Methoden der „Künstlichen Intelligenz“ (Artificial Intelligence – AI) haben sich als horizontale Techniken etabliert und krempeln die Unternehmenswelt und die Wirtschaftssysteme um. Es gibt nationale Strategien dazu in China, USA und nun auch Europa, und Unternehmen wie Alphabet schwenken nun von einer Mobile-first auf eine AI-first-Strategie um. AI-Forscher sind die neuen Superstars unserer Zeit und fast berühmter als die CEOs der Unternehmen, für die sie arbeiten: Geoffrey Hinton (Alphabet), Yann LeCun (Facebook), Yoshua Benigio (Microsoft u.a.), Andrew Ng (Ex-Baidu).
Kai-Fu Lee – Jetzt geht es um KI-Implementierung
Nach Ansicht von KI-Pionieren wie Kai-Fu Lee leben wir heute im Zeitalter der KI-Implementierung. Dabei geht es nicht um bahnbrechende Forschungsergebnisse in Richtung einer generellen KI, also um lernende und intelligente Maschinen, sondern um auf konkrete Aufgaben hin optimierte Insellösungen. Für Lee sind die meisten “bahnbrechenden Erfolge”, über die täglich berichtet wird, nichts anderes als weitere Anwendungen von „Machine Learning“ (ML).
Gerade in Bereichen wie Bilderkennung- und Analyse (zum Beispiel Medizin) und Sprach- und Texterkennung (digitale Assistenten u.a.) haben ML-Anwendungen sich schon längst durchgesetzt. Mit ML können selbstfahrende Autos sehen, sie können aus den Bildpunkten ein Muster erkennen (rotes Achteck), analysieren, womit es korreliert ist (Stoppschild) und diese Information für eine Entscheidung nutzen (langsam bremsen), um uns sicher zu unserem Ziel zu bringen.
Viele unsere Digital Leader wie Alphabet, Amazon, Facebook und Baidu wenden ML in einer Vielzahl ihrer Angebote heute schon an. Die Fähigkeiten, neueste Technologien und wissenschaftlichen Erkenntnisse in kürzester Zeit in die Geschäftsprozesse zu adaptieren und in Umsatz und Produktivitätsgewinne zu übersetzen, ist einer der bedeutendsten Vorteil von Digital Leaders gegenüber traditionellen Unternehmen.
Wir haben jetzt gemeinsam mit über 60 Gründungsmitgliedern, darunter führende Unternehmen wie Deutsche Börse, Merck KGaA, Deutsche Bahn, Software AG, Samson, Forschungseinrichtungen wie die TU Darmstadt und die Goethe-Universität Frankfurt sowie führenden KI-Forschern wie Prof. Kristian Kersting (TU-Darmstadt) und Moritz Helmstaedter (Leiter Max-Planck-Institut für Hirnforschung) das AI-Frankfurt Rhein-Main gegründet, mit dem Ziel, die Anwendung von KI in der Region Rhein-Main voranzutreiben.
Für mich gibt es kein besseres Research für unseren Fonds als in Zusammenarbeit mit führenden Akademikern und realen Anwendern der KI zu lernen, was heute schon funktioniert und welche Limitationen KI hat.
Einsatz von KI im Fondsmanagement
Ein sehr umstrittenes Anwendungsgebiet für KI ist das Fondsmanagement. Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob man mit Hilfe von KI-Methoden, insbesondere mit maschinellem Lernen, Kurse von zum Beispiel Aktien oder Anleihen vorhersagen kann. Kann das funktionieren, wenn ML zwar Korrelationen liefert, die wir meist nicht verstehen, aber nicht die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung (Kausalität). Und falls eine Beziehung entdeckt werden sollte, bleibt diese dann stabil, wenn die Entdeckung zu massiven Geldallokationen führt?
Mein Partner Stefan Waldhauser hat schon in 1993 seine Diplomarbeit als Wirtschaftsmathematiker zum Thema “Aktienkursprognose mit neuronalen Netzen” verfasst. Er musste als Ergebnis seiner Arbeit enttäuscht feststellen, das die aufgrund des damaligen ersten KI-Hypes in den Großbanken losgetretene KI-Forschung im Asset-Management zumindest mit den damaligen Möglichkeiten trotz spannender Anfangserfolge wenig erfolgversprechend war. Nun sind seitdem weit mehr als 25 Jahre vergangen und wir stellen uns gemeinsam mit der Asset-Management-Industrie erneut die Frage, inwieweit KI im Jahre 2020 beim Management eines Fonds helfen oder dem menschlichen Stockpicker gar überlegen sein kann.
Dr. Bernd Scherer – Hipster versus Quant
Hierzu haben wir einen der führenden „Quants“ der Asset-Management-Industrie, nämlich Dr. Bernd Scherer, um eine fundierte Einschätzung gebeten. Herausgekommen ist meiner Meinung nach eine der besten Abhandlungen zu diesem Thema in deutscher Sprache: Hipster versus Quant – Wie anwendbar ist maschinelles Lernen im Asset-Management?
KI und Aktien – Fazit
Maschinelles Lernen in Reinform beansprucht für die Lösung eines Problems ausreichend viele Daten, eine große Rechenleistung und sehr gute Datenwissenschaftler. Eine Kenntnis des zugrundeliegenden Anwendungsgebietes (Domain-Know-How) ist nicht notwendig. In Reinform kann ML Muster erkennen, also Korrelationen identifizieren, aber keine Wirkungszusammenhänge (Kausalität) erklären. Es kann uns sagen, was wir tun müssen, um ein Ziel zu erreichen, aber nicht warum. Das ist schon an sich sehr unbefriedigend, nicht nur weil wir es nicht erklären können, sondern weil wir auf unvorhergesehene Ereignisse nicht reagieren könnten.
Zudem gibt es Eigenheiten bei der Prognose von Finanzmarktdaten, die eine Anwendung von ML massiv erschwert: Finanzmarktdaten sind nicht stationär. Werden Zusammenhänge entdeckt, so werden sie genutzt und somit verändert. Die Anzahl der Finanzdaten ist zudem beschränkt. ML in Reinform liefert jedoch bessere Ergebnisse, je größer die Datenmenge ist.
Bernd Scherer: “Die geringe Anzahl an erfolgreichen ML Fonds legt nahe, dass die Anwendung von ML zur Prognose von Wertpapierrenditen keinesfalls einfach ist. Nach einer Welle großer Begeisterung wird Ernüchterung eintreten.”
Der alchemistische Traum, Geld mühelos zu mehren, muss also noch warten.
Autor
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Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.
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