EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen packt jetzt schwere verbale Geschütze raus. Die heimische Autoindustrie soll vor Dumpingpreisen aus China geschützt werden. Wie gerechtfertigt sind die Vorwürfe und welche Auswirkungen wären für BYD in Europa zu erwarten?
The Big Picture: Wirtschaftlicher Druck verstärkt Protektionismus
Die Europäische Union hat, abgesehen von allen geopolitischen Erwägungen, ein wirtschaftliches Problem mit China. Das Handelsbilanzdefizit ist in den letzten zwei Jahren explodiert, auch weil der chinesische Konsument schwächelt. Nun muss eine negative Handelsbilanz nicht immer schlecht sein. Die EU und China sind wichtige Handelspartner, und ihre wirtschaftlichen Beziehungen sind komplex. Die EU kann von den kostengünstigen Importen aus China profitieren und gleichzeitig ihre Exporte in andere Regionen diversifizieren. Allerdings steigt der wirtschaftliche Druck im Kessel – sowohl in der EU als auch in China: Das Wachstum schwächelt, die Inflation ist hoch, und die Konsumenten leiden. Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass die Handelsbeziehungen sowohl fair, ausgewogen, im besten Interesse der EU sind und vielversprechende Wirtschaftszweige nicht schädigen. Europa ist mit Blick auf die chinesische Herausforderung sensibilisiert.
Das Schicksal der europäischen Solarindustrie zeigt das Ausmaß der Schäden, die eine ungezügelte Globalisierung und unfaire Subventionspraktiken mit sich bringen können.
Makroökonomisch kann ein ausuferndes Handelsbilanzdefizit zu Firmenpleiten und absterbenden Wirtschaftszweigen und schlussendlich, insbesondere in den unteren Einkommensschichten, zu Arbeitslosigkeit führen. Damit hat das Thema politische Sprengkraft in Zeiten verstärkter populistischer Tendenzen.
Die Handelsbilanzschere droht sich in den nächsten Jahren jedenfalls noch weiter auszuweiten. Im kommenden Jahrzehnt werden Elektrofahrzeuge zu einem gigantischen Wirtschaftszweig in China anwachsen. 2030 werden gemäß Projektionen offizieller chinesischer Stellen Autos aus China weltweit 60 Prozent aller verkauften Fahrzeuge ausmachen. Zwar spielten in der Vergangenheit chinesische Elektrofahrzeuge in Europa mit einem Marktanteil von gerade einmal 1,1 Prozent (2020) keine wesentliche Rolle, das ändert sich jetzt aber.
Nach den Erfolgen im heimischen und globalen Markt drängen chinesische EV-Produzenten jetzt auch auf den europäischen Automobilmarkt. Das Problem für europäische Fahrzeughersteller: der Heimatmarkt schwächelt. In Europa liegen die Verkaufszahlen immer noch 20 Prozent unter dem prä-pandemieschen Niveau. Es zeichnen sich bereits erste Erfolge für die chinesischen EV-Hersteller ab. Aktuell liegt der Marktanteil schon bei 5,6 Prozent. Europa ist bereits zum wichtigsten Exportmarkt für chinesische Elektrofahrzeuge geworden.
Kriegserklärung in München
Dabei tritt BYD, der mittlerweile größte EV Hersteller der Welt (wenn man Plug-in-Hybride einbezieht), jetzt erst in Europa an. Auf der IAA in München hat BYD jetzt den europäischen Herstellern den Krieg erklärt: die Ausstellungsfläche war nicht nur größer als die von Volkswagen, dem größten Hersteller von Elektrofahrzeugen in Europa, es wurden gleich fünf EV-Modelle präsentiert, die nach Analysteneinschätzungen deutlich attraktiver sind als deutsche Fahrzeuge. BYDs Europachef Michael Shu kündigte an, dass BYD nach 1,8 Millionen verkauften Einheiten im letzten Jahr, dieses Jahr 2,5 Millionen Autos verkaufen wird. VW dagegen hat Absatzprobleme, nachdem Anfang September Entlassungen angekündigt wurden, kündigte das Unternehmen an, die Produktion der Modelle ID.3 und Cupra Born in Zwickau für zwei Wochen auszusetzen. Erinnerungen an den Niedergang der heimischen Solarindustrie werden wach.
„Die globalen Märkte würden mit billigen chinesischen Elektroautos, deren Preis aufgrund hoher Staatssubventionen künstlich niedrig seien, geflutet”, so von der Leyen; “Diese externe Verzerrungen im Markt seien nicht akzeptabel”.
Tatsächlich überrundete China sowohl Deutschland als auch Japan und exportierte 2022 mit 3,3 Millionen erstmals die meisten Autos. Wertmäßig blieb allerdings auch 2022 Deutschland mit rund 20 Prozent Marktanteil an erster Stelle, China lag mit 5,8 Prozent hinter Mexiko an sechster Stelle.
Die Zahlen scheinen die Aussagen der EU-Kommissionspräsidentin zu bestätigen: China exportiert im Schnitt niedrigpreisige Autos. Die Aufgabe der EU-Kommission, die Beeinträchtigung des Marktes durch subventionierte Preise nachzuweisen, ist allerdings nicht nur aufgrund der internationalen Verflechtungen der Autoindustrie komplexer, als man zunächst denken könnte.
Keine einfache Aufgabe für die Markthüter
Wie prekär die Situation für die deutschen Autobauer in der Konkurrenz mit China werden könnte, zeigt ein Blick auf die Abhängigkeiten. Zum einen produzieren europäische Autohersteller massiv in China, rund ein Drittel der Gewinne von BMW stammen aus dem Reich der Mitte. Bei Porsche sind es rund 30 Prozent, bei VW 25 Prozent, bei Mercedes über 20 Prozent. Zum anderen importieren westliche Autohersteller Fahrzeuge aus chinesischer Produktion. So importieren sowohl BMW als auch Tesla Fahrzeuge aus China nach Europa. Aber auch der mit 22.750 Euro (Preis für Deutschland) als günstigstes Elektrofahrzeug Europas beworbene kleine SUV Crossover Renault Dacia Spring mit 26,8 kWh Batterie wird in China, genauer gesagt in der Provinz Hubei, gebaut. Was die Situation nicht gerade besser macht: Der unprofitable französische Automobilhersteller nutzt staatlich garantierte Kredite. Den in Slowenien hergestellten Renault Twingo gibt es mit 22 kWh Batterie ab 28.000 Euro.
Unter den Top 10 der günstigsten Elektrowagen folgen Kleinwagen-Modelle von Fiat, Opel und VW. Einzige Ausnahme: die Traditionsmarke MG. Wer bei MG nur an die wunderschönen Sport-Cabriolets vergangener Zeiten aus Großbritannien denkt, hat vielleicht übersehen, dass die Rechte an der Marke 2007 von der chinesischen Nanjing Automobile aufgekauft worden sind, die wiederum später mit der staatlichen SAIC fusioniert wurde. SAIC ist heute der drittgrößte EV-Produzent der Welt.
Die in China gefertigten Wölfe im Britenpelz schaffen es gleich mit drei Modelle in die frugale Top Ten: Für 33.990 € gibt es ein SUV (MG ZS) und für 34.990 den 51 kWh MG4, der gegen den 5.000 Euro teureren VW ID.3 mit 58 kWh antreten soll. An achter Stelle landet dann noch die Kombilimousine MG5 mit 57,4 kWh Batterie für nur 35.490 Euro. Bei der VW Tochter Škoda kostet ein vergleichbar großer 58,0 kWh Enyaq (der unaussprechliche Name soll von einem Wort für „Geist“ aus dem Gallischen stammen ) satte 44.200 Euro.
Die Preisliste von BYD beginnt dagegen erst bei 35.990 für den Kleinwagen Dolphin mit 44,9 kWh Akku. Wer ein kleines Crossover der Marke sein Eigen nennen will, muss mindestens 44.625 Euro für den Atto 3 berappen. Der gleich große VW ID4 beginnt bei 42.635 Euro. Es soll aber vor allem die 71 kWh Limousine Seal mit einem Preis von 47.590 € und einer Reichweite von bis zu 600 km sein, die den VW-Managern den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Die große Sorge der europäischen Hersteller ist nämlich nicht nur das billige Einstiegssegment, in dem sich BYD ungestört breitmachen kann, sondern vor allem auch die margenträchtige Mittelklasse.
Außerdem setzen BYD und die anderen chinesischen Produzenten die Preise in Europa eher hoch an, wie man im direkten Preisvergleich mit China feststellen kann. Ein BYD Dolphin kostet in China gerade einmal 116.800 Yuan (15.200 Euro), ein MG ZS 119.800 Yuan (15.200 Euro); den Zeekr X, der in Deutschland 44.990 Euro kostet, gibt es in China für gerade einmal 189.800 Yuan (24.700 Euro). Der Polestar 2 von Geely kostet in Deutschland mit 48.990 Euro immerhin noch 10.000 Euro mehr als in China. Im Vergleich: Ein BMW iX3 kostet in Deutschland mit 67.000 Euro rund 15.500 Euro mehr als in China. Der NIO ET7, liegt in Deutschland bei 69.900 Euro (ohne Batterie), in China sind es nur 428.000 Yuan (55.600 Euro). Fazit: Bei den europäischen Preisen handelt es sich nicht um Dumping Angebote. Die EU könnte also Schwierigkeiten haben, BYD und Co in Europa Dumping-Praktiken nachzuweisen.
It’s all about the Battery, stupid
Der wesentliche Vorteil der chinesischen Produzenten liegt in den kosteneffizienten Batterien, genauer genommen in der kosteneffizienten Batterieproduktion dank integrierter Lieferketten.
Die meisten Rohstoffe für die Batterieproduktion muss China importieren: nur Graphit wird überwiegend in China abgebaut. Lithium kommt größtenteils aus Australien, Nickel aus Indonesien und Kobalt aus dem Kongo. Allerdings haben sich chinesische Unternehmen mit Investitionen in Rohstoffprojekte die Lieferung der notwendigen Zutaten gesichert.
Bereits die Verarbeitung der Rohstoffe findet größtenteils in China statt. Bei den zwei Zellkomponenten, Anode und Katode dominiert China den Markt mit 80 bzw. 70 Prozent Marktanteil. Ergebnis: 80 Prozent aller Batteriezellen kommen aus China. Die größten Hersteller sind CATL und BYD.
Allerdings hilft auch der Staat kräftig mit: CATL und BYD gehörten im ersten Halbjahr zu den Top 10 Profiteuren staatlicher Zuwendungen. Details zur Natur dieser Förderung gibt es nicht. Allerdings ist die Förderung von knapp 3 Milliarden Yuan bei CATL angesichts von 189 Milliarden Umsatz am Ende nicht entscheidend. Die knapp 2 Milliarden Yuan für BYD verblassen etwas angesichts eines Umsatzes von 255 Milliarden Yuan.
Das geht aber schon viele Jahre so. In den vorhergehenden Jahren lagen die Subventionen bei insgesamt 39 Milliarden Yuan (5,4 Milliarden Dollar).
Allerdings geht die staatliche Unterstützung weit über direkte Zuwendungen hinaus. Neue Elektrofahrzeuge werden in China deutlich weniger hoch besteuert als Verbrennermotoren. Es gab (und gibt) niedrig verzinste Kredite sowie Unterstützung bei Forschung und Entwicklung. Aber auch hier haben die Wettbewerbshüter in der EU wenig in der Hand: Vieles liegt in der Vergangenheit. Angesichts der Komplexität soll die Untersuchung bis zu neun Monate dauern.
Aktuell kosten Batteriepacks in China 127 Dollar pro kWh, in Nordamerika sind die Preise um 24 Prozent höher, in Europa gar um 33 Prozent. BYD hat mit der neuen Blade Batterie technologisch die Nase vorn.
Was tun, Frau Kommissionspräsidentin?
Die Frage, ob die EU gegen die chinesischen EV-Hersteller effektiv vorgehen kann, ist längst nicht beschlossene Sache. China wirft van der Leyen Protektionismus vor. Die Untersuchung wird langwierig und kompliziert sein – und der Ausgang ist offen, wie EU-Offizielle selbst einräumen. Am einfachsten wäre es sicherlich Strafzölle einzuführen. Die USA erheben aktuell 27,5 Prozent auf chinesische Elektrofahrzeuge. Aber diese trumpsche Politik, die die Administration Biden beibehält, ist, gelinde gesagt, umstritten. Nicht zuletzt auch, weil sie die Falschen trifft. Bei Strafzöllen zahlen am Ende der ohnehin durch die hohe Inflation gebeutelte Verbraucher den Deckel.
Darüber hinaus sind Strafzölle nach dem internationalen Handelsregime der WTO nicht so ohne weiteres durchsetzbar. Schlussendlich bergen sie das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen, und da sind insbesondere die deutschen Autobauer aufgrund ihres großen China-Geschäfts, im letzten Jahr wurden 4,6 Millionen Autos in China verkauft, exponiert. So könnte China einen verdeckten Käuferstreik organisieren, oder mit einem Ausfuhrstopp für Rohstoffe oder Komponenten reagieren, um die europäische Produktion von Elektrofahrzeugen zu behindern. Im schlimmsten Fall könnte es zu einem Handelskrieg kommen.
Kein Wunder also, dass sich Mercedes-Chef Ola Källenius im Mai für den freien Handel und gegen protektionistische Maßnahmen ausgesprochen hat. Das erklärt auch, warum die französische Regierung medial den Bad Cop spielt. Jetzt meldet sich auch Olaf Scholz anlässlich des Berlin Global Dialogue zu Wort. Er warnte vor Protektionismus, Deutschland sei offen für Autoimporte.
Die Alternative wäre eine technologische Initiative, um den EV-Standort Europa aufzuwerten. Nach Bloomberg-Schätzungen würde ein Aufbau der Batterieproduktion für den heimischen Markt in Europa 98 Milliarden Dollar kosten. Das wäre zwar teuer, würde aber die Abhängigkeit von China reduzieren.
Wird BYD Europa erobern? Mein Fazit:
Der nachfolgende Chart macht es noch einmal deutlich: die chinesischen Hersteller, allen voran BYD, haben sich nicht nur am heimischen Markt etabliert; sie dominieren weltweit die Produktion von Elektrofahrzeugen und drängen jetzt auch nach Europa. Die europäische Politik hat – wieder einmal – viel zu spät reagiert. Jetzt, wo die chinesischen EV-Produzenten bereits sprichwörtlich durch die Tore hindurchfahren. Wir sind gespannt, wie es weitergeht. Wir sind im EMDL und im The DLF aktuell in BYD investiert. Europäische Autohersteller sind in beiden Fonds dagegen nicht vertreten.
Die BYD-Aktie bleibt trotz der Unsicherheit attraktiv. Das liegt auch an der günstigen Bewertung: EV/EBITDA für dieses Jahr liegt bei 12,3, EV/Sales bei gerade einmal 1,1. Ein stark steigender BYD Marktanteil in Europa mit steigenden Margen ist dabei nicht eingepreist.
Disclaimer
The Digital Leaders Fund, der EM Digital Leaders und/oder der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzen Anteile von BYD. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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