Wer in Brasilien Aktien analysieren will, muss manchmal spät aufbleiben. Gerade haben wir einen spannenden Konferenz-Call mit dem neu aufgestellten XP-INC Management für das zweite Quartal 2021 beendet, und es hat bereits Mitternacht geschlagen. Eine Feststellung zum Call vorab: Unter den Analysten waren zwar die üblichen Verdächtigen von Morgan Stanley und Goldman Sachs anwesend, ansonsten wurde das Unternehmen offenbar nicht so stark von der Community beachtet, wie man erwarten würde. Ich persönlich mag Unternehmen, die nicht so breit gecovert werden.
Inhaltsverzeichnis
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Die Gesellschaft XP-INC
XP ist eine technologisch führende Finanzserviceplattform für Wertpapierhandel, Anlageberatung und Asset Management, die mit ihren kosteneffizienten Produkten und Dienstleistungen die Branche in Brasilien gerade aufrollt. Neben dem Handel von Aktien und festverzinslichen Wertpapieren werden Investmentfonds, Produkte für die private Altersvorsorge und eine Vielzahl weiterer Finanzdienstleistungen angeboten.
Die Volkswirtschaft am Amazonas steht mit einem Bruttosozialprodukt von 1,9 Billionen US-Dollar 2021 zwischen Italien und Kanada an neunter Stelle. Der Finanzsektor wird auf circa 800 Milliarden USD Umsatz geschätzt.
Die Gesellschaft wurde 2001 vom heutigen Chairman (vormals und bis vor kurzem 20 Jahre lang CEO) Guilherme Benchimol als Zusammenschluss unabhängiger Versicherungsmakler in der 1,5 Millionen-Einwohner-Stadt Porto Alegre gegründet. Heute hat das Unternehmen 4.489 Mitarbeiter.
Die faktische Kontrolle über die Gesellschaft hält die Holding XP Controle, zu deren 400 Gesellschaftern neben dem Chairman auch das erweiterte Senior Management zählt. Seit Mai 2021 hat das Unternehmen einen neuen CEO. Thiago Maffra ist dem Unternehmen 2015 als Trader beigetreten und kurz danach in die Technologieabteilung gewechselt, die er zuletzt als CTO leitete.
Das Unternehmen debütierte im Dezember 2019 mit einem Kurs von 37 US-Dollar (Emissionspreis 27 US-Dollar) an der Nasdaq. Der Wachstumsinvestor General Atlantic (AuM über $65 Milliarden) gehört zu den prominenten Finanzinvestoren.
Nach einer Kursrally seit dem März 2020, als die Aktie bei Kursen unter 20 Dollar notierte, stehen wir auch heute, also fast zwei Jahre später, fast wieder an derselben Stelle bei 42 Dollar. Das weckte unser Interesse.
Im Jahr 2021 zählt XP bereits über drei Millionen Kunden (Brasilien hat 211 Millionen Einwohner, die sechste Position im weltweiten Vergleich). XP verwaltet für seine Kunden aktuell 130 Milliarden US-Dollar an Assets. Dabei ist das Netzwerk an unabhängigen Finanzberatern (IFAs) entscheidend.
Das Heer von 9.000 Anlageberatern verteilt sich auf 600 Büros, unter anderem in São Paulo, Rio de Janeiro und Miami. Bei diesen Locations kommen Hedonisten leicht ins Träumen, und das passt auch zur Unternehmenskultur von XP. Das von dem Unternehmen hervorgehobene hehre Ziel, das Leben der Menschen mittels einer Transformation der Finanzmärkte zu verbessern, ruht auf den drei Pfeilern: große Träume, Aufgeschlossenheit und unternehmerisches Denken.
Marktanalyse
Wie das US-Amerikanische Unternehmen Robinhood, nimmt auch XP die Rolle des Disruptors in Brasilien ein und setzt die alteingesessenen Platzhirsche mit niedrigen beziehungsweise gänzlich fehlenden Kommissionen und dem landesweit dominierenden Netzwerk an unabhängigen Beratern unter Druck. Die untenstehende Grafik zeigt die Entwicklung bis zum IPO mit 6.000 Beratern und einem geschätzten Marktanteil von 83 Prozent. Heute sind es laut Management circa 11.000 bei geschätzt stabilem Marktanteil um die 80 Prozent. Wie uns das Management auf Anfrage im Call mitteilte, will man diese Zahl Innerhalb der nächsten drei Jahre auf sagenhafte 36.000 steigern.
Der Anlagemarkt zeichnet sich bis vor kurzem durch eine geringere Reife aus. Traditionell durch hohe Zinsen geprägt, hielten Investoren bisher noch einen hohen Prozentsatz an festverzinslichen Wertpapieren in ihren Portfolios.
XP operiert daher im Umfeld eines Paradigmenwechsels nach einer Phase jahrzehntelang hoher Zinsen. Die globale Zinsdürre ist auch an Brasilien nicht spurlos vorübergegangen; 2020 markierte der Leitzins von zwei Prozent ein Allzeittief. Dies führt zu einer säkularen Umschichtung in Aktien und komplexe Anlagen. Der Online Broker hat mit seinem Niedriggebührenmodell die Konkurrenz ausgehebelt und ist heute beim Aktienhandel unumstrittener Markführer.
Die Vertriebsstruktur der XP-INC Aktie
Die Plattform für Investmentprodukte mit offener Architektur und einer Kombination aus Online- und Offlinevertrieb basiert auf drei Marken. XP Direct richtet sich an High Net Worth Kunden, Rico als reines Online Produkt an selbstentscheidende Investoren und Clear an aktive Trader. Das Unternehmen bietet über 700 eigene und externe Produkte an. Vor allem bei Investmentfonds hat man damit eine deutlich größere Auswahl als die klassischen Banken.
Marktsegmentierung in der Finanzberatung
Auch in der Finanzberatung wird der Markt segmentiert. XP Investimentos zielt mit den unabhängigen Finanzberatern auf Retail Kunden ab. XP Private richtet sich darüber hinaus an High Net Worth Kunden, die 10-100 Millionen Real zu investieren haben. Darüber hinaus bedient XP-INC Issuer Services Geschäftskunden und institutionelle Kunden (zum Beispiel Fondsmanager, Privatbanken und Versicherungen). XP Investments ist für das Geschäft in den USA zuständig und positioniert sich dort als der Broker für ein global diversifiziertes Portfolio ab 500.000 US-Dollar.
XP besitzt mit Infomoney das größte Portal für Finanzinformationen in Land mit neun Millionen unique monthly visitors. Damit begnügt man sich nicht: Man hat auch die entscheidende Bedeutung von finanzieller Bildung in der aktuellen Niedrigzinssituation erkannt. Das Angebot an Kursen auf den Seiten von XP Educao („Bildung“) und Xpeed scheint unerschöpflich. Das Mission Statement von XPEED (200.000 Kunden) bedeutet übersetzt so viel wie „Unsere Herausforderung ist der Wohlstand Brasiliens“. Mit dem Informations- und Bildungsangebot ist man für den aktuellen Strukturwandel hin zu komplexeren Produkten ideal aufgestellt.
Steigende Zahlen bei Assets, Kunden und Kreditvolumen
Das Unternehmen setzt auf die Erschließung weiter Bevölkerungsschichten für den Vertrieb von Investmentprodukten. Mit Erfolg, wie es scheint. Dafür sprechen die Zahlen bei den Kunden und Assets. Die Anzahl der aktiven Kunden stieg im Zeitraum von 2016 bis 2020 durchschnittlich um 52 Prozent pro Jahr., die verwalteten Mittel sogar um 59 Prozent pro Jahr. Auch im ersten Halbjahr konnte man noch einmal deutlich zulegen.
Auch der Einstieg in das Kreditgeschäft beginnt Früchte zu tragen. Das Kreditvolumen lag im zweiten Quartal immerhin schon bei stattlichen 6,8 Milliarden Real. Das Unternehmen bietet seit einem halben Jahr die XP Kreditkarte an und hat praktisch aus dem Stand im letzten Quartal immerhin 2,1 Milliarden Real beim Kartenumsatz verbuchen können. Bisher hat man noch keine Ausfälle, normal in Anbetracht der kleinen Größe und des zarten Alters.
Das Cross Selling neuer Produkte hat maßgeblich zur Stabilisierung der Take Rate bei 1,3 Prozent beigetragen. Das bewerten wir angesichts der Margenkompression infolge der aggressiven Preisgestaltung im Aktienhandel als extrem positiv.
Weitere Produkte sollen folgen, um das Geschäft der Legacy Banken weiter anzugreifen. Für private Investoren beinhaltet das kurzfristig ein vollwertiges Digitalkonto inklusive einer Debit Karte und längerfristig ein erweitertes Angebot an Krediten und Versicherungen. Ein Angebot für Margin Loans befindet sich in der Pilotphase.
Aber auch im Geschäftskundengeschäft will man das Angebot weiter ausweiten. Neben maßgeschneiderten Versicherungslösungen denkt man über einen Eintritt in den Zahlungsverkehr und in die betriebliche Altersvorsorge nach.
Hier handelt es sich nicht um kleine Geschäftsfelder an der Peripherie: der bAV-Markt soll über drei Jahre von 110 Milliarden Real auf 350 Milliarden Real anwachsen. Die Gesellschaft möchte gleichzeitig bis 2023 zehn Millionen Kunden gewinnen. Die sensationelle Net Promoter Score von zuletzt 76 (Stand Juni 2021) lässt dieses Ziel erreichbar erscheinen.
Ausgezeichnete Bilanz
Im Jahr 2020 wurden 8,7 Milliarden Real umgesetzt, ein Plus von 58 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seit 2016 wuchs das Unternehmen mit einem CAGR von 45 Prozent. Mittelfristig stellt das Management ein zukünftiges Wachstum von 35 Prozent in Aussicht. Wir glauben, dass hier sogar noch Luft für mehr ist.
Dabei mach Retail mit zuletzt 77 Prozent aller Umsätze das dominierende Geschäft. Der Handel mit institutionellen Kunden machte elf Prozent der Erlöse aus und das Emissionsgeschäft brachte acht Prozent ein.
Der Nettogewinn des Jahres 2020 stieg auf 2,3 Milliarden, eine CAGR von 56 Prozent. Damit konnte die Nettomarge von 19 Prozent auf 28 Prozent gesteigert werden. Die Guidance für die nächsten Jahre ist stabil zwischen 24 und 30 Prozent. Hier besteht nach unserer Meinung noch weiteres Potenzial. Im ersten Halbjahr belief sich die Nettomarge auf 31 Prozent. Die Bruttomarge lag im zweiten Quartal bei 71 Prozent, die EBITDA Marge bei 41 Prozent.
Leider sind die Brasilianer bei der Segmentierung der Erlöse auskunftsscheu. Immerhin berichten Sie den Anteil vom Retail am Gesamterlös mit 82 Prozent. Der Bereich ist also profitabler als die anderen Geschäftsfelder. Die anderen Bereiche sind noch jung und wachsen stärker, sodass die Zahlen nur bedingte Aussagekraft haben.
Immerhin konnten wir im Call auf unsere Anfrage erfahren, dass Aktien bei den AuC an erster Stelle stehen, gefolgt von Fonds und festverzinslichen Wertpapieren.
Darüber hinaus müssen wir uns etwas detektivisch betätigen. Die Anzahl der täglichen Trades lag in den letzten sechs Quartalen relativ stabil bei 2,7 Millionen am Tag. Das legt im Umkehrschluss die Vermutung nahe, dass die Ticket Size pro Trade deutlich gestiegen ist. Das ist für uns eine gute Nachricht. Bestehende Kunden haben deutlich höhere Bestände. Das genügt uns zunächst für ein positives Fazit, aber hier werden wir im Follow-up Call noch einmal nachhaken.
Die Zahlen belegen die enormen Skaleneffekte, die das Unternehmen hat. Der dreifache Wachstumseffekt aus höheren Volumen pro Kunde, mehr Kunden und einer stabilen, möglicherweise sogar steigenden Take Rate sind eindeutig in den Zahlen zu erkennen.
Bewertungsvergleich
Auch im Vergleich mit einigen globalen Konkurrenten sieht XP gut aus. Das säkulare Wachstum in Brasilien ist hoch und die Gewinnmargen sind gut. Ein Vergleich bei der Take Rate stützt unsere These, dass eine steigende Take Rate möglich ist.
Außerdem leidet das Unternehmen nicht an den Problemen von Robinhood, denn dort wird ein Teil der Anleger über kurz oder lang mit Meme Stocks, YOLO Mentalität und teuren Optionen auf die Nase fallen. Wir glauben, dass einerseits die Wachstumsprognosen des Managements von XP-INC bei den Margen zu konservativ sind. Vor allem aber denken wir, dass die Analysten die aktuelle Prognose zum Umsatzwachstums von 28 Prozent deutlich nach oben korrigieren müssen.
(Wir wollen hier nicht verschweigen, dass auch die chinesischen Werte UP Fintech (TIGR) UND Futu Holdings (FUTU) sehr gut aussehen, die wir deshalb auch ins Portfolio aufgenommen haben. (Aber das ist eine andere Geschichte, die wir Euch gerne demnächst erzählen werden.)
Risiken
Wie immer in Emerging Markets sind auch in Brasilien politische Risiken zu berücksichtigen. Politische Einflussnahme, Korruption und unorthodoxe oder populistische Maßnahmen können immer wieder zu Rückschlägen führen. Der Bankbereich ist gegenüber Regulierungsmaßnahmen natürlich besonders sensitiv.
XP fliegt trotz rasanten Wachstums aktuell aufgrund seiner noch relativ geringen Größe im Vergleich zum Volumen des Gesamtmarktes noch unterhalb des Radars.
Die Dominanz der Gesellschaft bei IFAs ist der Konkurrenz gleichzeitig ein Dorn im Auge. Die bestehende Exklusivitätsregelungen für IFAs könnte eines Tages vom Regulator gekippt werden, dann müsste sich XP anpassen. Wir glauben aber, dass XP mit seiner einzigartigen Infrastruktur und der relativ offenen Architektur relativ gut für mögliche Änderungen vorbereitet ist.
Fazit
Wir hatten die Aktien von XP-INC bereits in unser Startportfolio aufgenommen. Das Unternehmen zeichnet sich durch kompetentes, motiviertes und erfahrenes Management, starke Margen und ein rasantes Wachstum aus. Der positive Beitrag zum Gemeinwohl passt zudem gut zum ESG Gedanken des Emerging Markets Digital Leaders. Es trifft sich gut, dass die Bewertung nach zwei Jahren Performance-Dürre jetzt attraktiv ist. Die Sell-side Analysten der Banken scheinen ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht zu haben; es besteht noch Raum für Upgrades.
Disclaimer
Der EM Digital Leaders Fund und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von XP-INC Aktien. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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3 Antworten
Hab ich irgendwas verpasst oder missverstanden? Gab es irgendwelche News, die den starken Kursrutsch erklären?
Zinserhöhungen in Brasilien. Daher gab es von verschiedenen Brokern Downgrades bei PagSeguro & Co. In Sympathie ist auch XP gefallen. Hier werden wahrscheinlich die Margen auch etwas niedriger ausfallen, aber das Geschäftsmodell von XP ist viel resilienter. No reason to panic.
Schon wieder ein in meinen Augen absolut hervorragender Pick, Steffen! Ein großes Dankeschön für die sehr gelungene Vorstellung! Ich habe XP seit etwa einem Jahr im Depot und es dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kursentwicklung der hervorragenden Entwicklung des Unternehmens folgt …