Die ING ist den meisten Menschen in Deutschland bekannt.
Mittlerweile unterhalten über 9 Millionen Deutsche ein Konto bei der ING Diba, die seit einigen Wochen auch hier nur noch ING heißt.
Keine andere Bank ist in den letzten Jahren so rasant im Privatkundenmarkt Deutschland gewachsen und hat den Platzhirschen wie Deutsche Bank, Commerzbank, aber auch den Sparkassen und Volksbanken derart zugesetzt wie ING.
Wie ist dieser Erfolg zu erklären?
ING Groep – Wie die erste globale Direktbank entstand
Die ING ist 1990 aus dem Zusammenschluss des Versicherers Nationale-Nederlanden und NMB Postbank Group hervorgegangen.
Die niederländische Postbank hatte schon früh auf Banking ohne Filialen gesetzt.
Mit dem Aufkommen des Internets erkannte ING die Chance für das Direktbankgeschäft und war aus eigener Erfahrung darauf gut vorbereitet.
Schon 1997 startete das Unternehmen mit ING Direct in Canada.
Kurze Zeit später folgte der Markteintritt in den USA. Danach wurde das Direktbankengeschäft sukzessive in den europäischen Ländern ausgerollt, oft organisch, teils durch Übernahmen wie die vollständige Übernahme der DiBa im Jahr 2002.
In den Jahren vor der Finanzkrise 2008 hatte sich das Unternehmen gewaltig übernommen, so dass der niederländische Staat massiv mit Staatshilfe intervenieren musste.
In Folge wurde das Institut gezwungen, sich vom Versicherungsgeschäft zu trennen.
Um die Staatsschulden zu bedienen, sah man sich im Jahr 2012 sogar genötigt, das Onlinebanking in USA an Capital One, in Kanada an Scotiabank und in UK an Barclays zu verkaufen.
Tragisch, wenn man bedenkt, wie sich das Geschäft in diesen großen Märkten anschließend weiterentwickelt hat.
Die ING Groep heute
Heute ist die ING im Privatkundenmarkt weitgehend ein kontinentaleuropäisches Unternehmen, das in Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Frankreich sowie Australien als Direktbank auftritt.
Dort, wo man noch Filialen hat, wie im Heimatmarkt, in Belgien, der Türkei und Osteuropa werden diese massiv zurückgefahren.
ING teilt ihre Märkte ein in Market Leaders, Challengers und Growth Markets.
Im Firmenkundengeschäft ist das Unternehmen in über 40 Ländern tätig, wobei oft ohne Banklizenz.
Etwa 60 Prozent der Einnahmen kommen aus dem Privatkunden-, 40 Prozent aus dem Firmenkundengeschäft.
Das Produktportfolio ist simpel, standardisiert und überschaubar:
- Konto/Karte
- Einlagen
- Ratenkredite
- Hypothekenkredite
- Wertpapiere
85 Prozent der Einnahmen kommen aus dem Zinsgeschäft, der Rest aus dem Wertpapiergeschäft.
Damit generiert es die meisten Umsätze in Märkten, die von der Digitalisierung am stärksten betroffen sind. Das Unternehmen war früh gezwungen, schlanker, schneller und kundenfreundliche zu werden.
Im dritten Quartal 2008 hat die Bank circa 3,4 Milliarden Euro Zinseinnahmen erwirtschaftet (+5,4 Prozent gegenüber Vorjahresquartal) und 720 Millionen Euro Provisionseinnahmen (+7,8 Prozent).
Das ist insgesamt ein recht bescheidenes Wachstum, doch aufgrund der großen Abhängigkeit des Geschäftsmodells vom Zinsumfeld hält sich das Unternehmen wacker.
Die Nettozinsmarge konnte sogar im letzten Quartal geringfügig gesteigert werden.
Das Kreditbuch wächst, die Risiken sind im Griff. Der Geldwäscheskandal, der auf vier Fälle aus den Jahren 2010 bis 2016 zurückgeht, hat das Unternehmen sehr viel Vertrauen und Geld gekostet. Doch die Risiken sollten nach der Rekordzahlung in Höhe von 775 Mio. Euro deutlich abgebaut sein. Das Unternehmen betreibt kein Geschäft mit Superreichen (UHNWI), kein Investmentbanking. Die Kontrollabteilungen wie z.B. Compliance waren offensichtlich völlig unterbesetzt. Das ist jetzt geändert worden. Die Compliance-Abteilung ist auf 450 Personen aufgestockt, das KYC jetzt in den Niederlanden zentralisiert. Die „first line of defence“ ist aber immer das Frontoffice, auch hier werden Mitarbeiter in die Pflicht genommen.
Auch das Türkeirisiko ist überschaubar. Kredite dort machen nur 2 Prozent des Gesamkreditbuchs aus. An Privatkunden wird ohnehin nur Lira verliehen, somit ist hier währungsbedingt das Kreditvolumen 30 Prozent zurückgegangen. Firmenkunden erhalten nur Darlehen in Fremdwährung, wenn sie auch Umsätze in Fremdwährung generieren. Der Anteil der nicht laufenden Kredite (NPL) ist noch bei geringen 2,3 Prozent.
No-fee, low-fee dank niedrigem CIR
Die Bank versucht seit vielen Jahren das Kernbankensystem zu standardisieren, die IT modularer aufzusetzen und Releasefrequenzen deutlich zu reduzieren.
Sie hat frühzeitig auf eine private Cloudlösung gesetzt, nutzt seit Jahren open-source und cloudbasierte Lösungen, hat viel Erfahrung mit DevOps und agilen Entwicklungsmethoden gesammelt und rollt diese unternehmensweit aus. Diesem Thema werden wir uns in einem separaten ING-Artikel noch mal widmen.
Dabei orientiert sich das Haus sehr konsequent an den Erfolgsfaktoren der bekannten Plattformunternehmen.
Parallel hat das Unternehmen die Anzahl der Filialen im Heimatmarkt in den letzten Jahren von 1150 auf nun 200 reduziert, sich von über 10.000 Mitarbeitern getrennt und dennoch stetig Neukunden über direkte Kanäle gewinnen können.
Mit der gleichen Erfahrung wird gerade der für ING bedeutende belgische Markt umgekrempelt.
Hier sind bereits 300 von 900 (!) Filialen aufgegeben worden.
Der Kurs geht hier auch Richtung Direktbank.
In Belgien setzt man nun auf das Kernbankensystem im Heimatmarkt, während für Frankreich, Italien, Österreich und Osteuropa auf die Bankinfrastruktur in Spanien gesetzt wird.
Das hat insgesamt dazu geführt, dass ING die für Banken aussagekräftige Cost-Income-Ratio (die CIR ist vergleichbar etwa mit der Bruttomarge) auf nun unter 50 Prozent senken konnte.
Die CIR ist ein Ausdruck der Wettbewerbsfähigkeit einer Bank. Sie hat es der ING lange Zeit erlaubt, mit kostenlosem Girokonto und attraktiven Einlagenzinsen Kunden für sich zu gewinnen.
Organisches Kundenwachstum in allen Ländern
Das schnörkellose Angebot und der Fokus auf Customer Experience bei der Entwicklung der Frontendlösungen wie mobile Apps haben in den letzten Jahren die Kunden überzeugt.
In 7 von 13 Ländern führt die ING die Liste beim Net Promoter Score an.
Mittlerweile zählt das Unternehmen über 38 Millionen Privatkunden.
Wobei das Unternehmen selbst vor allem auf die Primary Kunden setzt. Also Kunden die Ihr Gehaltskonto bei der ING haben und ein zusätzliches Produkt.
Diese Kunden sind deutlich treuer, engagierter in ihren Interaktionen mit der Bank und somit auch lukrativer.
Weltweit kommt man nun auf 12,2 Millionen Primary-Kunden.
In Deutschland und Österreich sind von den 9 Millionen Kunden derzeit 1,5 Millionen Primary-Kunden.
Ohnehin ist Deutschland ein Wachstumsmotor für ING.
Mittlerweile kommen circa 20 Prozent der Einnahmen aus Deutschland, während hier weniger als 10 Prozent der Beschäftigen sind.
Über die Tochter Interhyp werden mittlerweile 8,4 Prozent aller Immobilienfinanzierungen in Deutschland vermittelt.
ING Groep – Ansätze eines Plattformunternehmens
Diese große Kundenbasis will ING nicht ausschließlich mit eigenen Produkten bedienen.
Das Unternehmen hat in den letzten Jahren zahlreiche Kooperationen verkündet und sich an diversen Fintechs beteiligt (Cobase, Yolt, Axyon u.a.).
Mit Kabbage, FincCompare (jeweils Lending), TransferMate (Payment) und TradeIX (Handelsfinanzierung über Blockchain) hat das Unternehmen einige spannende Fintech-Investments getätigt im Firmenkundegeschäft.
Erstaunlich gut läuft die Kooperation mit Scalable an.
Seit Oktober 2017 hat man 500 Millionen Euro Anlagegelder von etwa 80.000 Kunden einsammeln können.
Bemerkenswert dabei: 60.000 von diesen Kunden hat die ING neu hinzugewinnen können. Das erweitere Angebot spricht also neue Kunden an.
Ähnlich erfolgreich soll nach Firmenangaben die Zusammenarbeit mit Axa laufen, deren Sachversicherungen in das Produktportfolio aufgenommen worden sind.
Ein Highlight ist sicher die Akquisition von Payvision gewesen.
Noch bevor der Payment-Hype dieses Jahr so richtig los ging, hat sich ING im Januar 2018 75 Prozent der Anteile des „kleinen Bruders von Adyen“ für 270 Millionen Euro gesichert.
Damit ist ING spät, aber vielleicht noch rechtzeitig, in den hochattraktiven Markt für Payment-Processing für kleine und mittelständische Unternehmen eingestiegen.
Seit der Übernahme soll sich das Transaktionsvolumen von Payvision verdoppelt haben.
ING Groep – Fazit
Die ING Groep ist bisher kein erfolgreiches Investment im Digital Leaders Fund gewesen. Für Investoren in europäischen Banken war 2018 ein katastrophales Jahr.
Das Unternehmen hat im dritten Quartal gegen Zahlung von 775 Millionen Euro ein Verfahren zur Geldwäsche beigelegt und Wertverluste im Türkeigeschäft hinnehmen müssen.
Operativ läuft das Geschäft allerdings rund.
Das Unternehmen ist ein Vorreiter bei der Digitalisierung, hat die Kosten im Griff, weist eine ordentliche Eigenkapitalrendite von 10,7 Prozent und eine sehr hohe Kernkapitalquote von 14 Prozent aus.
Das Unternehmen wird weiter profitieren von der Schwäche vieler Legacy-Banken in Europa und ist gut gewappnet für weiteres organisches Wachstum.
Wobei wir uns vor allem eine deutliche Steigerung des Provisionsgeschäftes und einen Ausbau des Firmenkundengeschäftes in Märkten wie Deutschland erhoffen.
Mittlerweile ist das Verhältnis vom Buchwert zum Kurswert unter eins, das KGV unter 10. Damit aber ähnlich bewertet wie andere stabile Retailbanken. Mit einer aktuellen Dividendenrendite von über 6 Prozent ist es eher ein defensives Investment im Portfolio des Digital Leaders Funds.
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Autor
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Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.
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4 Antworten
Hallo Baki,
vielen Dank für den aufschlussreichen Artikel, auch für all die anderen sehr guten
Berichte die ihr verfasst!
Mich interessiert, inwiefern die ING wirklich als defensives Investment betrachtet werden kann.
Eine Kreditbank wäre doch im Falle einer Rezession gleich mehrfach betroffen:
o höhere Kreditausfälle
o geringere Kreditnachfrage (=> Umsatzrückgang)
o niedrigere Zinsen (=> Margenrückgang)
Wie schätzt Du das als Profi ein? Übersehe ich hier etwas?
Beste Grüße
Helmuth
Hallo Helmuth,
ich denke, das siehst du richtig. Eine Rezession würde aus den genannten Gründen den Kurs der ING belasten. Höhere Kreditausfälle, weil die ING auch sehr aggressiv in der Unternehmensfinanzierung unterwegs ist, sind ein Thema. Aber die notleidenden Kredite im Portfolio sind gerade bei 1,5 Prozent. Auch das Kreditbuch in der Türkei baut man gerade sukzessive ab. ING hat in in einer Welt niedriger Zins bisher gut überlebt, die Zinsmarge liegt bei etwa 150 Basispunkten. Mit einem CIR von 55 ist der Laden effizient. In einer Rezession würden besonders kapitalmarktgetriebene Geschäfte, insbesondere M&A und Investmentbanking-Geschäfte leiden. Das ist weniger ein ING-Thema. Ich denke, die Konsolidierung in der europäischen Bankenlandschaft würde beschleunigt werden…und auch der Trend bei Fintechs, nämlich Friede, Freude, Insolvenz. Das bietet Chancen für ein finanzstarkes Haus. Daher würde ich die ING weiterhin als defensives Investment ansehen.
Hallo Baki,
mich würde interessieren, wie du die Übernahmegerüchte bzgl. der Commerzbank einschätzt. Der Markt scheint dies ja eher problematisch zu sehen, ich persönlich bin mir noch nicht ganz sicher was ich davon halten soll.
Grüsse
Hallo Jordi,
ich halte das für eine ganz schlechte Idee. Die ING hat selbst bei der Integration einer kleinen Retailbank in Belgien Jahre gebraucht. Mit der Commerzbank würde sie sich übernehmen und die ING-Story wäre kaputt.
Egal was mit Deutsche und Commerzbank passiert, ING könnte entspannt an der Seitenlinie stehen und sich über den Zulauf verunsicherter Kunden freuen. Mit der Commerzbank wäre der Laden eine weitere komplexe Bank mit vielen Filialen, di mehr mit sich als mit dem Kunden beschäftigt wäre. Ich möchte kein Investor einer solchen Bank sein.
Wir werden die Diskussion aufmerksam verfolgen.
Grüße: Baki