Der Countdown läuft. Noch sind es 16 Tage bis zum 20. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas. Dieser tagt nur alle fünf Jahre, und die Entscheidungswege sind intransparent. Deshalb brodelt auch dieses Mal die Gerüchteküche. In zwei Artikeln zeigen wir auf, was Xi Jinping anpacken muss.
Aktuell ist in China die Aufregung groß. Besonders die anstehenden personellen Veränderungen an der Führungsspitze werden unmittelbar Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung Chinas haben. Hier wird also Geschichte geschrieben. Aber wegen der Intransparenz der Entscheidungsprozesse in der Spitzenpolitik mangelt es auch nicht an Gerüchten so kurz vor dem großen Ereignis. So wurde am Wochenende auf Twitter behauptet, dass in Peking ein Putsch stattgefunden hat und Xi Jinping vom Militär in Gewahrsam genommen wurde.
Von Putsch kann nicht die Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Wenige Wochen vor dem 20. Parteitag der KP China ist es in Peking Business as usual: Xi stampft weiterhin jede Opposition nieder und sendet ein lautes und klares Signal. Innerhalb von drei Tagen wurden mindestens sechs hochrangige Beamte festgenommen oder wegen Korruptionsvorwürfen zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Darunter auch der ehemalige Justizminister Fu Zhenghua 傅政华, der höchstpersönlich in 2013 dafür gesorgt hat, den gerade ins Amt gehobenen neuen Präsidenten Xi Jinping von seinen schärfsten Rivalen Bo Xilai 薄熙来 und Zhou Yongkang 周永康 zu befreien. Die innerparteiliche Opposition, soweit sie noch besteht, wird dies äußerst aufmerksam und verängstigt mitverfolgt haben.
Und bereits vor dem entscheidenden Partei-Event ist klar, dass Xi mit Sicherheit seine dritte Amtszeit bekommen wird. Ein Zweifel kann daran nicht mehr bestehen, obwohl noch immer viel darüber debattiert wird. Was aus meiner Sicht aber gravierender ist und viel weniger diskutiert wird, ist die Tatsache, dass nicht damit zu rechnen ist, dass Xi im Oktober einen Nachfolger benennen wird. Dies hat Tradition und findet gemeinhin mit einem Vorlauf von fünf Jahren statt. Problem ist auch, dass keiner im Augenblick jemanden identifizieren kann, der die Statur und Anerkennung genießt. Die KPC ist eine Einmann-Show geworden und die Chinesen sowie der Rest der Welt müssen sich darauf einstellen, dass Xi Jinping mindestens noch zehn Jahre, wenn nicht sogar länger, regieren wird. Xi ist jetzt 69 Jahre alt. Mao Zedong hat es bis 83 geschafft und Deng Xiaoping hat effektiv noch bis ins hohe Alter von 85 Jahren die Zügel in der Hand gehalten. Und da haben wir nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Mao Zedong. Wenn man einmal das Schaubild unten betrachtet, wird auch schnell klar, dass der Personenkult um Xi Jinping in den letzten Jahren selbst den vom großen Steuermann Mao zu Zeiten der Kulturrevolution überschritten hat.
Doch es stellt sich nun vermehrt die Frage, ob der neu gewählte Steuermann die massiven Herausforderungen annehmen und die drängendsten Probleme in den Griff bekommen kann. Ich habe mal die aus meiner Sicht wichtigsten fünf Punkte herausgegriffen und kurz beleuchtet.
In Teil 1 beleuchte ich die Zero-Covid Politik und Chinas Position im Russland-Ukraine Krieg. Im zweiten Teil folgen thematisch dann die Regulierung des Technologiesektors, die Immobilienblase und das heiße Thema Taiwan. Es wird also spannend. Auf geht’s!
Zero-Covid Policy
Das mit Abstand dringendste Thema ist die Aufhebung der Zero-Covid Politik. Chinas Wirtschaft liegt de facto am Boden. Das BIP-Wachstum im zweiten Quartal lag bei erbärmlichen 0,4 Prozent, ein negatives Wachstum wurde nur dank der noch recht soliden Exportzahlen verhindert. Doch auch für den Exportsektor sieht es demnächst angesichts der drohenden globalen Rezession nicht mehr rosig aus: Während das Exportwachstum auf Jahresebene im Juli noch bei 23,9 Prozent lag, wuchsen die Ausfuhren im August nur noch mit 11,9 Prozent.
Auf den einheimischen Immobiliensektor, auf den wir noch später eingehen werden und der traditionell zwischen 20 bis 30 Prozent des chinesischen BIPs ausmacht, ist ebenfalls kein Verlass mehr. Und der chinesische Verbraucher geht auch nicht mehr so einkaufen wie früher. Erstens, weil es schwierig ist, wenn man eingesperrt im Lockdown hockt. Und zweitens, weil das Vertrauen in die eigenen Vermögenswerte – 70 Prozent davon stecken in Immobilien –gelinde gesagt, etwas gelitten hat.
Die Weltbank hat diese Woche ihre Wachstumsprognose für China für 2022 von 5 Prozent auf 2,8 Prozent heruntergesetzt. Dies haben im Übrigen die meisten Investmentbanken längst getan, denn keiner –selbst die Männer (und die eine Frau) im Politbüro –glaubt mehr an das noch im März ausgegebene Ziel von 5,5 Prozent. Damit wird China zum ersten Mal seit 1990 langsamer wachsen als der Rest von Asien.
Selbst der in der Vergangenheit recht diplomatisch agierende Chef der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, kann in seinen Medienbeiträgen die Frustration mit Chinas Zero-Covid Politik kaum noch verbergen. Das jüngst von seiner Kammer verabschiedete Position Paper 2022/23 verweist unter anderem darauf, dass China seinen einstigen Charme als Investitionsstandort für europäische Unternehmen unter dem Banner “Ideology trumps Economy” unnötig aufs Spiel gesetzt hat.
Immer mehr vor Ort ansässige Firmen haben neue Investitionen in China auf Eis gelegt und denken aktiv über die Diversifizierung ihrer Lieferketten in andere südostasiatische Länder nach. Da hilft es auch nicht darauf zu verweisen, dass europäisches FDI (ausländische Direktinvestitionen) in China weiter stark wächst. Denn die Rhodium Gruppe hat in ihrem letzten Forschungsbeitrag –“The Chosen Few: A Fresh Look at European FDI in China” –klar herausgearbeitet, dass es mittlerweile nur noch eine kleine Gruppe von sehr großen Unternehmen aus einigen wenigen Ländern (darunter Deutschland) ist, die diesen Trend verantworten. Dazu gehört eine Zehn-Milliarden Investition von BASF in ein neues Werk, das Auskaufen seines chinesischen Joint-Venture Partners durch BMW und die Investitionen von VW ja sowieso.
Komplett neue Markteintritte von ausländischen Unternehmen in China gibt es kaum noch. Gerade diese Woche hat Apple bekannt gegeben, mit der Produktion von iPhones in Indien begonnen zu haben.
Die Führung um Xi Jinping muss baldigst eine Impfkampagne gerade für die besonders gefährdete Gruppe der über 60-Jährigen starten. Hier hinkt China, was die Impfrate gerade der über 80-Jährigen angeht, stark hinterher und ist in allen öffentlichen Kommunikationen der Hauptgrund für die strenge Durchsetzung der Lockdowns und Testpflicht. Denn es drohen ja sonst Millionen Tote und sowas würde man vielleicht in den USA zulassen, aber nicht im China von Xi Jinping. Viele der Mediziner und Epidemiologen in China wissen natürlich, dass das Virus sich gewandelt hat und nicht mehr viel gefährlicher ist als ein Grippevirus. Öffentlich gesagt werden darf dies nicht. Auch entsprechende Aussagen der WHO werden in China nicht publiziert.
Angemerkt werden muss an dieser Stelle, dass selbst linientreue Wissenschaftler wie der berühmte Epidemiologe Zhang Wenhong 张文宏 von der Shanghaier Fudan Universität in viel zitierten Berichten aussagen, dass es in China kaum noch schwere Krankheitsverläufe bei der Omikron Variante gibt. Von den über 33.000 Corona Erkrankten während des Shanghai Lockdown sind lediglich 22 schwere Verläufe erfasst worden. So wundert es auch nicht, dass schon seit geraumer Zeit bei der Veröffentlichung der täglichen Coronafälle durch staatliche Medien die Fallzahlen der schweren Fälle gar nicht mehr genannt werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Falls die in letzter Zeit rasant sinkenden Impfzahlen wieder neu Fahrt aufnehmen sollten, müsste hier zügigst ein mRNA Impfstoff verwendet werden –egal ob nun aus heimischer Produktion oder in einer Lizenz-Kombo wie Fosun/Biontech hergestellt. Dass Fosun mittlerweile seit einem Jahr auf eine Produktionslizenz wartet, ist eine Schande. Und ob sich Xi Jinping an die “Alten” mit einer ebenso rigide durchgezogenen Impfpflicht herantraut, bleibt abzuwarten. Jüngst hatte Peking versucht, eine Impfpflicht implizit durchzudrücken, indem es eine Impfpflicht für das Betreten von öffentlichen Räumen wie Banken, Regierungsbehörden, Theater und Supermärkten stipulierte. Der Protest ließ nicht lange auf sich warten und war so gewaltig, dass sie 24 Stunden später flugs eine Kehrtwende machten. Man darf also gespannt sein.
Derzeit gehen die meisten Experten davon aus, dass sich auch nach dem 20. Parteikongress vorerst noch nichts an der Covid Politik ändern wird. Sie ist ja offensichtlich ein “Riesenerfolg” und wird dort nicht diskutiert werden. Nach dem Kongress, auf dem politische Ämter neu vergeben werden, folgt der alljährlich im März tagende Nationale Volkskongress. Hier werden dann in logischer Konsequenz auf Basis der Ergebnisse des Parteikongresses auch die Regierungsämter neu verteilt. Erst danach kann realistischerweise davon ausgegangen werden, dass die sensitivste Phase in der chinesischen Machtpolitik wirklich abgeschlossen ist.
Somit erwarten auch die meisten Analysten der Investmentbanken, Politikwissenschaftler und China-Experten eine wirkliche Lockerung der Covid-Massnahmen zum zweiten Halbjahr 2023. Bis dahin heißt es: Durchhalten. Dass es eine gewisse Experimentierfreude gibt, sehen wir an der Öffnung Hongkongs, wo diese Woche nach mehr als zwei Jahren die internationale Reisequarantäne aufgehoben wurde. Und auch Macau öffnet seine Grenzen wieder für chinesische Touristen. Alles erste kleine Babyschritte und Erfahrungen, die für China in den nächsten Monaten noch nützlich werden können. Denn das Allerwichtigste ist, auf welche Weise man gesichtswahrend die strenge Zero-Covid Politik auslaufen lassen kann, ohne sie im Nachhinein in Frage stellen zu müssen.
Denn was ich hier aus einer rein geschäftlichen Investorensicht völlig unterschlagen habe, ist die brutale Realität für all diejenigen in China, die jeden Tag mit der strengen Covid-Politik zu kämpfen haben. In mehr als 30 Städten und Regionen leben immer noch Menschen in teilweisem oder vollständigem Lockdown. Diese Gebiete sind für 29 Prozent des nationalen BIPs verantwortlich. Zwar wird immer wieder gesagt, dass es keine Covid-Toten mehr gibt. Dennoch sterben jeden Tag Menschen wegen Covid-bedingter medizinischer Unterversorgung, weil der Zugang zu den Krankenhäusern unmöglich geworden ist. Aufsehen erregen auch tragische Vorfälle, die im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen stehen: In einem Busunglück verloren jüngst 27 Menschen des Nachts auf dem Weg in ein Quarantänelager sinnlos ihr Leben , wie jüngst in Guiyang geschehen. All dies muss schnellstens ein Ende finden.
Russland-Ukraine Krieg
Wenn China wirklich wieder richtig salonfähig werden will unter westlichen Politikern und Investoren, muss es klare Position im Russlandkrieg beziehen. Und zwar gegen den Kriegsverbrecher Putin. Die ständig zum Schein vorgetragenen Behauptungen, sich hier neutral zu verhalten, glaubt nämlich jetzt keiner mehr. Jeder, der sich nur ein wenig mit den diplomatischen Gepflogenheiten Chinas auskennt und regelmäßig die Briefings des Außenministeriums verfolgt, weiss, dass Xi Jinping bisher aus langfristigem geostrategischem Kalkül vorerst nichts auf seine “Partnerschaft ohne Grenzen” mit Putins Russland kommen lassen wollte.
Viel schlimmer wird das Ganze, wenn man ein wenig Zeit in den chinesischen sozialen Medien verbringt, wo die prorussischen Kommentare hässliche Blüten treiben. Kommentare übrigens, die nicht von der sonst so emsig und nahezu fehlerfrei alles Unerwünschte korrigierenden Zensur sofort wieder gelöscht werden. Da erging es dem jungen Chinesen –und jetzt mittlerweile bekannten Youtube Influencer –Wang Jixian 王吉贤 ganz anders. Seine Live-Berichterstattung von vor Ort auf Wechat und Weibo zu dem brutalen Angriffskrieg der Russen in der Ukraine war nicht erwünscht und seine Social Media Accounts kurzum alle geblockt. Sowas spricht Bände.
Auch die Tatsache, dass Xi Jinping bisher kein einziges Mal mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky gesprochen hat, lässt China nicht gut ausschauen. Genauso wenig hilfreich war jüngst der Kommentar von dem Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros der KPCh, Li Zhanshu 栗战书 auf seiner ersten Auslandsreise in Wladiwostok anlässlich des Eastern Economics Forum, dass China Verständnis und Unterstützung (理解和策应) für Russlands “spezielle militärische Operation” habe.
Dem steht entgegen, dass Xi Jinping auf seiner ersten Auslandsreise nach mehr als 1000 Tagen während des Treffens der Shanghai Cooperation Organization in Samarkand vor wenigen Wochen Putin wohl auch etwas in die Mangel genommen haben dürfte. Denn dieser redete später davon, dass er Chinas „Fragen und Bedenken“ über den Krieg in der Ukraine verstehe. Und diese Woche hat zwar der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin 王文斌, verlauten lassen, dass China die territoriale Souveränität der Ukraine voll anerkenne. Aber die Aufforderung zu einem Waffenstillstand an beide Seiten war später im offiziellen Protokoll der chinesischen Seite nicht mehr zu finden. Hier erwarten wir in den nächsten Monaten eine deutliche Ansage von Xi Jinping, dem großen Steuermann. Es wäre auch für China gut, das Steuer nicht erst rumzureißen, wenn die drohende Schlappe für Putin immer offensichtlicher wird.
Disclaimer
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Autor
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Mirko war 23 Jahre lang in China als Anwalt und Unternehmer tätig. Zuletzt war er Global Head of HR für das chinesische EV Startup BYTON in Nanjing. Davor lagen seine unternehmerischen Tätigkeiten im Bereich des chinesischen E-Commerce und Einzelhandels. Seit 2020 managt Mirko den auf die chinesische Digitalisierung spezialisierten “China Digital Leaders” Fonds.
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2 Antworten
Hallo,
ein sehr interessanter Bericht zu China. Ich gehe aber von einer persönlichen Meinung aus.
Es gibt leider zu viele widersprüchliche Informationen über China.
Die Zero-Covid-Policy ist überall bekannt, nur die wirklichen Ausmasse nicht.
Das es dem BIP nicht gut geht sieht man an den chin. Indizes .
Aber die Potemkinschen Städte und Industrieansiedelungen sowie die extreme Staatsüberschuldung wird nicht wirklich
aufgezeigt. Mit Schulden kann man ja auch den Hamburger Hafen kaufen.
China wird immer 2 Gesichter haben. Mit freundlichen Grüssen E.K.
Ich verstehe das Ziel des Artikels nicht. Herr Wormuth, wen sprechen Sie an, wenn Sie schreiben „… wir erwarten …“? Erwarten Sie, dass das passieren wird? Warum glauben Sie, dass das passieren wird? Ich vermisse gute Gründe für Ihre Erwartungen im Artikel. Oder wollen Sie mit Ihrem Artikel Xi Jinping auffordern, die von Ihnen beschriebenen Aufgaben zu erfüllen? In diesem Fall ist das hier wohl der falsche Platz, oder glauben Sie, dass Herr Jinping oder seine Leute hier mitlesen?
Was machen Sie in Ihrem Fond, wenn sich Ihre Erwartungen nicht erfüllen? Das wäre doch eine interessante Frage! Als Manager des Fonds haben Sie ja zumindest darauf Einfluß. Das könnte Leser hier vielleicht interessieren… Antworten darauf? Ich habe keine gefunden. Fragen über Fragen !? Schade um die Lesezeit.