Zenvia-Aktie: Der KI-Zyklus soll es richten

12. June 2025

Zenvia Aktie

Nach dem Launch der neuen Customer-Cloud-Plattform wollte Zenvia 2024 endlich den Profitabilitätsdurchbruch schaffen. Stattdessen enttäuschte das vierte Quartal mit einem massiven Ergebniseinbruch. Was bedeutet das für die Bewertung der Zenvia-Aktie – und wie aussichtsreich ist der neue Wachstumszyklus rund um KI?

 

Zenvia-Aktie: Quartalszahlen im Detail

Im vierten Quartal 2024 erzielte Zenvia einen Umsatz von 231,4 Millionen Brasilianischen Real (rund 46,5 Millionen US-Dollar), was einem Anstieg von 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal entspricht. Der Nettogewinn rutschte allerdings tief in die roten Zahlen: Der Verlust des Quartals belief sich auf 134,9 Millionen BRL (etwa 27,1 Millionen US-Dollar) nach einem Minus von 17,0 Millionen BRL im Vorjahr. Auch das operative Ergebnis (EBIT) drehte mit -14,9 Millionen BRL deutlich ins Negative, nachdem im Vorjahr noch ein Plus von 15,4 Millionen BRL erzielt wurde.

Das EBITDA auf bereinigter Basis fiel um über 80 Prozent auf nur noch 7,5 Millionen BRL. Das normalisierte EBITDA – bereinigt um Sondereffekte wie Earn-Outs und Einmaleffekte – lag bei 34,8 Millionen BRL, was einem Rückgang von 6,2 Prozent entspricht.

Besonders auffällig war der massive Margenverfall: Die Bruttomarge sank auf nur noch 15,8 Prozent (Vorjahr: 50,8 Prozent), bereinigt lag sie bei 21,3 Prozent (Vorjahr: 56,7 Prozent). Hauptgrund war eine Sonderbelastung in Höhe von 27,8 Millionen BRL durch SMS-Kosten-Nachverrechnungen, die nicht über das Jahr verteilt, sondern vollständig im Q4 verbucht wurden.

Während der CPaaS-Umsatz um 17 Prozent zulegte (auf 155,9 Millionen BRL), schrumpfte das SaaS-Geschäft im Quartal um knapp 10 Prozent auf 75,5 Millionen BRL – insbesondere wegen eines Umsatzrückgangs bei Großkunden (Enterprise). Die CPaaS-Marge (bereinigt) sank auf nur 4,0 Prozent, hätte ohne den Sondereffekt aber bei rund 22 Prozent gelegen. Die SaaS-Marge blieb mit 56,9 Prozent vergleichsweise stabil, sank aber ebenfalls gegenüber dem Vorjahr (64,5 Prozent).

Im Earnings Call gestern gab CFO Shay Chor an, dass man für 2025 mit einer Normalisierung der CPaaS-Marge bei etwa 25 Prozent rechnet. Für SaaS peilt Zenvia eine Rückkehr zur Bruttomarge von 45 bis 50 Prozent an, was dem Niveau von 2023 entspräche.

Auffällig war der späte Zeitpunkt der Veröffentlichung: Die Zahlen wurden erst Mitte Mai präsentiert – deutlich nach dem üblichen Zeitfenster. Die Verzögerung führt Zenvia darauf zurück, dass nicht alle Tochtergesellschaften in einem einheitlichen IT-System integriert sind. Der verlängerte Audit-Prozess wird voraussichtlich auch die Veröffentlichung der Q1-Zahlen verzögern, die nun erst bis spätestens Ende Juni erwartet werden.

Ausblick 2025

Für das Jahr 2025 hat Zenvia eine “neue strategische Phase ausgerufen”: Im Zentrum steht nun die KI-gestützte Plattform „Zenvia Customer Cloud“, die im Oktober 2024 vollständig ausgerollt wurde und bereits 6.000 Kunden zählt – davon etwa 20 Prozent im Ausland. Diese Plattform soll künftig als Kern des Geschäfts fungieren und organisches Wachstum sowie internationale Expansion ermöglichen. CEO Cassio Bobsin betonte im Call den strategischen Wendepunkt wie folgt:

“Zenvia Customer Cloud is the technological and strategic core of our future growth. AI is no longer optional – it’s now the foundation of meaningful customer engagement.”

Für 2025 erwartet das Management ein Wachstum der Zenvia Customer Cloud um 25 bis 30 Prozent bei einer Bruttomarge von 68 bis 70 Prozent und positiver EBITDA-Marge. Der Rest des SaaS-Geschäfts (ca. 140 Millionen BRL) soll stabil bleiben oder leicht wachsen. CPaaS wird konservativ mit 5 bis 8 Prozent Wachstum modelliert – die ersten Monate deuten laut CFO Shay Chor jedoch auf ein stärkeres Momentum hin.

Zwar hat das Unternehmen für das Gesamtjahr 2025 keine formelle EBITDA-Guidance veröffentlicht, doch lassen sich aus den Aussagen des Managements Rückschlüsse ziehen: Zenvia strebt explizit eine Verbesserung gegenüber dem EBITDA-Niveau von 2024 an. In Kombination mit den prognostizierten Skaleneffekten der neuen Plattform und weiteren Kostensenkungen ergibt sich ein realistischer Zielkorridor von etwa 120 bis 140 Millionen BRL EBITDA.

Gleichzeitig bleibt die finanzielle Lage angespannt: Im laufenden Jahr müssen rund 100 Millionen BRL an Finanzverbindlichkeiten zurückgeführt werden. Zwar konnte Zenvia im Januar mit Banken eine sechsmonatige Tilgungsaussetzung („Grace Period“) vereinbaren, doch die strukturelle Entschuldung steht weiterhin im Mittelpunkt der Agenda.

Um dieses Ziel zu erreichen, prüft das Unternehmen aktiv strategische Optionen. Bereits im Januar 2025 hatte das Management kommuniziert, dass nicht zum Kerngeschäft gehörende Unternehmensteile zur Disposition stehen – darunter möglicherweise auch Segmente aus dem margenarmen CPaaS-Bereich. CFO Shay Chor betonte im Call erneut, dass man bei Verkäufen „opportunistisch“ vorgehen werde, sofern dies zur Bilanzstärkung beiträgt.

Positiv

Der Umsatzanstieg um 19 Prozent im Gesamtjahr 2024 (auf 959,7 Millionen BRL) zeigt, dass die Nachfrage nach CPaaS-Diensten weiterhin hoch ist. Zudem konnte Zenvia die Gemeinkosten (G&A) signifikant senken: Im Q4 lagen sie bei nur noch 8,3 Prozent des Umsatzes – ein Rückgang um 5,7 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr.

Auch der Cashflow war erfreulich: Der operative Cashflow erreichte im Q4 rund 45,9 Millionen BRL und übertraf den Vorjahreswert deutlich. Die Liquidität stieg zum Jahresende auf 116,9 Millionen BRL.

Vielversprechend klingt auch das neue volumenbasierte Preismodell der Customer Cloud. Statt nach Nutzern wird künftig nach Interaktionen mit Endkunden abgerechnet – ein Modell, das laut Bobsin „mehr Nutzung, mehr Automatisierung und mehr Umsatz je Kunde“ ermöglichen werde.

Negativ

Der massive Verlust im Schlussquartal ist ein klares Warnsignal. Die Margen im CPaaS-Segment brachen unter dem Druck steigender SMS-Kosten drastisch ein. Auch das SaaS-Geschäft schwächelte – vor allem im Enterprise-Bereich, wo der Preisdruck spürbar zunahm.

Hinzu kommt der Verlust von Kunden: Die Zahl aktiver Kunden ging im Jahresvergleich um knapp 18 Prozent zurück. Bei CPaaS fiel der Rückgang sogar noch stärker aus (-21 Prozent). Das wirft Fragen zur nachhaltigen Skalierung auf – insbesondere im Kontext der neu positionierten KI-Plattform.

Zudem blieb das EBITDA 2024 mit 95 Millionen BRL unter der selbst gesteckten Prognose von 120–140 Millionen BRL. CFO Shay Chor äußerte sich im Call „frustriert“, zeigte sich aber optimistisch für eine Trendwende im ersten Quartal 2025.

Fazit & Bewertung

Die Zenvia-Aktie steckt nach dem enttäuschenden Quartalsabschluss in einem fundamentalen Umbruch. Zwar hat das Unternehmen mit der neuen Customer Cloud einen ambitionierten technologischen Kern geschaffen – doch die Schwächen in der Profitabilität und Kundenbindung überschatten das aktuelle Zahlenwerk. Die Kursreaktion war entsprechend deutlich: Die Zenvia-Aktie verlor nach Veröffentlichung der Zahlen über 15 Prozent und notierte zuletzt bei 1,20 US-Dollar – erholte sich jedoch in den Tagen danach wieder spürbar, was darauf hindeutet, dass der Markt bereit ist, über das desaströse Quartal hinwegzusehen und auf den strategischen Umbau zu setzen.

Bewertungstechnisch wirkt die Aktie auf den ersten Blick günstig: Die Marktkapitalisierung liegt bei rund 79 Millionen US-Dollar, die Nettofinanzverschuldung bei etwa 290 Millionen BRL (rund 55 Millionen USD). Daraus ergibt sich ein Enterprise Value von ca. 134 Millionen USD. Auf Basis der konservativen Schätzungen für das Jahr 2025 – einem erwarteten Umsatz von rund 1.055 Millionen BRL (~199 Mio. USD) und einem EBITDA von etwa 130 Millionen BRL (~24,5 Mio. USD) – ergeben sich folgende Bewertungskennzahlen:

  • EV/Sales (2025e): ca. 0,67

  • EV/EBITDA (2025e): ca. 5,5

Wie niedrig diese Bewertungskennzahlen sind, erkennt man im Vergleich mit Twilio: Der US-amerikanische CPaaS-Pionier wird aktuell mit einem EV/Sales-Verhältnis von rund 4 und einem EV/EBITDA-Multiple von etwa 85 bewertet. Zwar ist Twilio deutlich größer, profitabler und international breiter aufgestellt – aber die Bewertungsdifferenz ist dennoch signifikant und zeigt, welches Aufholpotenzial Zenvia im Erfolgsfall hätte.

Eine der denkbaren Optionen, um die aktuelle Durststrecke bei der Liquidität zu beenden, wäre ein gezielter Verkauf der margenschwachen CPaaS-Sparte – etwa an einen strategischen Käufer wie Twilio, für den der brasilianische Markt attraktiv sein könnte. Ein solcher Schritt würde Zenvia ermöglichen, sich vollständig auf die margenstärkere Customer Cloud zu konzentrieren und die Bilanz auf einen Schlag zu entlasten.

Sollte es gelingen, Zenvia Customer Cloud zur tragenden Säule des Geschäfts zu machen – mit hohen Margen, stabilen Wiederholungserlösen und internationalem Footprint, dürfte die Durststrecke der Zenvia-Aktie vorbei sind. Wir behalten unsere Position in der Zenvia-Aktie im EM Digital Leaders bei.



Autor

  • Steffen Gruschka

    Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.

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Steffen Gruschka

Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.

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