend unzufriedenen Investoren mit schwarzen Zahlen zufrieden zu stellen.
Mehrfach wurden Features hinzugekauft, weil sie intern nicht schnell genug entwickelt werden konnten und Twitter in der Entwicklung gegenüber anderen Social Networks zurückfiel. Die Zukäufe wurden schlecht integriert, es wurde in den vergangenen Jahren sogar eine umfangreiche Neuschreibung des zentralen Ad Servers nötig, um eine bessere zielgruppengesteuerte Vermarktung des Twitter Dienstes überhaupt erst zu ermöglichen.
Unterm Strich war bei Twitter keine nachhaltig erfolgreiche Weiterentwicklung des Produktes zu erkennen. Die Execution der immer schon großen Pläne war unter Dorsey einfach schwach. Oder aber er hatte selbst zu wenig Interesse an einer erfolgreichen Monetarisierung. Von den neuen Geschäftsmodellen, die 2020 auch auf Druck der aktivistischen Aktionäre von Elliott Management Corp. diskutiert wurden, ist jedenfalls bis heute noch immer so gut wie nichts umgesetzt.
Im Frühjahr 2021 hatte Jack Dorsey das Ziel ausgegeben, den Twitter Umsatz bis Ende 2023 auf 7,5 Milliarden Dollar zu verdoppeln. Nun wird er selbst nicht mehr den Beweis antreten müssen. Stattdessen gibt es jetzt neue Leute an der Firmenspitze, die es richten sollen.
Was ist von der neuen Twitter Spitze zu erwarten
Die Vorschusslorbeeren des Marktes für den neuen CEO Agrawal blieben aus. Nachdem die Twitter Aktie mit dem Rücktritt von Jack Dorsey kurzfristig zweistellig zulegte, fiel der Kurs wieder in sich zusammen, nachdem bekannt wurde, dass Agrawal der neue CEO sein würde.
Einige Analysten kritisierten, dass Agrawal als bisheriger CTO für die Defizite in der Produktentwicklung zumindest mitverantwortlich gewesen sei. Viele Investoren hätten einen kompletten Neuanfang mit einer Persönlichkeit von außen lieber gesehen.
Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, dass Agrawal von Dorsey jahrelang ausgebremst worden sein könnte. Aber wir sollten ihm eine Chance geben, sich zu beweisen. Zumindest hat er seine CEO sehr energisch angetreten. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt gab er eine Reorganisation seiner Führungsmannschaft (“mehr persönliche Verantwortung”) und das Ausscheiden einiger Führungskräfte (“kürzere Entscheidungswege”) bekannt.
Dem neuen CEO zur Seite steht als Chairman of the Board ab sofort Bret Taylor, der erst kürzlich neben Marc Benioff als Co-CEO von Salesforce installiert wurde. Bret hat einen beeindruckenden Lebenslauf vorzuweisen: Er war in jungen Jahren Softwareentwickler und sogar mal CTO bei Facebook, hat dann seine eigene Company (Quip) gegründet und nach nur vier Jahren 2016 für 750 Millionen Dollar an Salesforce verkauft. Jack Dorsey hat ihn 2016 ins Board von Twitter geholt, und es ist schon bemerkenswert, dass jetzt mit dem Ausscheiden von Dorsey ausgerechnet Taylor an die Spitze gerückt ist.
Twitter ist nun eine Übernahmekandidat
Der neue Twitter CEO ist wohl nicht der große Wurf, der eine neue Ära bei Twitter prägen könnte. Er hat die Fehlentwicklungen der letzten Jahre zumindest mit zu verantworten und wird diesen Makel nicht so leicht abschütteln können.
Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass ein nun mit mehr Beinfreiheit ausgestatteter Agrawal der Richtige ist, um in einer Übergangszeit von ein bis zwei Jahren Twitter von der technischen Seite her fit zu machen für einen möglicherweise anstehenden Verkauf des Unternehmens.
Bret Taylor ist als Chairman mit seinem erstklassigen Netzwerk der Richtige, wenn es um das Ausloten der besten strategischen Optionen geht. An Kandidaten für eine Übernahme von Twitter mangelt es sicher nicht.
Nicht in Frage kommen wohl Facebook (aus kartellrechtlichen Gründen) und auch Salesforce (da man einen solchen Deal nach der Slack-Übernahme kaum finanzieren könnte).
Ich tippe eher auf Microsoft, die mit LinkedIn und Twitter zusammen eine echte Social Media Macht schmieden könnten.
Noch spannender wäre für Twitter-Aktionäre wohl eine Fusion mit CNN. Das Nachrichtennetzwerk gehört derzeit zu Time Warner, die derzeit nach der völlig missratenen Akquisition wieder von AT&T abgespalten und mit Discovery fusioniert werden. Damit soll eine ernstzunehmende Streaming Alternative zu Netflix und Disney+ geschaffen werden.
Eventuell könnte in diesem Zuge in der Kombination von CNN und Twitter ein neuer Medienriese entstehen. Spannende Gedankenspiele zu einer möglichen Twitter/CNN Fusion gab es schon vor einem Jahr von dem New Yorker Business School Professor Scott Galloway, der selbst Twitter Aktionär ist und damals für seine Ideen bei den Verantwortlichen geworben hat.
Fazit und Prognose zur Twitter Aktie
Ich erwarte nach dem Abgang von Jack Dorsey einen Verkauf bzw. eine Fusion von Twitter innerhalb der nächsten 36 Monate. Das Unternehmen wird bei einem Kurs von 45 Dollar aktuell mit einem Enterprise Value von unter 35 Milliarden Dollar bewertet, das entspricht einem EV/Sales Verhältnis von 7.
Das ist nicht zu teuer, wenn man davon ausgeht, dass die ausgegebenen Unternehmensziele mit einem mittelfristigen Umsatz von 7,5 Milliarden Dollar und einer deutlichen Steigerung des Cashflows tatsächlich realistisch sind.
Meiner Einschätzung nach wird die Übernahme von Twitter mit einem deutlichen Aufgeld gegenüber der aktuellen Kurse verbunden sein, sofern es überhaupt soweit kommt. Das Risiko eines weiteren Kursverfalls sollte gerade im Vergleich zu vielen immer noch hoch bewerteten Software Aktien eher begrenzt sein. Insgesamt bietet die Twitter Aktie auf dem aktuellen Niveau ein ordentliches Chance/Risikoverhältnis für geduldige Aktionäre.
Disclaimer
The Digital Leaders Fund und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Twitter. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Stefan war in seinem gesamten Berufsleben in der High-Tech-Industrie tätig. Er hat sein eigenes Software-Unternehmen gegründet, internationalisiert und vor einigen Jahren ins Silicon Valley verkauft. Der Wirtschaftsmathematiker investiert seit über 30 Jahren in Aktien. Er verwaltet eines der erfolgreichsten investierbaren Musterportfolios auf der wikifolio Plattform.
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