Brennende Regierungsgebäude und Plünderungen. Die Bilder der letzten Tage werfen die Frage auf: Wie es zu diesen gewalttätigen Unruhen kommen konnte, wie politisch stabil Kasachstan ist und was daraus für Anleger folgt.
Kasachstan verfügt mit 30 Milliarden Barrel über enorme Erdölvorräte. Das Land belegt mit 17,7 Milliarden Kubikmetern den 15 Platz der weltweit größten Erdgasexporteure. Jahrelang wurde der Preis für Flüssiggas, welches viele Kasachen für ihre Autos nutzen, staatlich subventioniert niedrig gehalten. Die Aufhebung des Preisdeckels zum Jahreswechsels führte zu einem plötzlichen und starken Preisanstieg. Kostete der Liter Flüssiggas bis dato 60 Tenge (12 ct), so stieg der Preis kurz vor Weihnachten rapide an und erreichte im neuen Jahr 120 Tenge pro Liter. Das sorgte in der Bevölkerung für großen Unmut und erste Proteste, was die Regierung ganz offensichtlich vollkommen unterschätzte. Die Rücknahme der Erhöhung und der Rücktritt der Regierung kamen zu spät, und die zunächst friedlichen Demonstrationen glitten in Chaos und Anarchie ab. Es gab Tote und Verletzte, bis zu 6.000 Menschen wurden inhaftiert. Die Gaspreise waren offensichtlich nicht der alleinige Grund für die Unzufriedenheit!
Kasachstan ist ein Staat von der Größe Westeuropas, der 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden ist und bis heute noch unter den 18,8 Millionen Einwohnern zahlreiche Minderheiten beheimatet. Neben Kasachen, die 69 Prozent der Bevölkerung ausmachen, gibt es eine große russische Minderheit (19 Prozent) sowie Usbeken (drei Prozent) und viele weitere Ethnien in dem neuntgrößten Land der Welt. Noch vor einigen Jahren war der Anteil der Russen viel höher. Diese kulturelle Vielfalt begünstigte bereits zahlreiche Konflikte, genauso wie die Tatsache, dass die Gesellschaft traditionell von mächtigen Clans beherrscht wird. Es geht, wie so oft in Rentierstaaten, nicht nur um die politische Macht, sondern auch um den Zugang der gesellschaftlichen Gruppen zu Ressourcen.
Obwohl die Verfassung von 1993 auf dem Papier eine parlamentarische Demokratie vorsieht, liegt die Macht de Facto beim Präsidenten. Das Land wurde seit seiner Geburtsstunde autokratisch regiert; es zeichnete sich über weite Strecken durch eine bemerkenswerte politische Stabilität aus. Der seit Staatsgründung bis 2019 fast 30 Jahre lang amtierende Präsident Nursultan Nasarbajew war bereits vor seinem Amtsantritt am Ruder. Bis 1990 war Nasarbajew der Generalsekretär der kommunistischen Partei Kasachstans SSR. Wie sein Nachfolger war Nasarbajew Mitglied der Partei “Nur Otan” (kasachisch Нұр Отан „Strahlendes Vaterland“ oder „Licht des Vaterlands“), welche aktuell mit 84 von 107 Sitzen im Parlament für Autoritarismus, Zentralismus und Nationalismus steht. 2019 dankte er zwar als Präsident ab, doch besetzte er die wichtigsten Funktionen des Landes mit loyalen Mitstreitern. Nasarbajew sicherte sich zudem ewige Immunität, und er zieht mit seiner Familie bisher weiter die Fäden. 2010 erhielt er mit dem Titel „Führer der Nation“ lebenslange Immunität, was ihn nahezu unantastbar macht. Es gibt zahlreiche Korruptionsvorwürfen gegen ihn und sein Umfeld.
Kasachstan ist eigentlich ein reiches Land. Aufgrund der Bodenschätze hat sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den letzten zwanzig Jahren vervielfacht.
Der große Nutznießer davon ist vor allem die politische Elite. Gemeinsam mit seinen drei Töchtern kommt Nasarbajew auf ein geschätztes Vermögen von mehreren Milliarden Dollar. Die wachsende Ungleichverteilung von Vermögen hat sicherlich zu den aktuellen Protesten in Kasachstan beigetragen. Gerüchte besagen, dass sich Nasarbajew und seine Familie bereits ins Ausland abgesetzt haben.
Der aktuelle Präsident Kassym-Jomart Tokajew, von seinem Vorgänger persönlich ausgewählt und seit 2019 als Hoffnungsträger für Reformen im Amt, reagierte zunächst zögerlich auf die Eskalation der Lage. Die Senkung der Gaspreise und der Rücktritt der Regierung reichte den Demonstranten nicht. Seine Gegner deuten dies eher als einen rein symbolischen Akt, da der kasachische Präsident über eine enorme Machtfülle verfügt und die Abberufung der Regierung nicht zwingend einen Politikwechsel bedeutet. Vielmehr forderten die Demonstranten den Rücktritt von Tokajew und seinen Verbündeten. Wie stabil allerdings das Verhältnis von Tokajew und Nasarbajew noch ist, darüber gibt es unterschiedliche Spekulationen.
Tokajew hat wenige Tage nach den Unruhen den Geheimdienstchef und früheren Regierungschef Karim Massimow wegen Hochverrats festnehmen lassen. Die Angst vor einem Putsch und der Verwicklung des eigenen Sicherheitsapparats war zudem offenbar so groß, dass Tokajew Russland um militärische Unterstützung bitten musste.
Kasachstan gilt als traditionell enger und verlässlicher Partner Russlands. Russland hat starke Interessen im Nachbarland. Gemeinsam mit anderen Ex-Sowjetrepubliken entsandte Putin im Rahmen des Militärbündnisses (OVKS) rund 4.000 Soldaten in das Land, um Herr der Lage zu werden. Tokajew verkündete bereits, dass die Ordnung wiederhergestellt worden sei. Dabei sprach er von einem “versuchten Staatsstreich”, der nicht spontan entstanden, sondern zentral koordiniert worden sei.
Einschätzung zum Einbruch der Kaspi Aktie Anfang Januar 2022
Für Investoren in Emerging Markets zeigen die Spannungen in Kasachstan in aller Brutalität und Anschaulichkeit, wie fragil die politische und wirtschaftliche Lage in vielen Ländern sein kann. Die Börsen reagierten panisch auf die Ereignisse in Kasachstan. Der Kurs der Kaspi Aktie, die zum Portfolio unseres EM Digital Leaders gehört, sackte am Mittwoch vergangener Woche um 30 Prozent ab.
Von der Panik haben wir uns nicht anstecken lassen. Wenn alle in Panik verkaufen und es kaum Käufer gibt, ist es ohnehin falsch, Aktien zu verkaufen. Wir haben zeitnah einen Repräsentanten der Gesellschaft auf seinem Mobiltelefon erreicht. Dieser hatte sich seinen letzten Urlaubstag sicher anders vorgestellt, stand uns aber dennoch spontan Rede und Antwort zur Situation. Auch das Management von Kaspi wurde von den Geschehnissen überrascht. Wie nicht anders zu erwarten ist, hält man sich aus politischen Themen heraus.
Die Dienste des Unternehmens waren in den letzten Tagen aufgrund der Abschaltung des Internets nur bedingt nutzbar. Einige Geldautomaten wurden geplündert. Auch die Auslieferung von Bestellungen war unterbrochen. Mittlerweile funktionieren landesweit das Internet und Messenger Dienste wieder. Selbst wenn das öffentliche Leben in Kasachstan gestört ist, dürfte das Online-Geschäft von Kaspi von den Ausgangsbeschränkungen und der Schließung von Geschäften eher profitieren. Wir gehen von zunächst leichten Einbußen im E-Commerce aus. Wesentlichen physischen Schaden gab es bei Kaspi offenbar nicht. Das Management von Kaspi konzentriert sich aktuell darauf, möglichst schnell seine Dienstleistungen wiederherzustellen.
Die Unsicherheiten haben beim Kurs kurzfristig zu einen Bewertungsabschlag geführt. Der Aktienkurs konnte sich jedoch deutlich vom Tief am Mittwoch erholen. Fundamental läuft es bei Kaspi rund. Das Management erwägt bei einer andauernden Kursschwäche Aktienrückkäufe.
Trotz der “Stabilisierung” der Situation in Kasachstan ist das politische Risiko dort nun in den Vordergrund gerückt. Kaspi ist allerdings kein Staatsunternehmen. Das Unternehmen wird von dem aktuellen Präsidenten als einen wichtiger Faktor bei der Modernisierung des Landes gesehen. Aber auch eine reformorientierte, neue Regierung wäre für das Unternehmen positiv. Einige Banken, die der Entourage von Nasarbajew gedient haben, könnten sogar als Konkurrenten leiden. Der Worst Case wäre dagegen eine Entwicklung des Landes in Richtung Chaos und Anarchie oder Richtung Isolation und Stagnation wie in Weissrussland. Bleibt zu hoffen, dass die kasachischen Machthaber die Sorgen vieler Protestierender ernst nehmen und Reformen einleiten, von denen alle profitieren, nicht nur die politische Elite.
Disclaimer
EM Digital Leaders und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Kaspi. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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2 Antworten
Danke für das Update. Plant Ihr in Folge der aktuellen Entwicklungen und den unmittelbaren Folgen für das Geschäftsmodell – mit Blick auf die Expansion in die Ukraine – ein zeitnahes Update zu Kaspi?
Ja Helmut, ist in Arbeit. Viele Grüße, Steffen