China 2023: Wachstum, wohin das Auge reicht?

23. Juni 2023

China Aktien Immobilienkrise

Der chinesische Wachstumsmotor stottert; jetzt schwächeln auch noch die Exporte. Die Zentralbank reagiert mit Zinssenkungen, aber die Regierung zaudert und der wichtige Immobilienmarkt kränkelt. Im ersten Teil unserer China-Serie geben wir einen ersten Überblick über wichtige Treiber der chinesischen Wirtschaft.

Chinesische Technologie-Aktien haben ein heftiges Derating hinter sich. Begonnen hat alles mit dem Angriff der chinesischen Führung auf die mächtigen Technologiefirmen. Dazu wurde die Wirtschaft durch das sture Festhalten an der Zero-Covid Politik ausgebremst. Dann kam das abrupte Ende der Lockdowns. Die Erwartungen einer wie Phoenix aus der Asche steigenden Wirtschaft wurden aber enttäuscht.

Nun reiht sich ausgerechnet die bis dato China-Bullen Goldman Sachs in die Reihe der Kassandrarufer ein: Für dieses Jahr erwartet Goldman nur noch 5,4 Prozent, bisher waren es 6,0 Prozent. Auch die Schätzung für 2024 wird um 10 Basispunkte auf 4,5 Prozent gekappt. Wir ordnen die Gründe für die Wachstumsschwäche und Handlungsoptionen der Regierung ein.

Wirtschaftliche Abschwächung: Der Covid Effekt verpufft

Die Zahlen für das erste Quartal wurden positiv aufgenommen, das Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent, getrieben vom Post-Covid-Reoping, lag 50 Basispunkte über den Erwartungen und brachte das 5-Prozent-Ziel der Regierung für 2023 in greifbare Nähe.

Die Qualität des Wachstums war allerdings eine andere Frage: Das post-pandemische Revenge Spending beschränkte sich auf Tourismus und Hospitality, ansonsten hielt sich der chinesische Konsument weiter zurück.

Staat und staatliche Unternehmen investierten deutlich stärker als Privatunternehmen und im Immobiliensektor resultierte das Wachstum aus der Fertigstellung existierender und nicht dem Spatenstich für neue Projekte. Die Zahl begonnener Projekte fällt seit 3 Jahren stetig und liegt jetzt annualisiert bei gerade einem Drittel des Niveaus von 2021.

Die Mai-Zahlen haben die Kollegen von Goldman dann richtig verschreckt. Die Industrieproduktion von 3,5 Prozent lag zwar im Rahmen der (niedrigen) Erwartungen, aber Konsumausgaben und Investitions Tätigkeit enttäuschten. Vor allem der Gegenwind aus der Immobilienbranche wirkte sich negativ aus.

Die eigentliche böse Überraschung aber waren die Exporte, die letztes Jahr ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes ausmachten. Nach dem Plus von 8,5 Prozent YoY im April ging es im Mai YoY um 7,5 Prozent abwärts.

Positiv entwickelten sich die Branchen, die von der politischen Unterstützung der KPC profitieren: Elektrofahrzeuge, Industrieroboter, Halbleiter. Der fromme Wunsch von Präsident Xi nach “qualitativ hochwertigem Wachstum” im Hochtechnologiebereich findet also schon Umsetzung, aber das Wachstum reicht eben bei weitem nicht, um alle in Lohn und Brot zu bringen. Jeder fünfte Jugendliche ist arbeitslos, ein Rekordwert. Der von Xi geschmähte Immobiliensektor (Spielverderber-Mantra: Immobilien sind zum Wohnen da und nicht zur Spekulation) rächt sich jetzt am obersten Kommunisten.

Impulse der Geldpolitik

Die Politik schickte die Notenbanker vor. Am 13. Juni überraschte die chinesische Zentralbank mit einer Zinssenkung am kurzen Ende. Für 7-Tages-Geld werden nur noch 1,9 Prozent, also 10 Basispunkte weniger als bisher, verlangt. Am Donnerstag wurde der 1-Jahres Zins auf 2,65 Prozent gekappt. Die Geschäftsbanken wussten vorab, wohin die Reise geht und hatten mit einer Senkung der Einlagezinsen in der Vorwoche Zinssenkungen signalisiert.

Der relativ bescheidene Schritt bewegte die Märkte aber nicht entscheidend. Die Stimmung bei Konsumenten und Unternehmen ist gleichermaßen schlecht, der Realzins ist angesichts von zuletzt gerade einmal 0,2 Prozent Inflation immer noch positiv und die Nachfrage nach Krediten gering. Die Exporte stottern aufgrund der Abschwächung der Weltwirtschaft. Der Chinesische Yuan verlor 2023 zum Dollar bis dato 3,6 Prozent.

Fiskalpolitik: Die Regierung zaudert angesichts der hohen Verschuldung

Xi Jinping war hinsichtlich der Stimulierung der Wirtschaft bisher vorsichtig. Die offizielle Verschuldung mit rund 50 Prozent des BIP erscheint auf den ersten Blick moderat, erfasst aber nur einen Teil der staatlichen Schulden . Die 31 Regionen, 333 Städte und knapp 3.000 Bezirke haben Infrastrukturinvestitionen mittels intransparenter Finanzierungsvehikel finanziert und dabei Verbindlichkeiten angehäuft, die zuletzt vom IMF im Februar auf rund 55 Prozent des Bruttosozialproduktes 2022 geschätzt werden. Das Thema ist nicht neu und China hat bereits seit 2013 versucht, der Praktik Einhalt zu gebieten: Ab 2014 wurden viele Projekte mit speziellen Bonds finanziert. Die Einnahmen aus diesen Projekten reichen bei weitem nicht aus, um die Zinszahlungen zu bedienen.

Beim Blick auf die nachfolgende Grafik drängt das Bild von den Brücken ins Nirgendwo auf. Die Praxis, die Wirtschaft durch Infrastrukturinvestitionen anzukurbeln, scheint in der Sackgasse gelandet zu sein. Bloomberg berichtet, dass China aktuell wieder einmal dabei ist, den genauen Umfang der versteckten Schulden zu ermitteln, offiziell ist das natürlich nicht.

Die bisherige Haupteinnahmequelle der Regionen versiegt seit dem vergangenen Jahr: Landverkäufe an Immobilienentwicklungsgesellschaften. Sie verzeichneten 2022 ein Minus von 23 Prozent. Im Zeitraum Januar bis April 2023 gingen sie noch einmal um 22 Prozent zurück.

Die Gesamtverschuldung Chinas lag zum Ende des ersten Quartals mit 279,7 Prozent. Das ist noch einmal 7,7 Prozent höher als drei Monate zuvor und damit Rekordniveau.

Der Schlüssel zur Lösung der Wachstumsprobleme ist der chinesische Konsument. Die Sparquote der privaten Haushalte gehörte mit über 40 Prozent in der letzten Dekade zu den höchsten der Welt. Auch im von Verdienstausfällen geprägten Jahr 2022 wurden immer noch 33 Prozent gespart. Laut einer Umfrage der Zentralbank wollen 62 Prozent der Chinesen dieses Jahr wieder mehr sparen. Im vergleichsweise wohlhabenden Deutschland liegt die Sparquote dagegen nur bei 20 Prozent, in den USA gerade einmal bei 9 Prozent. Neben kulturellen Faktoren ist die Sparwut auch auf das schwache soziale Netz in China zurückzuführen.

Die Schwäche des Konsumenten ist zwar kein neues Problem, angesichts des schwächelnden Immobiliensektors in Verbindung mit einer konjunkturellen Abschwächung des Exportsektors gewinnt die Stärkung des Binnenkonsums aber jetzt eine existenzielle Bedeutung für die Stabilität und das Wachstum Chinas.

Die Spareinlagen bei den Banken stiegen auch 2022 wieder um 17,8 Billionen Yuan. Dieses Geld fehlt der Wirtschaft. Es wäre deutlich sinnvoller, den Konsum zu stimulieren, als die Spareinlagen bei den Banken für Kredite zu recyclen und dann staatlich zu verschwenden. Die Erkenntnis ist zwar nicht neu, rückt aber angesichts der schwächelnden Immobilienbranche jetzt in den Mittelpunkt.

Nach den Signalen der Geldpolitik hatte sich der Markt unterstützende konkrete Massnahmen des Regierungsrates erhofft. Premier Li Qiang ließ aber nach dem Treffen am Freitag nur verlauten, dass neue Maßnahmen zeitnah eingeführt würden und flog zu seinem Antrittsbesuch nach Deutschland.

Diplomaten-Reisesaison und wirtschaftliche Abhängigkeiten

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem von China als Affront bewerteten Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan war es im spannungsvollen Verhältnis Chinas zu den USA eher still geworden. Diese Woche ist dagegen von reger Reisetätigkeit geprägt.

Die Erwartungen an große Fortschritte sind niedrig: Bei seiner Landung in Beijing erwarteten den US-Außenminister Antony Blinken anstatt einem roten Teppich nur rote Linien auf der Fahrbahn. Nach einem siebeneinhalb-Stunden Treffen mit dem chinesischen Außenminister traf Blinken aber dann doch noch überraschend noch mit Präsident Xi zusammen, über das dann sogar ausführlich in den chinesischen Medien berichtet wurde, ein Zeichen für ein mögliches Tauwetter?

Li Qiang reiste gleichzeitig mit gleich neun Regierungsmitgliedern in Berlin an. Es soll um stabile, internationale Industrie und Lieferketten gehen. Aber auch der Klimawandel und der Krieg sollen thematisiert werden. Nach der diplomatischen Winterstimmung der letzten Monate wären konkrete Fortschritte eine große Überraschung. Die chinesische Delegation ist wohl auch um Schadensbekämpfung bemüht: Die Zielrichtung europäischer Politik bleibt ungeachtet der Schmuse-Reise des französischen Präsidenten Macron im April: Die Abhängigkeit von China soll begrenzt werden.

Am 16. Juni hat die Europäische Kommission alle Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Kooperation mit Huawei zu beenden. Am Dienstag stellte die Europäische Kommission die Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vor. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und Quantencomputer sollen demnach nicht exportiert werden, da sie militärisch eingesetzt werden können.

Den Chinesen dürfte aber die Heterogenität der EU nicht entgangen sein. Die wirtschaftlichen Verflechtungen, so ist China mit knapp 300 Milliarden Euro Umsatz der wichtigste Handelspartner Deutschlands, erfordern Abwägungen im Einzelfall. Dabei dominieren zunehmend die Importe, im letzten Jahr waren es 192 Milliarden Euro. Die Volksrepublik verschifft seit einigen Jahren immer mehr Waren nach Deutschland, während der Absatz in umgekehrter Richtung stagniert. Bei Rohstoffen, chemischen Grundstoffen und elektronischen Bauteilen dominiert China als Lieferant.

Laut einer Studie des IW (Institut der deutschen Wirtschaft) kamen im Jahr 2021 bei 298 Produktgruppen mit einem Einfuhrwert von jeweils mindestens 10 Milliarden Euro Deutschlands die Importe zu mehr als 50 Prozent aus China. Bei 211 dieser Produktgruppen hat sich Chinas Anteil 2022 noch weiter vergrößert.

Noch bedeutender ist die Abhängigkeit auf Unternehmensebene und das ist von Abkopplung keine Spur. 2022 haben deutsche Firmen in China 11,5 Milliarden Euro investiert, das ist mehr als je zuvor. Die Bedeutung kann man auch am Besuchsprotokoll der chinesischen Delegation nachvollziehen: Qiang traf am zweiten Tag seiner Reise in München Unternehmensvertreter und warb dafür, konkrete Investitionsentscheidungen den Unternehmen zu überlassen.

China dürfte angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeiten als Handelspartner für Europa hochrelevant bleiben. Die Risikobegrenzung dürfte auf militärtechnische Abwägungen und für extreme Szenarien (lies: eine mögliche Invasion Taiwans) begrenzt bleiben. Die wirtschaftliche Abschwächung in Europa wird sich aber in diesem Jahr weiter in schwachen chinesischen Exportzahlen niederschlagen.

Fazit

Die Goldmänner begründen ihr Downgrade auch damit, dass Beijing keine guten wirtschaftlichen Optionen habe. Wir glauben, dass die kommunistische Regierung einen Weg gehen muss, den sie bisher wie der Teufel das Waschwasser gemieden hat: Den Konsumenten zu stimulieren, anstatt mehr Brücken ins nirgendwo zu bauen.

Wir glauben, dass dem Immobiliensektor, der inklusive sekundärer Dienstleistungen bisher knapp 30 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, dabei aufgrund der überragenden Rolle von Immobilien in der privaten Vermögensbildung eine Schlüsselrolle zukommt. Daher folgt in der nächsten Woche ein Deep Dive in die Welt der chinesischen Immobilienwirtschaft.

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Disclaimer

Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Steffen Gruschka

    Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.

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Steffen Gruschka

Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.

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