Mit dem Survivorship Bias kommen bei Highgrowth Portfolios die Tränen

7. Juli 2023

Fonds kommen nicht zufällig auf den Markt: Strategien werden entworfen und in Backtests validiert. Die sind aber oft fehlerhaft. Im ersten Teil einer zweiteiligen Serie erläutern wir die Probleme von Backtests und dem Survivorship Bias, im zweiten zeigen wir die schwerwiegenden Folgen einer All-in-Wette auf Highgrowth Aktien.

Der Survivorship Bias: Eine Definition

Der Survivorship Bias tritt auf, wenn in einer Analyse nur die Aktien einbezogen werden, die über die Zeit überlebt haben. Unternehmen, die scheitern, fallen dann oft durch das Raster.  Das kann die Ergebnisse verzerren und zu einer Überschätzung der Performance der Strategie führen.

Bei Wachstumswerten kann die Verzerrung durch die Überlebensrate besonders relevant sein. Wachstumsaktien schwanken im Vergleich zu etablierten Unternehmen häufig stark. Die höhere Volatilität reflektiert das höhere Ausfallrisiko, dem diese Unternehmen unterliegen. Viele Wachstumswerte erleiden nicht nur immer wieder erhebliche Kursverluste, sondern scheitern mitunter. Wenn die für das Backtesting verwendeten historischen Daten nur die Unternehmen enthalten, die überlebt haben, führt das zu einer verzerrten Sicht auf die Effektivität der Strategie – die gescheiterten Unternehmen einzubeziehen, reduziert systematisch die Rendite der Strategie, da vor dem Scheitern in der Regel hohe Kursverluste anfallen.

Um den Survivorship Bias beim Backtesting von fundamentalen Anlagestrategien mit Wachstumswerten abzuschwächen, ist es wichtig, nicht mehr notierte Aktien zu berücksichtigen und ihre historischen Daten in die Analyse einzubeziehen. Dies kann eine Herausforderung sein, da es mitunter schwierig ist, genaue und umfassende historische Daten für nicht mehr notierte Aktien zu erhalten. Viele Datenquellen und Research-Datenbanken bieten Datensätze ohne Survivorship Bias, die historische Daten sowohl für aktive als auch für nicht mehr notierte Aktien enthalten.

Durch die Einbeziehung von nicht mehr gelisteten Aktien in die Analyse erhalten wir eine realistische und genaue Bewertung der möglichen Performance einer neuen Strategie, indem wir das gesamte Universum der Wachstumsaktien, einschließlich der Gewinner und Verlierer, berücksichtigen. Das trägt dazu bei, eine Überschätzung der potenziellen Renditen zu vermeiden. Das hilft, die Erwartungen der Anleger (und des Fondsmanagements) über die Möglichkeiten und Grenzen einer Strategie zu moderieren. Backtests werden nicht nur bei neuen Fonds unternommen; sie eignen sich auch für die Analyse der Eigenschaften von Aktienuniversen bestehender Fonds und Investmentstrategien.

Der Nasdaq Composite: Reiten auf der Wachstumswelle

Um den Survivorship Bias zu vermeiden, kalibrieren wir das Anlageuniversum jedes Jahr auf den Nasdaq Composite Index am Ende des Vorjahres. Der Nasdaq Composite-Index ist eine breit angelegte Benchmark, die Tausende von Aktien umfasst. Obwohl der Nasdaq Composite häufig als Technologie-Index bezeichnet wird, liegt der gemeinsame Nenner darin, dass er ein Listing-Ort ist. Hier befinden sich die Unternehmen, die an der Nasdaq-Börse notiert sind. Er umfasst eine breite Palette von Unternehmen aus verschiedenen Sektoren, darunter Technologie, Gesundheitswesen, zyklische Konsumgüter und mehr. Zwar ist er klar Growth-orientiert, aber eben kein Tech-Index. Dass er oft so bezeichnet wird, liegt darin, dass die Nasdaq-Börse als erste auf den Computerhandel setzte – flugs wurde aus der Nasdaq im allgemeinen Sprachgebrauch erst eine “Computer-” und dann eine “Technologie-Börse”.

Wir kalibrieren den Nasdaq-Composite regelmäßig, um die Veränderungen seiner Zusammensetzung im Laufe der Zeit zu erfassen. Unternehmen wachsen, reifen, scheitern oder verlagern ihren Geschäftsschwerpunkt. Das führt dazu, dass sich nicht nur die Branchenzusammensetzung des Index über die Zeit verändert, sondern die identischen Unternehmen über die Zeit die Branche wechseln. Das wollen wir in einer Gegenüberstellung der Indexzusammensetzung 2004 gegenüber heute illustrieren (Quelle der nachfolgenden Grafiken: Factset). Die untere untere Tabelle zeigt zunächst die Top 10 im Nasdaq Composite 2004, der damals aus etwa 3.200 Aktien bestand.

Kommen wir jetzt zur Gegenwart in der zweiten Tabelle. Sie zeigt die 10 dominierenden Titel im Jahr 2023. Der Nasdaq besteht aktuell aus etwa 3.700 Aktien. Jedoch haben es nur 825 Aktien, die 2004 im Index waren, in den heutigen Nasdaq geschafft. Das zeigt, wie schnelllebig Wachstumsaktien sind und wie ausgeprägt die strukturellen Veränderungen von Märkten im Zeitablauf sind.  

Ein anderer Punkt, der direkt ins Auge fällt, ist, wie stark die Konzentration des Nasdaqs zugenommen hat und wie enorm große Wachstumsfirmen heute sind. Während 2004 die Top 10 Titel knapp 28 Prozent des Index ausmachten, kommen wir mittlerweile auf fast 50 Prozent. Die einzige Aktie, die 2004 und heute in den Top zehn vertreten ist, ist Microsoft, damals mit einer Kapitalisierung von 290 Milliarden, mittlerweile ist die Kapitalisierung auf 2,5 Billionen Dollar angestiegen.

Auch bei der Sektorenaufteilung gab es zwischen 2004 und heute einige Veränderungen zu verzeichnen. Wie die untere Tabelle zeigt, waren 2004 Tech-Services mit 23 Prozent im Index gewichtet. Der zweitgrößte Sektor waren Elektronikwerte mit 22 Prozent, Gesundheits- und Finanztitel folgten mit jeweils knapp zehn Prozent. 

Anders das Bild aus 2023. Hier spiegelt sich auf Sektorebene wider, was wir bereits bei den Einzeltiteln festgestellt haben: die Konzentration des Index. Heute finden sich auf Sektorseite erneut Tech-Services und Elektronikaktien auf den ersten beiden Plätzen, allerdings mit Gewichtungen von 35 bzw. 26 Prozent. Das Gewicht der beiden Sektoren hat sich also von 43 Prozent 2004 auf 60 Prozent erhöht. 

Auf Rang drei sind Retailunternehmen (neun Prozent) aufgerückt, und auch Consumer Durables haben an Bedeutung gewonnen. Healthcare ist auf Rang vier gefallen (7,6 Prozent). Finanztitel machen im Nasdaq Composite heute nur noch 3,6 Prozent aus. Retail, Trade und Consumer Durables haben dagegen an Bedeutung gewonnen.

Survivorship Bias Highgrowth Grafik 2023

Backtesting entfesselt: Herausforderung für Highgrowth Strategien

Die oben skizzierte Veränderung bei den Benchmarks über die Zeit zeigt, dass das Backtesting von fundamentalen Anlagestrategien insbesondere bei Wachstumswerten eine Herausforderung darstellt. Die hohe Fluktuation beim Nasdaq Composite ist auch durch wiederholte Konsolidierungen und die Gründung vieler Growth-Unternehmen nach 2004.  Folglich ist die Historie der Finanzdaten der Indexbestandteile begrenzt. Daher kann es schwierig sein, die Performance von fundamentalen Anlagestrategien zu beurteilen. Aus diesem Grund sollten Strategie-Tests auf der Basis repräsentativer Stichproben von Aktien erfolgen, die verschiedene Branchen beinhalten. 

Wachstumswerte sind oft mit hoher Volatilität und Unsicherheit verbunden. Ihre Kurse können je nach Marktstimmung, Erwartungen der Anleger und unternehmensspezifischen Faktoren erheblichen Schwankungen unterliegen. Diese Volatilität kann die Modellierung und das Backtesting, die sich auf die Fundamentalanalyse stützen, erschweren. Ein größeres Anlageuniversum wie der Nasdaq Composite mildert diese Risiken zwar, aber ohne den Survivorship Bias zu adressieren, sind Backtests problematisch.

Wachstumswerte stehen oft im Rampenlicht und ziehen die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich, was zu verstärktem Wettbewerb und potenziellen Marktineffizienzen führt. Wachstumswerte können im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen in ihren Geschäftsmodellen, Strategien oder der Marktdynamik erfahren. Für das Backtesting fundamentaler Anlagestrategien sind historische Daten erforderlich, die die Merkmale des Unternehmens in dem betreffenden Zeitraum genau widerspiegeln, und es werden nur Informationen verwendet, die in der Vergangenheit verfügbar waren.

Insgesamt ist es zwar möglich, Backtests für fundamentale Anlagestrategien mit Wachstumsaktien durchzuführen, aber aufgrund der einzigartigen Merkmale und Herausforderungen, die mit Wachstumsaktien verbunden sind, ist dies im Vergleich zum Backtesting von Strategien mit reiferen und etablierten Unternehmen weniger einfach. Es erfordert eine sorgfältige Berücksichtigung der spezifischen Faktoren, die für Wachstumsaktien relevant sind, und kann zusätzliche Komplexität bei der Datenanalyse und Modellierung mit sich bringen.

Wachstumsaktien: Durch Backtesting das Potential erfassen

Mit unserem Backtesting können wir die historische Performance einer auf Wachstumsaktien angewandten fundamentalen Anlagestrategie bewerten. Durch die Simulation von Trades auf der Grundlage historischer Daten können wir die Renditen, Risikokennzahlen und andere Performance-Indikatoren der Strategie messen. Diese Auswertung liefert wertvolle Erkenntnisse über die potenzielle Rentabilität und die Risikoeigenschaften der Strategie. Durch die Analyse der historischen Performance können wir Stärken, Schwächen und verbesserungswürdige Bereiche identifizieren. Dieser iterative Prozess hilft Ihnen bei der Feinabstimmung der Strategieparameter, wie z. B. Bewertungsschwellen, Wachstumsmetriken oder Timing-Überlegungen, um die Effektivität der Strategie zu erhöhen.

Darüber hinaus bietet das Backtesting die Möglichkeit, das mit der gewählten fundamentalen Anlagestrategie verbundene Risiko zu bewerten. Durch die Analyse historischer Drawdowns, der Volatilität und anderer Risikokennzahlen können wir das Risikoprofil der Strategie bewerten und ihre Eignung für Ihre Anlageziele und Risikotoleranz bestimmen.

Backtesting kann das Vertrauen in eine Anlagestrategie stärken, indem es ihren historischen Erfolg nachweist. Ein solider und gut durchgeführter Backtest, der konsistente Renditen und günstige Risikokennzahlen nachweist, kann das Vertrauen in das zukünftige Erfolgspotenzial der Strategie stärken. Dieses Vertrauen ist für uns wertvoll, um in schwierigen Marktphasen diszipliniert zu bleiben.

Ausblick: Die Geheimnisse eines Zehnjahres-Backtests

Viele Aktienanalysten wissen, dass die Einrichtung einer sauberen Dateninfrastruktur oft mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Durchführung der Finanzanalysen. Im zweiten Teil unserer Serie zur Analyse werden wir die Unternehmen im Nasdaq Composite anhand ihrer Eigenschaften clustern und die Performance dieser (sich ständig verändernden) Aktiengruppen und ihr Risiko analysieren. Der Index steht dabei stellvertretend für das Universum der Wachstumsaktien. Dabei haben wir einen Zehnjahres-Zeitraum gewählt, um belastbare Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Wachstum und Profitabilität zu gewinnen.

Zehn Jahre decken mehrere Marktzyklen ab, darunter Hausse- und Baisse-Märkte, Phasen der hohen und niedrigen Volatilität sowie die verschiedenen Phasen im Konjunkturzyklus, Expansion, Kontraktion und Erholung. Die Analyse der Performance der Strategie unter verschiedenen Marktbedingungen ermöglicht eine solidere Bewertung ihrer Wirksamkeit und Widerstandsfähigkeit. 

Fundamentale Wachstumsaktienstrategien sind oft langfristig angelegt und konzentrieren sich auf die Identifizierung von Unternehmen mit nachhaltigem Wachstumspotenzial. Ein 10-Jahres-Backtest kann Aufschluss über die Fähigkeit der Strategie geben, langfristige Wachstumstrends zu erfassen und ihre Leistung über einen längeren Anlagehorizont zu bewerten.

Natürlich gibt es auch Einschränkungen: Zehn Jahre sind eine lange Zeit, aber die Angemessenheit des Backtesting-Zeitraums hängt vom spezifischen Kontext, den Zielen und den Merkmalen der getesteten Strategie ab. Manche Strategien können längere Zeiträume erfordern, um spezifische Faktoren oder Marktdynamiken auszuspielen.

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Disclaimer

Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor

  • Stefan Hartmann

    Stefan schaut auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Derivate und Hedge Funds zurück. In seiner Tätigkeit als globaler Leiter des Quantitativen Research Teams bei ABN AMRO, hat er über 300 institutionelle Kunden in den USA, Europa und Asien zu allen Fragen des Investment Prozesses beraten. Zuvor war er 10 Jahre bei Salomon Smith Barney als Leiter des quantitativen Research Teams für Europa tätig, wo er Top Rankings in den großen Research Surveys erzielte. Stefan hat über 50 Research Veröffentlichungen zu allen Aspekten des Investment Prozesses in Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Währungen publiziert.

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Stefan Hartmann

Stefan schaut auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Derivate und Hedge Funds zurück. In seiner Tätigkeit als globaler Leiter des Quantitativen Research Teams bei ABN AMRO, hat er über 300 institutionelle Kunden in den USA, Europa und Asien zu allen Fragen des Investment Prozesses beraten. Zuvor war er 10 Jahre bei Salomon Smith Barney als Leiter des quantitativen Research Teams für Europa tätig, wo er Top Rankings in den großen Research Surveys erzielte. Stefan hat über 50 Research Veröffentlichungen zu allen Aspekten des Investment Prozesses in Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Währungen publiziert.

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