Vor 15 Monaten hatte ich hier im Blog nach Ankündigung der Übernahme von Red Hat durch die IBM (siehe: Die teuerste Softwareübernahme aller Zeiten) den Mut der IBM gewürdigt. Ich sah die Chance, einen Wendepunkt in der Geschichte der IBM einzuleiten, wenn es gelingt, möglichst viel von der offenen Red Hat Kultur in eine neue IBM einzubringen.
Seit Juli 2019 ist die Akquisition nun formal abgeschlossen. Noch ist es viel zu früh, um eine endgültige Bilanz der Integration von RedHat zu ziehen. Aber die gerade vorgelegten IBM Zahlen für 2019 bieten eine gute Gelegenheit, mal wieder etwas genauer auf die Entwicklung von Big Blue zu schauen.
Inhaltsverzeichnis
Die Geschäftszahlen für 2019
- Der Gesamtumsatz der IBM betrug in 2019 $77,1 Milliarden, das sind 3 Prozent weniger als im Vorjahr. Davon wurden $21 Milliarden Umsatz im Segment „Cloud & Cognitive Software“ erzielt, zu dem nun auch Red Hat zählt. Mit der Akquisition stieg der Umsatz in diesem Geschäftsbereich im 4. Quartal um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal.
- Es wurde in 2019 ein Free Cashflow von $11,9 Milliarden erzielt, davon $6 Milliarden alleine im 4. Quartal.
- Die hohe Verschuldung aus der Red Hat Akquisition konnte seit Mitte 2019 um $10 Milliarden auf aktuell $63 Milliarden reduziert werden.
- Die Bruttomarge wurde im 4.Quartal um 2,3 Prozentpunkte auf knapp 52 Prozent gesteigert, auch hier zeigen sich positive Auswirkungen aus der Red Hat Konsolidierung.
- Als Nettogewinn wurde 10,57$ pro Aktie (aus dem fortgeführten Geschäft) ausgewiesen.
IBM Aktie – Die Guidance für 2020
Für 2020 wurde der folgende Ausblick gegeben:
- Der Umsatz soll zumindest nicht weiter zurückgehen, ein konkretes Umsatzziel wurde nicht ausgegeben.
- Pro Aktie sollen im operativen Geschäft mindestens 13,35$ verdient werden.
- Der Free Cashflow soll mit einstelligen Wachstumsraten weiter ansteigen auf $12,5 Milliarden.
Das sind bescheidene aber wohl realistische Ziele. Von einem deutlichen Wachstum darf man als Aktionär auch weiterhin nicht ausgehen.
Das Big Picture – ein Trauerspiel
Wenn ich mir die Entwicklung der IBM in den letzten 10 Jahren betrachte, dann macht mich das traurig. Ich habe in früheren Jahren mit meinem Softwareunternehmen sehr erfolgreich mit der IBM als strategischem Partner zusammengearbeitet und dort einige der schlausten Köpfe überhaupt kennengelernt. Viele von denen sind auch heute noch IBMer, allerdings hat der Stolz, ein IBMer zu sein, in den letzten Jahren etwas gelitten.
Das Unternehmen hat sich in den ersten 100 Jahren seines Bestehens bis 2011 bereits mehrmals neu erfunden und dabei viele Krisen bewältigt. Heute immer noch sehr beeindruckend anzusehen ist folgendes Video, das die ersten 100 Jahre der IBM in 13 Minuten zusammenfasst:
Die ersten 100 Jahren der IBM waren geprägt von weitsichtigen Unternehmensführern und bahnbrechenden Innovationen, die nicht nur das Unternehmen, sondern die ganze Menschheit (bis zum Mond) vorangebracht haben.
Heute wirkt IBM oftmals wie ein Relikt aus einem vergangenen Jahrhundert. Seit vielen Jahren schon ist man abhängig von Akquisitionen, mit denen man immer wieder Innovationen von extern einkauft und dann bestmöglich monetarisiert.
Aber trotz all des zugekauften Umsatzes (hier nachzulesen: alleine 17 milliardenschwere Übernahmen) sinkt der IBM Umsatz seit 2011 stetig.
Angesichts dieser Umsatzentwicklung ist es wenig verwunderlich, dass auch der Kurs der IBM Aktie trotz attraktiver Dividendenrendite und Aktienrückkaufprogrammen seit 2013 unter Druck ist. Und das obwohl (oder gerade weil?) die IBM dem Shareholder Value oberste Priorität einräumt. Die IBMer, die in ihrem Arbeitsumfeld von immer neuen Sparmaßnahmen betroffen sind, wissen wovon ich rede.
IBM versus Microsoft und Apple
Richtig dramatisch schaut diese Entwicklung aus, wenn man die Entwicklung der IBM mit Microsoft und Apple vergleicht. Vor 10 Jahren begegneten sich die drei Konzerne noch auf Augenhöhe mit einer Marktkapitalisierung von $160 Milliarden (IBM), $180 Milliarden (Apple) beziehungsweise $250 Milliarden (Microsoft). Heute sind Apple und Microsoft das 10-fache der IBM wert.
Ein Hauptgrund dafür ist, dass IBM den Trend zum Cloud-Computing zunächst verschlafen und dann die Aufholjagd nicht mit der nötigen Konsequenz vorangetrieben hat. Nun wird der riesige Markt für Public-Cloud-Infrastruktur-Services weitgehend ohne die IBM verteilt und Amazons AWS, Microsoft Azure und die Google-Cloud-Platform GCP sind (außerhalb von China) die großen Gewinner.
Die Gretchenfrage für die kommenden 10 Jahre ist, ob sich der IBM Konzern nochmals neu erfinden kann oder ob die stolze IBM in der nächsten Dekade bis zu ihrem 120. Geburtstag endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.
Eine Schlüsselrolle kommt dabei tatsächlich Red Hat zu. Die Red-Hat-Container-Plattform „OpenShift“ ermöglicht es den IBM-Kunden, die IBM Softwareprodukte bei den verschiedenen Cloud-Providern – also bei AWS, Azure oder in der GCP – zu betreiben. Im Q4 2019 hat das zu einer Verdoppelung der Red-Hat-Deals bei Großkunden gegenüber dem Vorquartal geführt. Ob diese Strategie aber zu einem nachhaltigen Wachstum des Gesamtkonzerns führt, das wage ich zu bezweifeln.
Denn die IBM steht nach wie vor für die alte schwerfällige Enterprise-IT. „Nobody ever got fired for buying IBM“ – jeder Techie hat diesen Spruch schon mal gehört. Er beschrieb sehr treffend die frühere Abhängigkeit der Großkunden von der IBM, die das Vendor-Lock-In über Jahrzehnte perfektioniert hatte. Das ist Vergangenheit. Heute gibt es wohl für jedes Problem auch in der unternehmenskritischen IT genügend valide Alternativen fernab der IBM.
Die IBM ist zu einem ganz normalen Unternehmen geworden, das im harten Wettbewerb steht und den Kunden in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen muss. Ein solcher Kulturwechsel ist nicht einfach für ein Unternehmen, dessen Kunden früher in guten und in schlechten Zeiten mangels Alternativen bei der Stange bleiben und bei IBM kaufen mussten.
Bewertung der IBM Aktie
Die IBM Aktie ist optisch preisgünstig zu haben. Das KGV beträgt 11, die Dividendenrendite fast 5 Prozent. Das Financial Engineering funktioniert, es ist der IBM zuzutrauen auch in 2020 den Cashflow weiter zu steigern. Die Aktie ist damit nicht unattraktiv für dividendenorientierte Value-Investoren.
Für uns ist die langfristige Zukunft der IBM jedoch weiter fraglich. Wir sehen in der IBM auch nach der geglückten Red-Hat-Übernahme keinen Digital Leader und werden die Entwicklung weiterhin interessiert von der Seitenlinie aus beobachten.
Wenn Du Dich dafür interessierst, welche digital führenden Unternehmen wir der IBM Aktie vorziehen, dann kannst Du jetzt hier unseren Kostenlosen Newsletter abonnieren.
Autor
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Stefan war in seinem gesamten Berufsleben in der High-Tech-Industrie tätig. Er hat sein eigenes Software-Unternehmen gegründet, internationalisiert und vor einigen Jahren ins Silicon Valley verkauft. Der Wirtschaftsmathematiker investiert seit über 30 Jahren in Aktien. Er verwaltet eines der erfolgreichsten investierbaren Musterportfolios auf der wikifolio Plattform.
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2 Antworten
Hallo Herr Waldhauser,
vielen Dank für Ihren spannenden Artikel. Sie sagen die Zukunft von IBM liege in der Akquisition von Red Hat (vereinfacht von mir zusammengefasst). Spielt das Thema KI (Stichwort „Watson“) z.B. für medizinische Analysen und oder Geschäftsprozessanalyse denn keine Rolle für die Zukunft, wenn auch aktuell noch nicht? Ohne dies genau beurteilen zu können, hatte ich aus der Presse durchaus das Gefühl, dass IBM hier mithalten kann und durchaus auch führend ist. Ähnliches gilt auch für Quantencomputer (wenn auch in noch fernerer Zukunft…). Oder spielen diese beiden Bereiche aus Ihrer Sicht keine entschiedene Rolle für die Zukunft von IBM?
Hallo Herr Houdek,
selbstverständlich spielt AI auch für IBM in der Zukunft eine große Rolle. IBM war hier mit Watson (zumindest marketing-technisch, aber wohl auch technologisch) vor 7-8 Jahren führend. Aber ich bezweifle, dass die IBM diese Führungsposition auch heute noch innehat. Die internen Entwicklungen gehen bei Big Blue einfach zu langsam voran im Vergleich zu den hochspezialisierten Wettbewerbern. Daher gehe ich davon aus, dass irgendwann weitere größere Zukäufe bei IBM rund um AI nötig sein werden, um weiter mitzuhalten. Den Cashflow dafür hat die IBM ja.
Die Forschung rund um Quantencomputer ist spannend, den Zeitpunkt für einen kommerziellen Durchbruch kann aber derzeit wohl noch niemand seriös vorhersagen. Das ist mir zu weit weg, um ein Investment zu begründen. Wir halten es da mit Geoffrey Moore und seinem „Technology Adoption Life Cycle“ was den Zeitpunkt eines möglichen Investments betrifft (siehe https://www.high-tech-investing.de/single-post/2017/10/09/Der-Tornado-als-Signal-zum-Einstieg )