Deja-Vu mit der Sea-Aktie

29. November 2023

Das Unternehmen hatte im Sommer angekündigt, wieder in Wachstum zu investieren, und die Sea-Aktie ist damals eingebrochen, hatte aber zuletzt eine Kursrally von über 30 Prozent hingelegt. Jetzt legt das Unternehmen Zahlen vor, die von der Umsetzung der Strategie zeugen, und die Aktie bricht wieder ein und handelt nahe dem Tiefstand vom Sommer. Was wir aus den Zahlen lernen.

Sea-Aktie: Zahlen zum dritten Quartal

Der Umsatz im dritten Quartal stieg um 4,9 Prozent auf 3,3 Milliarden Dollar und lag damit laut Bloomberg um 3,6 Prozent über den Analysten-Erwartungen (alle Angaben gegenüber dem Vorjahresniveau). 

Der Rohertrag stieg um 17,4 Prozent auf 1,4 Milliarden Dollar. Das EBITDA lag bei 35 Millionen Dollar nach minus 358 Millionen Dollar. Hier lagen die Analysten-Schätzungen mit plus 248 MIllionen Dollar weit höher. Angesichts der Ankündigung von Sea im letzten Quartal, wieder stärker auf Wachstum zu setzen, wundert mich, dass die Analysten ihre Modelle offenkundig nicht aktualisiert haben. 

Die Verwaltungskosten lagen mit 274 Millionen Dollar um 32,5 Prozent unter dem Vorjahreswert. Die Ausgaben für Marketing und Vertrieb stiegen dagegen um 12,4 Prozent auf 918 Millionen Dollar. Hier zeigt sich schon die neue Initiative im E-Commerce. Während im Gaming 59 Prozent und bei Finanzdienstleistungen gar 80,8 Prozent weniger ausgegeben wurden, stiegen die Ausgaben im E-Commerce um knapp 50 Prozent auf 862 Millionen Dollar.

Der bereinigte Gewinn lag bei 31 Millionen Dollar, im Vorjahr war es noch ein Verlust von 374 Millionen Dollar. Die Analysten-Schätzung lag allerdings bei 196 Millionen.

Cash- und Cash-Äquivalente lagen Ende September bei 7,9 Milliarden Dollar, das sind 274 Millionen Dollar mehr als Ende Juni und rund 600 Millionen höher als ein Jahr zuvor. Das ist ein gutes Zeichen, da das dicke Cash Polster die Wachstumsstrategie ermöglicht.

E-Commerce

Die Zahl der Bestellungen stieg um 13,2 Prozent auf 2,2 Milliarden. GMT lag bei 20,1 Milliarden, also 5,1 Prozent höher als im Vorjahr.

Der Umsatz stieg um 16,2 Prozent auf 2,2 Milliarden Dollar. Core-Marketplace-Umsätze, also transaktionsbasierte Gebühren und Werbung, stiegen um 31,7 Prozent auf 1,3 Milliarden Dollar. Die Logistik-Umsätze fielen dagegen um 4,2 Prozent auf 592,8 Millionen Dollar. Die Logistikkosten pro Order in Asien konnten gleichzeitig um 17 Prozent reduziert werden.

EBITDA der Sparte lag bei Minus 346,5 Millionen Dollar. Im Jahr zuvor waren es zwar Minus 495,7 Millionen, in den ersten zwei vergangenen Quartalen gab es aber hier ein Plus. Sea hat offensichtlich in den Marktanteil in Südostasien investiert: Die Verluste in Asien sind von 216,8 Millionen Dollar auf 306,2 Millionen Dollar angeschwollen: Der Markt befürchtet offensichtlich das schlimmste: Anhaltende Verluste durch ruinösen Wettbewerb.

Der Verlust pro Order in Brasilien fiel dagegen auf 10 Cent, das sind 91 Prozent weniger als im Vorjahr.

Gaming

Die Zahl der Spieler blieb mit 544,1 Millionen gegenüber dem Vorquartal (im kaum saisonalen Gaming steht die sequentielle Entwicklung im Vordergrund) fast unverändert. Die Zahl der zahlenden Nutzer fiel dagegen um 2,6 Millionen auf 40,5 Millionen. Damit sank das Verhältnis der zahlenden Spieler von 7,9 auf 7,5 Prozent.

Der Umsatz stieg um 12 Prozent auf 592 Millionen Dollar. EBITDA lag bei 234 Millionen Dollar, sequentiell knapp 2 Prozent unter dem Vorquartal.

Digitale Finanzdienstleistungen

Der Umsatz stieg im Jahresvergleich um 36,5 Prozent auf 446 Millionen Dollar. Sehr schön: nach einem Verlust von 67,7 Millionen Dollar im Vorjahr, wurde ein bereinigtes  EBITDA von 165,7 Millionen Dollar erzielt. Das ist auch sequenziell gegenüber den 137 Millionen Dollar im zweiten Quartal eine Verbesserung.

Das Volumen der ausstehenden Kredit stieg im Jahresvergleich um 5,3 Prozent auf 2,9 Milliarden, davon rund die Hälfte BNPL (Buy-Now-Pay-Later) Finanzierungen,

In der Bilanz stehen davon 2 Milliarden Dollar, 500 Millionen wurden von Partnerbanken finanziert. Positiv: Die Rückstellungen für faule Kredite sanken um 2,1 Prozent auf 143,5 Millionen Dollar.

Ausblick

„Der Markteintritt neuer Spieler hat die Konkurrenz in unseren Märkten intensiviert. Die Konkurrenz wird möglicherweise zu einer beschleunigten Konsolidierung der Marktanteile führen. Und wenn sich die Märkte stabilisieren, werden die übrig gebliebenen Marktteilnehmer eine nachhaltige Profitabilität haben. Die Investitionen in Marktanteil jetzt werden unsere Marktführerschaft ausweiten und uns damit besser positionieren“, so CEO Forrest Li auf dem Earnings Call. Offenkundig haben viele Marktteilnehmer das so übersetzt: “TikTok, Shein und Temu machen uns zukünftig so viel Konkurrenz, dass wir auf absehbare Zeit Verluste fahren, und was am Ende rauskommt, bleibt ungewiss.” Das halte ich für übertrieben pessimistisch.

Doch wie immer man die Äußerungen des CEO Li deuten will: Der Balanceakt zwischen Wachstum, Marktanteil auf der einen und Profitabilität auf der anderen Seite wird uns in jedem Fall mittelfristig in diesem wettbewerbsintensiven Markt erhalten bleiben.

Das vierte Quartal ist die Shopping-Jahreszeit, also die beste Zeit, um Neukunden zu gewinnen. Sea plant jetzt weiter in Marktanteil zu investieren. 

Das Unternehmen setzt vor allem auf Livestreaming als Umsatzturbo. Die Zahl der einzelnen Streamer und der Streams verdreifache sich im Oktober gegenüber Juni, außerdem waren die Streams um ein Drittel länger.Im Oktober hat jeder fünfte aktiver Nutzer Livestreams konsumiert und rund ein Zehntel des Ordervolumen wurde im Live Stream verkauft. Vor allem die hochmargigen Kategorien Health and Beauty stehen im Vordergrund.

Positiv

Sea wächst wieder und baut die starke Marktposition im E-Commerce aktuell weiter aus.

Das Management ist überzeugt davon, dass E-Commerce ein “Winner Takes It All”-Geschäft ist. Der höhere Marktanteil führt perspektivisch zu Skalen-Gewinnen, was ein entscheidender Vorteil für das Pricing-Power sein wird.

Negativ

Die Transparenz hinsichtlich KPI und einzelner Märkte bleibt dürftig. Außerdem gibt es keine konkrete Guidance. Das mag auch dazu beitragen, dass die Analysten mit ihren Schätzungen scheinbar im Dunklen tappen. 


Das ewige Gespenst aber heißt TikTok. Zwar hatten die indonesischen Wettbewerbshüter der Video Plattform das E-Commerce Geschäft untersagt, jetzt heißt es aber zuletzt, dass sich Byte Dance, die Gesellschaft hinter der Plattform TikTok, am Konkurrenten Tokopedia beteiligen wolle. Tatsächlich könnte ein Player mit tiefen Taschen den Markt durcheinander wirbeln, es bleibt aber abzuwarten, ob das auch passiert.

My Take zur Sea-Aktie

Sea hat genau das getan, was das Management im letzten Earnings Call angekündigt hatte: Wachstum und Marktanteil gekauft. Die Anleger reagieren wieder genauso wie bereits bei der Ankündigung mit einem Abverkauf.

Selten manifestiert sich die Kurzsichtigkeit des Marktes deutlicher: Lieber Gewinne jetzt, als versprochener Marktanteile morgen. Das macht es der Sea-Aktie trotz historisch niedriger Bewertung (EV/Sales 2024: 1,5, EV/EBITDA 2024: 15,7), aktuell nicht leicht. 

Das wird sich wohl auch nicht morgen ändern. Wenn das Management mit seiner Strategie aber recht behält und die wichtigen Player keinen ruinösen Wettbewerb beginnen, dann werden Anleger in einigen Jahren im Rückspiegel auf diese Kurse blicken und Non-Buyers Remorse verspüren. Wir behalten die Sea-Aktie im EMDL Portfolio.

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Disclaimer

The EM Digital Leaders und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Sea. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Steffen Gruschka

    Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.

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Steffen Gruschka

Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.

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