Die Sea Aktie hat einen dramatischen Absturz hinter sich. Die fallenden Einnahmen im Gaming Bereich haben das Unternehmen zum Umdenken gezwungen: Erhöhung der Take Rates im E-Commerce statt Marktanteilsgewinne. Die wesentliche Frage ist: Kann die in Not geratene Sea beizeiten umsteuern? Wir beleuchten den Status quo und die Neuausrichtung.
Lange Durststrecke für Aktionäre
Die Sea Aktie gehört zu den Prügelknaben an der Börse. Nach Kursen von über 350 Dollar im letzten Jahr stürzte das Papier seit Oktober 2021 kontinuierlich bis auf zuletzt unter 50 Dollar, ein Verlust von über 80 Prozent. Auslöser ist die Zeitenwende an den Börsen. Unprofitable Welteroberer sind nicht mehr en vogue, der Trend geht hin zu Unternehmen, die zumindest die Aussicht auf zeitnahe Profitabilität glaubhaft machen können. Dem Kurs nach zu urteilen, war das bisher nicht der Fall. Wir wollen sehen, wo das Unternehmen steht, was sich ändert und was das für Anleger bedeutet.
Gaming weiter unter Druck
Fangen wir mit den schlechten Neuigkeiten im Bereich Digital Entertainment an: Garena, die einstige Cash-Cow des Unternehmens, schrumpft weiter deutlich. Nach dem politisch motivierten Aus für den Kassenschlager Free Fire in Indien 2021 verlieren nach der Pandemie angesichts Alternativen Unterhaltungsoptionen die Spieler weltweit das Interesse.
Die Anzahl der aktiven Gamer sank im abgelaufenen Quartal gegenüber Q2 weiter um 8 Prozent auf 568 Millionen. Der Anteil der zahlenden Spieler bleibt stabil bei 9,1 Prozent. Der resultierende Umsatz lag bei 664 Millionen Dollar und damit 7 Prozent weniger als im Vorquartal. Im gleichen Zeitraum letztes Jahr waren es noch fast doppelt so viele gewesen. Die Marge bleibt stark unter Druck: 32,5 Prozent gegenüber 37,1 Prozent in Q2 2022 und 65,1 Prozent im Vorjahresquartal. Es ist auch keine Besserung in Sicht, die Guidance für das Gesamtjahr wurde von 2,9 bis 3,1 Millionen Dollar auf 2,6 bis 2,8 Millionen Dollar reduziert. Unsere Analyse der Digitalen Spur zeigt, dass die Nutzung für Free Fire weiterhin fällt, jedoch sich seit September etwas stabilisiert hat.
Fintech gewinnt an Bedeutung
Dynamisch entwickelte sich dagegen der Bereich Finanzdienstleistungen. Der Umsatz von 327 Millionen Dollar lag 147 Prozent über dem Vorjahr. Die Digital Bank hat ein aktives Kreditvolumen von 2,2 Milliarden Dollar mit einer durchschnittlichen Laufzeit von vier Monaten. NPL (Non Performing Loans, 90 Tage) liegen bei unter 4 Prozent. So weit, so gut. Außerdem schmelzen die Verluste, die EBITDA-Marge liegt zwar bei -20,7 Prozent, das ist aber wenig im Vergleich zu den historischen Werten. Mit einem zehnprozentigen Umsatzanteil fängt Sea Money außerdem an, im Umsatzmix relevant zu werden. Doch gleichzeitig erhöht das Fintech-Segment die Risiken bei Sea. Daher möchte Sea künftig das Funding Risiko reduzieren. Dazu muss das Unternehmen externe Finanzierungsquellen anzapfen, das wiederum die Marge eher drücken sollte.
E-Commerce im Wandel
Sea Limited hatte bisher den Erfolg im Gaming-Segment genutzt, um im E-Commerce die Welt zu erobern. Solange das Gaming Geschäft nur gewachsen ist, war das ein gangbarer Weg, auch wenn E-Commerce bisher chronisch unprofitabel gewesen ist. Seit das Gaming-Geschäft schrumpft, lautet die zentrale Frage der Investoren: Kann Sea mit E-Commerce Geld verdienen? Hier gab es erste erfreuliche Entwicklungen in Q3. Die in den vergangenen Quartalen unternommenen Maßnahmen bei der Take Rate haben die Wachstumsrate beim TPV von über 100 Prozent vor zwei Jahren auf gerade einmal 14 Prozent im Berichtsquartal regelrecht abgewürgt, gleichzeitig hilft das den Margen. Der Umsatz stieg im Jahresvergleich um 39 Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar.
Die für den profitabilitätshungrigen Markt noch wichtigere EBITDA verbesserte sich auf minus 496 Millionen Dollar. Im Quartal zuvor waren es minus 648 Millionen, im Jahr zuvor sogar minus 683 Millionen. Besonders gut entwickelte sich dabei der asiatische Markt. Dort konnten die Verluste um ein Drittel reduziert werden. Malaysia und Taiwan waren sogar EBITDA positiv.
Eine alternative Darstellungsweise für den Fortschritt lässt sich aus dem folgenden Schaubild ablesen: Der Verlust für jede einzelne Order konnte von bisher um 0,40 US Dollar auf 0,25 Dollar im abgelaufenen Quartal reduziert werden. In Brasilien waren es im vergangenen Quartal 1,03 Dollar, 27 Prozent weniger als im Vorquartal.
Bis Ende 2023 sollen die Margen bis auf Null steigen.
Einsparungen tragen erste Früchte
Der Umsatz über alle Geschäftsbereiche hinweg stieg YoY im abgelaufenen Quartal um 17 Prozent auf 3,2 Milliarden Dollar. Gleichzeitig wurden in den letzten 6 Monaten 7000 Mitarbeiter abgebaut, das sind 10 Prozent der Belegschaft.
Auch im Analysten-Call zur Präsentation der Zahlen lag der Fokus klar auf Kostenreduktion.
So fielen die Ausgaben für Sales und Marketing im Jahresvergleich um 20 Prozent auf 816 Millionen Dollar. Insgesamt wurde ein EBITDA von -358 Millionen Dollar eingespielt, eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Vorquartal mit -506 Millionen Dollar.
Forrest Li, Chairman in CEO stellte einen EBITDA Breakeven bei Shopee und damit auch für Sea insgesamt bis Ende 2023 in Aussicht. Bis zum Erreichen dieses Zieles verzichtet das Management auf die cashwirksame Bezahlung. (Im Gegenzug werden allerdings weiter fleißig Aktien ausgegeben, 59 Prozent mehr als im Vorjahr. Verhungern wird das Management also nicht.)
Der Cash Bestand sank um 500 Millionen Dollar und damit weniger stark als bisher. Das Management plant die Rückzahlung der ausstehenden Schuldverschreibung mit den verbleibenden Mitteln und ohne weitere Kreditaufnahme.
Weiteres Wachstum hat Sea dennoch nicht aufgegeben. Nach dem Erreichen des Break Even 2023 möchte man wieder in die Offensive gehen. Bisher war die Wiederaufnahme des Wachstumspfads erst für 2025 geplant.
Prognose: Neuer Glanz für die Sea Aktie?
Die ausgebombte Aktie reagierte euphorisch. Am Tag nach der Veröffentlichung der Zahlen gewann die Aktie zeitweise bis zu knapp 50 Prozent. Zur Schlussglocke war immer noch ein Plus von 36 Prozent zu verbuchen. Die See Aktie ist aktuell mit rund zweimal Umsatz für das nächste Jahr (2023) bewertet, ein Bruchteil dessen, was der Markt früher bereit war, für den Highflyer zu zahlen.
Wir gehen davon aus, dass sich der Umsatzverfall in Digital Entertainment deutlich abmildern sollte. Aber das wird das Schicksal von Sea in den nächsten Quartalen nicht beeinflussen. Entscheidend ist, dass Sea im E-Commerce noch viel radikaler als bisher die Take Rate erhöht, so dass nicht mit jeder Order außerhalb von Malaysia und Taiwan Geld verbrannt wird. Shopee darf gerne beim Wachstum eine Pause einlegen, wenn parallel jedes Quartal mehr Länder profitabel werden. Dazu tragen auch Personalabbau, Einsparungen im Sales und Marketing bei.
Dann dürfte der Markt seine alte Liebe für die Sea Aktie wiederentdecken. Die Bewertung mit 3 Mal Umsatz ist dann auch nicht mehr exzessiv.
Disclaimer
EM Digital Leaders und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von Sea. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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