Kurz vor Jahresende 2021 kamen wir bei Kursen um 45 Dollar zum Schluss, dass Twitter ein Übernahmekandidat ist. Elon Musk muss unseren Blog gelesen haben, denn er hat ab Januar 2022 insgesamt 9,2 Prozent der Aktien gekauft. Sein Einstandspreis wird auf 39 Dollar geschätzt. Am 13. April hat Musk dann ein formales Übernahmeangebot für alle Aktien bei einem Kurs von 54,20 Dollar pro Aktie (also im Wert von insgesamt 43,4 Milliarden Dollar) gemacht. Dieses Angebot hat der Twitter Aufsichtsrat am 25. April angenommen.
Im The DLF haben wir den darauffolgenden Kursanstieg auf über 50 Dollar genutzt, um unsere Position zu verkaufen. Unsere Einschätzung Mitte April lautete, dass die Risiken die Upside in den Schatten stellten.
Einfluss der Märkte?
Über die nächsten Wochen verdüsterte sich die Nachrichtenlage. Der Krieg in der Ukraine führte zu einer Verknappung von Energie und Rohstoffen, die Preise explodierten und die Wachstumsaussichten trübten sich ein. Das ging auch am Aktienmarkt nicht vorbei und Tech Aktien mussten deutlich Federn lassen. Seit Jahresanfang liegen die Aktien von SNAP 70 Prozent im Minus, Meta Aktien haben 52 Prozent und Pinterest Anteilscheine 49 Prozent verloren. Twitter Aktien lagen daher aufgrund der Übernahme bis vor kurzem noch im Plus. Musk dürfte gedämmert haben, dass er den Deal zwei Monate nach seiner Offerte zu einem deutlich günstigeren Preis hätte haben können.
Bots vor Gericht
Bereits am 13. Mai setzte Musk die Vereinbarung unter Hinweis auf die ungewisse Anzahl an Fake Accounts und Bots “on hold”. Es folgte ein teilweise über Twitter Tweets geführtes Hin und Her, das an mancher Stelle komödienhaft wirkte. Viele Marktteilnehmer sehen hinter den Bots einen Vorwand den Deal zu beenden.
Der Ankündigung Musks am 8. Juli, die Transaktion einseitig zu beenden, folgte am 12. Juli Medienberichten zufolge eine Klage von Twitter bei den Gerichten in Delaware. Der abgesagte Deal wird offenbar ein ernstes Nachspiel haben. Musk beruft sich dabei auch auf einen sogenannten Material Adverse Change. Dabei geht es um innere und äußere Faktoren die den Wert des Unternehmens deutlich beeinflussen und üblicherweise im M&A Verträgen detailliert aufgeführt sind.
Die meisten Experten sehen die Chancen Musks vor Gericht als gering an. In den letzten 25 Jahren sei in Delaware nur ein Deal von den Gerichten rechtskräftig terminiert worden und die Argumentation Musks sei eher dünn. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit Musk realistisch zum Vollzug der Transaktion gezwungen werden kann. Die Vertragsstrafe von einer Milliarde Dollar ist für sich genommen angesichts einer Marktkapitalisierung von 26 Milliarden jedenfalls keine entscheidende Größe. Hindenburg Research, sonst eher für spekulatives Short Research bekannt, will im Hinblick auf eine um ein vielfaches höhere Zahlung eine Long Position von unter 5 Prozent aufgebaut haben.
Es muss nicht nicht unbedingt zu einem Urteil kommen. Es ist durchaus möglich, dass die Parteien in den nächsten Wochen und Monaten eine Einigung finden werden. Der Worst Case für alle Beteiligten wäre eine lange gerichtliche Auseinandersetzung, die Twitter zu einer lame Duck machen würde. Genau das sollte bei Twitter zu Kompromissbereitschaft führen. Natürlich wäre aber auch das Auftauchen eines weißen Ritters möglich, der die Gunst der Stunde nutzen könnte.
Bewertung und Fazit
Aus heutiger Sicht sind eine Vielzahl von Szenarien vorstellbar. In solchen Fällen hilft immer ein Blick auf die Bewertungen. Mit einem 2022 EV/EBITDA von 15,6 und einem EV/Sales von 4,5 befindet sich das Unternehmen auch nach dem Kurssturz auf 34 Dollar eher am oberen Ende der Peer Group Bewertungen. Die in den Merger Terms genannten Wachstumsraten von 13,9 Prozent (2022-2027) sind genauso wie auch der Bloomberg Konsensus von 17,6 Prozent p.a. für 2022-2024 eher durchschnittlich. Bei der Efficiency Ratio steht Twitter mit 29 in der Peer Group an letzter Stelle. Auch die Bewertung pro User ist mit 59 Dollar beim monthly User und mit 115 Dollar beim daily User eher im Mittelfeld.
Damit ist das Unternehmen auch nach dem Kurssturz im Vergleich zur Konkurrenz kein Schnäppchen. Allerdings gelten die Argumente für ein deutlich besseres Monetarisierungspotential nach wie vor. Die Frage ist, ob das aktuelle Management nach dem Debakel noch haltbar ist. Es ist durchaus möglich, dass ein weiterer Käufer auf die Bühne tritt, allerdings wohl erst, wenn das Musk Kaufangebot juristisch vom Tisch ist. Aber auch Musk könnte versuchen, den Deal auf niedrigerem Niveau weiter zu verfolgen.
Wir werden die Aktie in den nächsten Wochen beobachten. Sollte der Kurs weiter fallen, weil es ruhig wird und die Aktionäre die Geduld verlieren, könnte sich bei Kursen unter 30 Dollar eine Kaufgelegenheit ergeben.
Disclaimer
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Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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