Der Erfolg von Kaspi beruht auch auf dem Finanzierungsgeschäft. Wir machen einen Deep Dive in das Verhältnis von Marktplatz und Fintech und stellen dabei auch eine unangenehme Frage. Werden ausufernde Konsum-Kredite zum Problem? Muss gar der Regulator eingreifen?
Bedeutung der Finanzierung für den Marktplatz
Die Magie des Geschäftsmodells von Kaspi liegt in der Kombination aus mehreren Geschäftsfeldern: Marktplatz, Zahlungsverkehr und Kreditfinanzierung. Laut IPO-Prospekt aus dem vierten Quartal 2020 wurden 90 bis 95 Prozent des Warenwertes im Marktplatzgeschäft mit für den Kunden kostenfreien BNPL (Buy Now Pay Later) Finanzierungen gekauft: Kaspi finanziert also das Marktplatz-Geschäft.
Laut neuen Berechnungen der Analysten von Wood & Co hat sich der Finanzierungsanteil seither nicht wesentlich geändert und lag im letzten Jahr zwischen 85 und 99 Prozent. Das ist deutlich mehr als branchenüblich: Im globalen E-Commerce Geschäft schätzt Wood diesen Wert auf gerade mal auf ein Drittel; exakt lässt sich der Wert allerdings nicht bestimmen. Die Schätzung erfolgt auf Basis der verwendeten Zahlungsmethoden: Laut Statista werde 49 Prozent aller Einkäufe mit Hilfe von digitaler Wallets bezahlt, gefolgt von 20 Prozent Kreditkarten und 12 Prozent Debitkarten, 9 Prozent Bankkonto-Abbuchungen, 5 Prozent BNPL, 2 Prozent per Nachnahmes und 1 Prozent per Vorkasse.
BNPL hat zuletzt aufgrund geringer Zahlungsmoral und kriminellen Machenschaften zwischenzeitlich einen zweifelhaften Ruf erworben: “Buy Now, Pay Never” spötteln die Zyniker. Das trifft allerdings für Kaspi nicht zu: der Anteil fauler Kredite bleibt moderat. Das dürfte auch daran liegen, dass Kaspi die Kunden deutlich besser kennt als herkömmliche BNPL-Anbieter, da die Kunden nicht oft nicht nur ein Gehaltskonto bei Kaspi unterhalten, sondern auch öffentliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen, wie etwa Zahlungen von Steuern. Die Kreditausfallquote lag im vergangenen Quartal bei gerade einmal 1,7 Prozent.
Stellschraube Kreditgeschäft: Wie teuer soll das Wachstum sein?
Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die ausgewiesene Take Rate von Kaspi weder die Finanzierungskosten noch das Kreditrisiko berücksichtigt. Diese schlagen sich im Ergebnis des Fintech Bereichs nieder. Die im ersten Quartal berichtete Take Rate im Marktplatz (E-Commerce) von 10,2 Prozent enthält nach den Berechnungen der Wood Analysten circa 1,1 Prozent Punkte Finanzierungskosten und circa 2 Prozent Risikokosten. Die Netto Take Rate entspricht also „nur“ 7,1 Prozent. Das ist nicht unbedingt schlecht. Kaspi finanziert aktuell schnelleres Wachstum mit einer geringeren Marge und kann diese durch eine Reduzierung des Kreditangebotes jederzeit erhöhen.
Etwas niedriger ist die Marge im M-Commerce – zuletzt 8 Prozent. Refresher: Bei M-Commerce Transaktionen bezahlt der Kunde mit einem QR-Codes vor Ort beim Händler mit der Kaspi-Super-App. Für den Händler hat das neben der bequemen Abwicklung noch einen zusätzlichen Vorteil: Auch hier übernimmt Kaspi wieder das Kreditrisiko. Dem Händler können auf Basis der regelmäßigen Umsätze Händlerkredite gewährt werden.
Theoretisch könnte der Kunde die Karte eines anderen Anbieters wie Affirm nutzen, allerdings hat Kaspi erhebliche Vorteile bei der Einschätzung der Kreditwürdigkeit. Den Marktanteil Kaspis bei Zahlungen im kasachischen Einzelhandel schätzt Wood auf rund 21 Prozent. Nimmt man Lebensmittel aus dem Mix, sind es sogar 30 Prozent.
Die Regulierung für Konsumentenkredite ist bisher eher lax. Die Zinsen dürfen nicht über 56 Prozent p. a. liegen (aktuelle Zentralbankrate: 16,75 Prozent), Die Rückzahlungsraten sind auf die Hälfte des monatlichen Einkommens begrenzt und bis zu einem Existenzminimum von 70.000 KZT im Monat (rund 144 Euro) dürfen keine Kredite vergeben werden. Das ist keine hohe Hürde; der durchschnittliche Verdienst in Kasachstan liegt rund 5 Mal höher. 17,2 Prozent der Konsumausgaben 2022 waren kreditfinanziert, genauso viel wie im Jahr zuvor. 2017 waren es noch 10,3 Prozent
Das ausgezahlte Kreditvolumen lag im letzten Jahr bei 19 Milliarden Dollar, davon macht Kaspi zwei Drittel aus. Dennoch ist der Konsument aufgrund der sehr kurzen Laufzeiten der Kredite moderat verschuldet. Das Volumen der Konsumentenkredite lag Ende 2022 bei 7,4 Prozent des BIP und damit niedriger als in der Türkei (7,8 Prozent) und Georgien (11,1 Prozent). Insgesamt waren die Haushalte im Verhältnis zum BIP mit 13,9 Prozent verschuldet. Auch das ist noch kein exzessiver Wert, in Deutschland sind es 11,1 Prozent, in den USA 14,7 Prozent.
Nach den Schätzungen von Wood hatten am Jahresende 2022 7,4 Millionen, also 80 Prozent aller erwerbstätigen Kasachen, eine Konsumkredit von durchschnittlich 2.300 Dollar. Der durchschnittliche Kreditnehmer gibt laut Wood Schätzungen rund 5 Prozent seines Einkommens für die Kredittilgung aus.
Das sieht alles für uns nicht exzessiv aus. Wo ist also das Problem? Nun, der IWF (Internationaler Währungsfonds) sah das in seinem jüngsten jährlichen Country Report anders.
Regulatorisches Risiko am Horizont
Der IWF äußerte im Dezember 2022 Besorgnis über die Überlastung der Wirtschaft mit Verbraucherkrediten und forderte die Behörden zum Handeln auf. „Das schnelle Wachstum der Privatkundenkredite hat zu einer steigenden Verschuldung der privaten Haushalte geführt“, sagte der IWF und forderte „Aufsichtsmaßnahmen sollten den Risiken eines schnellen Wachstums der Verbraucherkredite und einer zunehmenden Marktkonzentration vorbeugen.“ Nach Angaben des First Credit Bureau, einer Art Schufa, haben etwa 1,5 Millionen Menschen Kreditrückstände (über 90 Tage), das sind deutlich zu viele. Positiv bewertet der IWF dagegen Fortschritte bei der Datenerhebung und der Schaffung eines Sekundärmarkt für faule Kredite.
Eine von der Regierung geplante Absenkung des maximalen Zinses auf 44 Prozent soll laut Bloomberg vor kurzem von der Bank Lobby verhindert worden sein.
Die Kreditzinsen liegen bei Kaspi weit unter dem gesetzlichen Limit, dennoch liegt die Zinsmarge im Fintech Geschäft bei satten 10 Prozent. Die Zinsmarge über allen Anlagen und Verbindlichkeiten lag im letzten Jahr bei 9,6 Prozent und damit deutlich niedriger als in den Vorjahren. Dieses Jahr soll die Zinsmarge laut Wood Analysten auf 7,2 Prozent fallen und sich dann im nächsten Jahr auf 8,8 Prozent erholen. Unseres Erachtens sind diese Schätzungen eher konservativ.
Das regulatorische Risiko steigt mit dem Erfolg des Geschäfts. Es ist nicht auszuschließen, dass Kaspi mittelfristig einen Gang runterschalten muss: Das würde im Marktplatz weniger Finanzierung und damit weniger Wachstum bedeuten, dafür aber höhere Margen.
Update zur Geldpolitik
Die jährliche Inflationsrate verlangsamte sich im Juni MoM um 130 Basispunkte auf 14,6 Prozent, Ende 2022 und Anfang dieses Jahres lagen sie bei über 20 Prozent.
Die kasachische Zentralbank beließ ihren Leitzins am Mittwoch unverändert bei 16,75 Prozent und ließ verlauten, die Inflationserwartungen seien weiterhin hoch. Gleichzeitig wurde das eigene mittelfristige Inflationsziel von 4 bis 5 Prozent in den Jahren 2023 und 2024 auf 5 Prozent und ab dem Jahr 2025 auf 3 bis 4 Prozent angepasst.
Die Bank zieht aus dem positiven Inflationstrend ein positives Resümee: Man werde bei der nächsten Sitzung im August eine vorsichtige Senkung in Betracht ziehen. Der Internationale Währungsfonds empfahl dagegen noch vor kurzem, dass „die Politik im Jahr 2023 restriktiv bleiben sollte, bis sich die Inflation deutlich im Abwärtstrend befindet und die Inflationserwartungen wieder verankert sind“. Die Zinssenkung im August erscheint mutig.
Zinssenkungen sind positiv auf die Zinsmargen, wirken sich aber auch positiv auf die Belastung für den Konsumenten aus. Das dürfte zunächst auch den Handlungsdruck auf den Regulator reduzieren.
Fazit
Wir schätzen das aktuelle regulatorische Risiko in Kasachstan noch als moderat ein, weil die Verschuldungsquote der Haushalte/BIP mit 13,9 Prozent noch unkritisch ist und der Kreditzyklus aktuell dreht; die Flut hebt alle Boote. Dennoch sind die Zeiten des starken Wachstums wohl vorbei. Wenn die Banken nicht vorsichtig agieren, könnte der Regulator in den nächsten Jahren durchaus eingreifen.
Am 24. Juli präsentiert Kaspi die Zahlen für das zweite Quartal – wir sind gespannt, was wir hinsichtlich der Prognose für das Gesamtjahr lernen können.
Disclaimer
The EM Digital Leaders und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Kaspi. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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