Der geteilte Anlegerhimmel: zwischen US-Goldilocks und europäischer Tristesse

10. November 2023

Die Earnings Season zeigt gleich mehrfach, dass Anleger in zweigeteilten Welten leben: einmal gehen die USA und Europa deutlich auseinander. Es läuft für die Unternehmen in den USA besser. Ohne auf die Feinheiten einzugehen: die Zahlen in den USA reflektieren ein Ende der Rezessionssorgen. Die Inflation fällt, und die als “dovish” interpretierten Aussagen Jerome Powells letzte Woche haben Anleger offenbar darin bestärkt, dass die Fed mit den Zinserhöhungen durch ist. Die Börse feiert, und sie darf sich durch die aktuellen Zahlen in ihrer Goldilocks-These bestärkt sehen. Auf den ersten Blick waren die Zahlen auch gut – über 80 Prozent der S&P 500-Unternehmen haben mit höheren Gewinnen als erwartet überrascht. 

Aber der Himmel ist auch in anderer Hinsicht geteilt. Heute werden die Zahlen von gestern gefeiert. Nach vorne sieht es nicht so ermutigend aus. Nach einer Analyse von Factset haben Analysten seit Oktober die Q4-Gewinne für S&P-500-Unternehmen um 3,9 Prozent gesenkt. Die Kursreaktionen fallen bei Enttäuschungen überproportional stark aus. Nachbörslich hat die Aktie von The Trade Desk gestern knapp 30 Prozent verloren. Bereits zu Beginn der Earnings Season hat die Alphabet-Aktie nach einem schwachen Ausblick herbe Rückschläge hinnehmen müssen, und auch die Erwartungen bei Tesla, Airbnb, Booking und Apple fielen gedämpft aus. Anleger klammern sich an die guten Zahlen, die aber das Geschäft von gestern reflektieren – ein klassischer Fall von Gegenwarts-Bias? Als hätte man in der Fed das so gesehen, kamen gestern auf der Tagung des IWF prompt Kommentare Powells, die in der Sache nicht neu, aber im Ton etwas  “hawkisher” ausfielen. Vielleicht hat ihn der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff, der auf demselben IWF-Panel saß, aufgerüttelt? Seine Überzeugung: Deglobalisierung, Übergang zu Clean Energy und höhere Verteidigungsbudgets sollten Inflation und Zinsen für eine Dekade oben halten.

Autor

  • Baki Irmak

    Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.

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Baki Irmak

Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.

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