Dem Tierwohl verpflichtete Unternehmen mögen in der realen Wirtschaft immer mehr zum Mainstream werden, an der Börse sind sie eine Nische. Und zwar eine ziemlich volatile. Die zweite Hälfte dieses Jahres hat Anlegern wertvolle Erkenntnisse über eine gehypte Branche gebracht. Vegane Investments im Jahr 2021: Eine Standort-Bestimmung.
Vegan-Aktien sind ein klassisches Themen-Investment
Als wir im September gefragt haben, ob vegane Investments sich zum Mainstream des Investierens entwickeln würden, war uns schon bewusst, dass es sich um eine eher steile These bzw. für die meisten Anleger um Zukunftsmusik handelt. „Es handelt sich in erster Linie um kleinkapitalisierte Nahrungsmittelhersteller. Derartige Investments bringen Branchenrisiken, Small Cap bzw. Liquiditätsrisiken mit sich“, lautete unser Fazit seinerzeit. Die nachfolgenden drei Monate haben letzteres eindrucksvoll bestätigt. Die Kurse von veganen Aktien brachen auf breiter Front ein. Wir wollen daher heute ein Update zu diesem Marktsegment liefern und schauen, wie es sich mit unserer seinerzeitigen Investment-These aus heutiger Sicht verhält.
Mit veganen Investments verhält es sich wie bei thematischen Investments generell. Sie fangen realwirtschaftliche Trends ein. Die Bedingung für diese Trends: Sie müssen mit hohen Wachstumsraten unterfüttert sein. Anleger lieben Wachstums-Stories! Neue Themen werden vor allem von jungen Unternehmen getragen, die ein rasantes Umsatzwachstum zeigen. Das ist nur logisch, denn wohl kaum jemand käme auf die Idee, eine schwach wachsende Branche als Investment-Chance zu begreifen. Es gab einmal Zeiten, in denen ETF-Anbieter Produkte auf Indizes für Nuklearreaktor-Betreiber und ihre Zulieferer lancierten. Die gibt es naturgemäß heute nicht mehr; heute stehen die jungen Wilden der Energie-Branche im Fokus von Themen-Investments: Die Hersteller alternativer Energien
Das Wachstum eines Themas hat fast schon zwingend eine Konsequenz, über welche die Finanzbranche eher ungern spricht: Da der Wachstumstrend nur dann ein Trend ist, wenn er bereits für Otto-Normalanleger als solcher erkennbar ist, sind die Kurse der betreffenden Aktien oft schon sehr gut gelaufen. Das bedeutet, dass den Kurschancen, die thematische Investments mit sich bringen, erhebliche Risiken zur Seite stehen. Oftmals nutzen Unternehmen eine überbordend optimistische Stimmung für ein Thema, um bei einem Börsengang saftige Bewertungen durchzudrücken. Fondsanbieter nutzen wiederum die Gunst der Stunde, um Fondsanleger mit sagenhaften (Vergangenheits-) Renditen zu locken.
2021 boten Vegan-Aktien eine Achterbahnfahrt
Vegane Investments sind zweifelsohne ein Wachstumsthema. In unserer Einführung in das Thema im September haben wir die hohen Wachstumsraten etwa bei den Herstellern veganer Lebensmittel gezeigt, die auf einer überdurchschnittlich hohen Nachfrage von Verbrauchern basiert. Wir haben 64 Vegan-Aktien in einem gleichgewichteten Portfolio zusammengefasst. Diese Liste besteht überwiegend aus Wachstumsunternehmen, die sich auf das Thema Tierwohl konzentrieren. Die Unternehmen konnte im Jahr 2020 ein Plus von gut 130 Prozent erzielen (auf US-Dollar-Basis). 2019 belief sich das Kursplus auf gut 33 Prozent. Damit lag die Gruppe sehr weit vor klassischen Indizes, seien es Standard- oder Nebenwerte-Benchmarks. So stieg der MSCI World 2020 um knapp 17 Prozent; 2019 legte er um knapp 28 Prozent zu. Einen Tick schlechter als der MSCI World performten die Nebenwerte-Indizes MSCI World SMID, ein Index kleiner und mittelgroßer Unternehmen, sowie der MSCI World Small Cap, der die kleinsten Unternehmen in 23 Industrieländern auf sich vereint.
Doch die Kehrseite der Medaille bekommen Investoren in diesem Jahr zu spüren, genauer gesagt: in der zweiten Jahreshälfte. Vegane Investments sind in den vergangenen drei Monaten auf Tauchstation gegangen. Unser veganes Portfolio hat in den vergangenen drei Monaten (auf Dollarbasis) um 17 Prozent nachgegeben. In den vergangenen sechs Monaten fielen sogar Verluste von 24 Prozent an. Immerhin: Seit Januar 2021 belief sich das Plus noch auf gut 8,3 Prozent.
Doch der MSCI World legte (auf Dollar-Basis) in diesem Jahr um 20 Prozent zu, der MSCI World SMID stieg um 16 Prozent, und der MSCI World Small legte zwischen Januar und Anfang Dezember um 16 Prozent zu. In den vergangenen sechs Monaten verlor der MSCI World Small nur 1,7 Prozent, der MSCI World und der MSCI World SMID waren komfortabel im Plus, wie die untere Grafik zeigt.
Grafik: Vegane Investments sind bisher Kinder der Hausse
Diese erste Auswertung zeigt einerseits, dass Standardwerte in diesem Jahr Dank der stabilen Performance in der zweite Jahreshälfte vor Nebenwerten liegen. Andererseits lässt sich an den Zahlen gut ablesen, dass es sich seit Juni eben nicht nur um eine Korrektur von Nebenwerten, sondern um einen Crash von (nicht nur minikleinen) Wachstumsunternehmen handelt, von denen die meisten keine Gewinne erzielen. Hier sind vegane Unternehmen überproportional häufig vertreten.
Interessant ist dabei, dass es sich bei dem Vegan-Portfolio nicht nur um die Hersteller von Lebensmittelprodukten, sondern auch um Agrarunternehmen, Retailer, Restaurants, Asset Manager und Getränkehersteller handelt. Allerdings mit dem gemeinsamen Nenner: Es sind Spezialisten, die überwiegend sehr schnell beim Umsatz – nicht aber beim Gewinn – wachsen. Am besten hielten sich in den vergangenen sechs Monaten Nahrungsmittelhändler (etwa Greenyard) sowie Haushalts- und Pflegeartikel-Hersteller (L’Occitane). Erstere stiegen in den vergangenen sechs Monaten um 16 Prozent, letztere verloren „nur“ gut sechs Prozent. Unterdurchschnittlich fielen auch die Verluste bei Biotech-Unternehmen aus, wie die untere Performance-Übersicht der wichtigsten Branchen zeigt, aus denen sich unser Musterportfolio zusammensetzt.
Die Tabelle zeigt allerdings auch, dass der Kernbereich Packaged Foods vom Growth-Abverkauf hart getroffen wurde. So verlor etwa Beyond Meat in den vergangenen sechs Monaten gut 50 Prozent an Wert, The Very Good Food Company brach sogar um 75 Prozent ein. Anlegern dürften die Verluste von gut 65 Prozent beim Hafermilch-Hersteller Oatly besonders stark aufgestoßen sein. Wegen hoher Kosten hatte Oatly seine Prognose für dieses Jahr kassiert, was die Aktie ab Mitte November regelrecht abstürzen ließ. Zeitweilig hatte das Unternehmen eine Marktkapitalisierung von über fünfzehn Milliarden Dollar aufgewiesen (gegenüber 5,5 Mrd. Dollar derzeit). Aktuell notiert der Oatly-Kurs bei 8,8 Dollar; das ist sehr weit unter dem Ausgabepreis von 17 Dollar beim IPO Ende Mai.
Dass in den vergangenen sechs Monaten weniger gehypte Vegan-Aktien wie Ingredion leicht zulegen konnten oder John B Sanfilippo nur Verluste im einstelligen Bereich verbuchen musste, hellte das düstere Gesamtbild nicht wesentlich auf.
Tabelle: Die wichtigsten Sektoren unseres Vegan-Portfolios
Die Moral der Geschichte für vegane Investments: Diversifikation oder Tod
Anleger, die sich einen Zugang zum Segment der Vegan-Aktien verschaffen möchten, können nun zwischen verschiedenen Optionen abwägen. Sie wissen nach dem Performance-Armageddon der vergangenen Monate, dass ein Pure-Play-Portfolio, das auf Impact-Aktien setzt, eine sehr volatile Reise bietet. Investoren, die vor 2019 in ein derartiges Portfolio investiert haben und/oder solche, die die immense Volatilität aushalten können, haben die Option, über verschiedene Branchen in Vegan-Aktien zu investieren. Allerdings halten sich die Diversifikationseffekte dieser Streuung angesichts des monothematischen Fokus in Grenzen.
Investoren könnten als Alternative auch auf Nahrungsmittel-Hersteller setzen, die vegane Produktlinien aufgebaut haben, aber keine reinen Vegan-Unternehmen sind. Dann landen sie bei Nestle (Sweet Earth) oder z.B. der britischen Massen-Retailer Tesco, der ein wachsendes Vegan-Sortiment aufbaut. Hier droht die Vegan-Story allerdings zu verwässern, da solche Firmen nur einen geringen Anteil ihrer Umsätze mit veganen Produkten erzielen.
Es gibt allerdings einen weiteren Weg. Ein Kerninvestment aus rein veganen Aktien könnte ergänzt werden um Firmen, die das Tierwohl im Blick haben, ohne eine Impact-Strategie zu verfolgen. Dann wären Unternehmen ausgeschlossen, die Tierversuche unternehmen, wie auch solche, deren Produkte der Massentierhaltung entstammen. Zulässig wären dann Unternehmen, die Tiere nicht ausbeuten, aber diese ethische Linie nicht zur Unternehmensstrategie erheben.
Darüber hinaus könnten Anleger in einem Ansatz, der auf Biodiversität abhebt, auch auf Industrieunternehmen setzen, die nachhaltige Verpackungen herstellen. Oder auf Additivhersteller wie Symrise sowie auf Unternehmen aus der Wasser- und Abfallwirtschaft. Hier würde das Thema „Tierwohl“ um Unternehmen erweitert, die das Thema Kreislaufwirtschaft adressieren. Ein derartiger Ansatz hätte den Vorteil, zu einem stärker diversifizierten Portfolio zu führen, ohne das Thema Tierwohl zur Unkenntlichkeit zu verwässern.
Disclaimer
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Ali Masarwah ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Fondsplattform envestor.de und schreibt auch Kolumnen über Investmentthemen für The Digital Leaders Fund. Anleger-orientiertes Research ist seit über 20 Jahren Alis Ding. Vor seiner Zeit bei envestor.de war er zehn Jahre lang bei Morningstar, wo er für die Personal Finance Websites des Analysehauses in Deutschland verantwortlich war. Als Experte für Anlagethemen ist er ein gefragter Ansprechpartner für Finanzmedien im deutschsprachigen Raum.
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