Update US-Banken: leuchtende Vergangenheit, ungewisse Zukunft

18. April 2024

Die großen US-Banken, allen voran JPMorgan, haben seit Freitag vergangener Woche ihre Zahlen für das abgelaufene Quartal veröffentlicht. Die Erwartungen wurden größtenteils übertroffen. Die Großbanken profitieren von der robusten US-Wirtschaft. Die Reaktionen der Anleger reflektieren allerdings die unsichere Zukunft. Was uns die Zahlen sagen. 

Wenn US-Banken ihre Geschäftszahlen vorlegen, ist das nicht nur für die Banken als solche relevant; die Zahlen geben auch Einblicke in die konjunkturelle Großwetterlage. Banken sind die Transmissionsriemen zwischen Geldpolitik und der Realwirtschaft, und in der heutigen Situation lechzen Anleger nach Klarheit über die Folgen der hohen Zinsen für Verbraucher und Konjunktur. Was lässt sich also aus den seit vergangenem Freitag vorgelegten Zahlen herauslesen?

Gewinnerwartungen der US-Banken werden übertroffen

Fangen wir mit den Headline-Zahlen an. JPMorgan Chase machte am vergangenen Freitag den Anfang, und der Marktführer setzte gleich ein Zeichen: Der Nettogewinn stieg im ersten Quartal um 6,3 Prozent auf 13,42 Milliarden US-Dollar. Damit wurden die Erwartungen der Analysten übertroffen (alle Zahlen im Vorjahresvergleich). Auch der Umsatz fiel mit einem Plus von 11 Prozent auf 40 Milliarden Dollar höher als erwartet aus.

Auch Wells Fargo und Citigroup, die ebenfalls Ende vergangener Woche berichteten, konnten die Erwartungen übertreffen, doch besonders spektakulär waren die Anfang dieser Woche vorgelegten Zahlen von Goldman Sachs. Der Nettogewinn schoss um 28 Prozent nach oben – mit 4,1 Milliarden Dollar wurden die Erwartungen der Analysten um fast eine Milliarde Dollar übertroffen. Nach dem gescheiterten Ausflug ins Retail Banking konnte Goldman im Investmentbanking überzeugen. Auch Morgan Stanley punktete im Kapitalmarktgeschäft, auch wenn das Wachstum nicht so spektakulär wie bei Goldman Sachs ausfiel.

Die Ergebnisse reflektieren die hervorragenden Bedingungen für die US-Banken in den vergangenen Jahren. Die Konjunktur brummt und zugleich sind die Zinsen von nahe Null auf 5,25 bis 5,5 Prozent gestiegen. Nach dem dürren Null-Zins-Jahrzehnt ist die Zinsmarge regelrecht explodiert: Der aggregierte Net Interest Income lag bei den großen vier Geschäftsbanken JPMorgan, BoA, Wells Fargo und Citi im Jahr 2023 bei 253 Milliarden Dollar – 19 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Banken haben davon profitiert, dass sie die Einlagenzinsen nur verzögert, Kreditzinsen dagegen zeitnah an das neue Regime angepasst haben.

Krisen der Vergangenheit: mehr als nur Fußnoten?

Die Krise der US-Regionalbanken im vergangenen Jahr, die Anleger damals in Atem hielt, machte sich bei den großen US-Banken allenfalls als Fußnote bemerkbar – in Gestalt von Sonderbeiträgen für die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC). Das Pendant zu den hiesigen Einlagensicherungsfonds der Banken hat die Verluste unbesicherter Einlagen bei gescheiterten Banken wie First Republic oder SVB geschultert. Die Rechnung, die US-Banken jetzt abstottern müssen, begleichen Großbanken aus der Portokasse, wie die Zahlen zum ersten Quartal zeigen.

Nicht so komfortabel sieht die Lage aus bei den US-Regionalbanken aus. Sie leiden nach wie vor darunter, dass Anleger immer mehr Geld aus niedrig verzinsten Einlagenkonten abziehen und in Geldmarktfonds investieren; zugleich mindert der jüngste Renditeanstieg den Wert von Anleihenportfolios. Auch das Exposure zu faulen Immobilienkrediten ist für diese Institute ein Problem. Die ehemalige FDIC-Chefin Sheila Bair hat jüngst von „kritischen Schwächen“ der kleineren Häuser gewarnt. Allein im April hat der SPDR S&P Region Banking ETF knapp neun Prozent verloren.

Die Stärke des US-Arbeitsmarkts und das robuste BIP-Wachstum lassen mitunter vergessen, dass die Ausfälle bei Autokrediten und im Kreditkartengeschäft zuletzt deutlich gestiegen sind. So befinden sich 7,7 Prozent der Autokredite in unterschiedlichen „Delinquency“-Stadien, im Kreditkartengeschäft sind sogar 8,5 Prozent der Kredite seit mehr als 90 Tagen fällig. Die steigenden Pleiten betreffen vor allem niedrige und mittlere Einkommen.

Immerhin kommt derzeit Entwarnung bei US-Studienkrediten, die eine schwere Bürde für die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen darstellen. Diese hohen bzw. sehr teuren Kredite könnten sich zur Gefahr für die US-Konjunktur entwickeln. Allerdings arbeitet die Biden-Administration an einem staatlichen Entschuldungsprogramm, das sich offenbar als wirkungsvoll erweist.

Die Risiken für den bisher bärenstarken US-Konsumenten haben sich noch nicht bei den Großbanken durchgeschlagen, im Gegenteil: Die US-Großbanken berichten unisono über aufgelöste Rücklagen für faule Kredite.

Allerdings reagieren Anleger nervös. Nach Bekanntgabe der Zahlen rutschte der Kurs der JPMorgan-Aktie um sechs Prozent nach unten. In dieser Woche fielen die Kurse der US-Banken deutlich stärker als der – ebenfalls schwächere – US-Markt. Der breit aufgestellte iShares S&P US Banks ETF sackte um gut acht Prozent ab. Was hat Investoren umgetrieben? 

12 Monate Übersicht der US-Banken

Chart US-Banken
Performance in US Dollar | Stand: 17.4.2024 | Quelle: Morningstar

Leuchtende Vergangenheit – ungewisse Zukunft

Anleger verschreckt derzeit das „higher for longer“-Szenario, das immer mehr zur Gewissheit wird. Die Zinsen werden wegen der hartnäckigen Inflation länger hoch bleiben. Anfang des Jahres haben Investoren noch sechs Zinssenkungen in den USA erwartet, jetzt zeichnet sich ab, dass es wohl eher zwei werden. Dass es derzeit die Bank-Aktien besonders hart trifft, ist nur scheinbar erstaunlich.

Es hängt damit zusammen, dass höhere Zinsen, die prinzipiell der Nettozinsmarge der Banken zugutekommt (wie in den vergangenen 18 Monaten gesehen), ein zweischneidiges Schwert sein kann. Je länger das Regime höherer Zinsen anhält, desto mehr werden Anleger mehr Zinsen für ihre bislang wenig bis nicht verzinsten Sparkonten verlangen. Entsprechend sind in den vergangenen 12 Monaten die Deposit-Zinsen deutlich gestiegen – allerdings im Zweifel nicht genug: Bei Citi liegt die Verzinsung von Sparkonten derzeit im Schnitt bei 3,7 Prozent, bei JPMorgan sind es nur 2,85 Prozent und bei Wells Fargo sogar nur bei 2,34 Prozent. Wer seine Liquidität dagegen in Geldmarktfonds parkt, kann in den USA mit Renditen von nördlich fünf Prozent rechnen. Entsprechend sind die Assets in Geldmarktfonds in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

US-Anleger setzen immer stärker auf Geldmarktfonds

US-Banken Grafik
Quelle: Board of Governors of the Federal Reserve System (US) | fred.stlouisfed.org

Doch die Zweischneidigkeit hat noch eine weitere Dimension. Hohe Zinsen können für Banken zum Bumerang werden, wenn Unternehmen und Verbraucher Schwierigkeiten bekommen, die Kredite zu bedienen bzw. zu höheren Konditionen fällig gewordene Kredite zu rollieren. Dass es unterhalb der scheinbar ruhigen Oberfläche rumort, zeigt die Tatsache, dass JPMorgan und Co. im ersten Quartal von einem rückläufigen Wachstum der Kreditvergabe berichten. Hier erinnern die gequält optimistischen Ausführungen von BoA-Chef Brian Moynihan und CFO Alastair Borthwick im Earnings Call an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. Moynihan wollte die Botschaft unbedingt positiv verpacken, was ihm allerdings nicht richtig gelingen wollte.

„All speaks to people feeling fine, but they’re not quite as aggressive as they would be when you read the economic statistics. And that’s one of the great debates you can read about in the paper every day.”

Anleger haben in dieser Woche eher auf die Ausblicke geachtet. Die großen Banken erwarten stagnierende bis sinkende Zinsmargen. Besonders dürften sie dem kritischen Ausblick von JPMorgan-Chef Jamie Dimon Gehör geschenkt haben. Dieser trennte in seinen Ausführungen auf dem Earnings Call zwischen dem komfortablen Status Quo und dem unsicheren Ausblick. Den Konsumenten gehe es derzeit gut, die Arbeitslosigkeit sei niedrig, die Häuserpreise seien gestiegen, wie auch die Aktienmärkte, ein wichtiger Indikator für den Wohlstand der amerikanischen Verbraucher. Er warnte allerdings vor den Gefahren einer Rezession, die „keinen überraschen sollte“. Hier brachte Dimon nicht nur die Folgen der geopolitischen Krisen in Nahost und der Ukraine für die Energiepreise ins Spiel, sondern auch die Folgen der expansiven US-Fiskalpolitik.

Der JPMorgan-Chef machte damit darauf aufmerksam, dass Anleger bisher auf die Folgen der restriktiven Geldpolitik der US-Notenbank fixiert sind, derweil sich der US-Staat zur Finanzierung von Bidens Konjunkturprogrammen immer stärker verschuldet. Das US-Haushaltsdefizit wird in diesem Jahr laut dem IWF bei 7,1 Prozent des US-BIP liegen. Zum Vergleich: für Deutschland werden weniger als 2 Prozent, für die Eurozone rund 3 Prozent geschätzt. Das massive US-Defizit könnte die Inflation weiter anheizen. Das US-Defizit stelle ein „signifikantes Risiko“ für die Weltwirtschaft dar, warnte der IWF in seinem aktuellen Ausblick für dieses Jahr

Insgesamt stehen die großen US-Banken allerdings Stand heute solide da. Die sinkenden Zinsmargen belasten zwar den Ausblick, aber je nach Konjunkturszenario haben sie mehrere Ertragsquellen. Sollten die Zinsen stabil bleiben oder sinken, wird die Kreditnachfrage wieder zunehmen.  Häuser wie Goldman Sachs, JPMorgan und Morgan Stanley verfügen zudem durch ihre Standbeine im Investment Banking, Kapitalmarktgeschäft und im Asset und Wealth Management über diversifizierte Geschäftsmodelle. Im Kapitalmarktgeschäft und Investment Banking haben die Amerikaner kaum noch ernstzunehmende Konkurrenz. Im ersten Quartal haben sowohl M&A-Transaktionen als auch IPOs wieder zugenommen. Aktuell sieht es danach aus, als würden die Investmentbanken den Retail-Banken wieder den Rang ablaufen. Nur ein Szenario fürchten alle Banken gemeinsam: Eine harte Landung der US-Wirtschaft. Die ist allerdings bisher ausgeblieben.

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Autor

  • Ali Masarwah

    Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

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Ali Masarwah

Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.

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