Die letzten 8 Jahre in Polen waren weder für Demokratie-Fans, die EU-Partner noch für Osteuropa-Aktienanleger einfach. Die Demokraten protestierten, die EU hielt Hilfsgelder zurück, und die Börse dümpelte vor sich hin. Nach den Wahlen kommt es zum Regierungswechsel. Das könnte der Anfang einer Renaissance für polnische Aktien sein.
Offizielles Wahlergebnis
Die Polen haben noch nie so enthusiastisch (ab-) gewählt, die Wahlbeteiligung lag bei 74,4 Prozent; selbst 1989 waren es “nur” 62,7 Prozent. Die rechtspolitische Law and Justice (PiS) um Jaroslaw Kaczynski bleibt zwar mit 194 Sitzen stärkste Fraktion im 460-köpfigen Parlament und ist formal als erste berechtigt, Regierungsoptionen auszuloten. Allerdings waren die Verluste hoch, und die PiS-Partei hat auch in der Allianz mit der Rechtsaußenpartei Confederation keine Mehrheit mehr. Im Vorfeld hatten sich die Oppositionsparteien klar gegen eine Zusammenarbeit mit der PiS ausgesprochen. Es müsste jetzt also mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht zum politischen Wechsel kommt.
Dann wird Präsident Andrzej Duda das Zepter an Donald Tusk übergeben müssen. Der vor allem in liberalen Städten populäre Politik-Veterane war bereits zwischen 2007 und 2014 Premierminister und fungierte anschließend fünf Jahre als Präsident des Europäischen Rates in Brüssel. Tusk kann dann im Dezember zusammen mit der Third Way Allianz aus Zentrumsparteien (65 Sitze) sowie der Linkspartei (26 Sitze) eine insgesamt 248 Sitze starke Koalition bilden.
Aufatmen in Europa
Die PiS-Regierung ist der Europäischen Union permanent negativ aufgefallen. Zuletzt wurde die Politik in Polen immer autoritärer. Laut Democracy Report 2023 ist die polnische Demokratie in den letzten zehn Jahren von einem Top-10-Rang auf den 78. Platz gerutscht, also auf das Niveau von Ländern wie Paraguay, Sierra Leone, Mongolei, Indonesien und Kenia. Nur Ungarn steht in der EU noch schlechter da, die meisten EU-Länder befinden sich nach wie vor unter den Top 10-Prozent.
Eine kürzlich unter großen Protesten verabschiedete Justizreform war aus Sicht der EU so problematisch, dass sie zeitweise 36 Milliarden Euro Wirtschaftshilfe für Polen einbehalten hat. Jetzt haben die Wahlen gezeigt, dass es um die polnische Demokratie besser steht, als zuletzt befürchtet.
Dabei tricksten die Nationalisten bei der Wahl. Die FT schreibt: “The 2019 election was deemed free but not fair. Sunday’s vote was certainly not fair and barely free.” Die Wahlbezirke wurden nicht korrekt eingegrenzt, gleich vier zum Teil absurde Referenden (beispielsweise über die Abschaffung des Grenzzauns zu Weißrussland) wurden dazu missbraucht, um Wahlfinanzierungsregeln zu umgehen, das Staatsfernsehen und die lokale Presse wurden für eine einseitige Stimmungsmache missbraucht. In den Tagen vor der Wahl senkte das staatlich kontrollierte PNL Orlen plötzlich entgegen dem Ölpreistrend die Benzinpreise, und die Zentralbank senkte trotz hoher Inflation die Zinsen. Zum Glück hat das alles nicht gereicht, um die Möchte-Gern-Autokraten an der Macht zu halten.
Jetzt wird die Machtübergabe zum letzten Gesundheitstest der polnischen Demokratie. Verlierer Kaczinski warnte ominös vor Kämpfen und Spannungen in den nächsten Tagen. Präsident Andrzej Duda, der der PiS nahesteht und bis 2025 im Amt sein wird, könnte die Gesetzgebungen der neuen Regierung in spe mit einem Veto verhindern. Duda kann übrigens nicht wiedergewählt werden. Auch die von der PiS ernannten obersten Richter könnten demokratisch orientierte Reformen kippen. Dennoch haben pro-Europäer und Demokraten jeden Grund zum Feiern.
Gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Ungeachtet der Intrigenspiele und Manipulationen der PiS-geführten Regierung, steht die Wirtschaft trotz aller politischen Schandtaten tadellos da. Im letzten Jahr betrug das Wirtschaftswachstum starke 5,1 Prozent, über die 8-jährige Regierungszeit der PiS waren es durchschnittlich 4,1 Prozent. Allerdings sieht es dieses Jahr weniger gut aus: Der IWF erwartet für dieses Jahres gerade einmal ein Wachstum von 0,5 Prozent.
Anleger gingen bisher leer aus
Die Börsenanleger haben wenig von dem Wachstum gehabt, denn polnische Aktien haben die Entwicklung nicht mitgemacht: Der Benchmark-Index WIG20 liegt auf dem gleichen Niveau wie zum Amtsantritt vor 8 Jahren. Der breitere WIG Index und der MSCI Poland Index liegen zwar insgesamt zwischen 10 und 20 Prozent im Plus, polnische Aktien haben damit aber wahrlich keine Bäume ausgerissen. MSCI Europe liegt in dem Zeitraum 50 Prozent im Plus.
Zum einen wurde bereits von den Vorgängern das vorbildliche und erfolgreiche finanzmarktgestützte private Rentensystem demontiert. Laut einer aktuellen Studie von Mercer liegt Polen in Europa jetzt nur noch an drittletzter Stelle. Der einst blühende polnische Aktienmarkt hat aufgrund fehlender Zuflüsse und staatlicher Eingriffe ein massives Derating erlebt.
Zum anderen setzte die Regierung immer wieder zum Angriff auf die Banken an, die zumeist mehrheitlich in ausländischer Hand und damit in den letzten Jahren Freiwild für finanzielle Attacken unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes und damit nicht investierbar waren. Das erklärt auch die Diskrepanz zwischen dem WIG 20, der deutlich bankenlastiger ist und dem breiteren Weg Index
Gerade jetzt hat Santander Bank Polska, die zweitgrößte Marktkapitalisierung unter den polnischen Aktien, ein Profit Warning herausgegeben, das durch weitere Abschreibungen aus der FX Krise von 2008 (!) bedingt ist.
Jetzt dürfte diese scheinbar unendliche Saga dann doch zu Ende gehen. Überhaupt kommt Polen jetzt wieder aus der Schmuddelecke. Die 36 Milliarden geblockten Hilfsgelder sollten zügig freigegeben werden
Werden polnische Bankaktien wieder investierbar?
Es ist noch zu früh, um konkrete Maßnahmen der neuen Regierung einzuschätzen, aber der Wind dürfte sich jetzt drehen: Die polnischen Banken dürften zukünftig nicht mehr als Melkkühe in Krisenzeiten missbraucht werden.
Damit könnte der Sektor in den nächsten Jahren wieder spannend werden. Die Bewertungen polnischer Bankaktien sind nach langjähriger Prügel moderat. Die Finanzhäuser kosten kaum mehr als ihr Buch und die Kurs-Gewinn-Verhältnisse für nächstes Jahr sind einstellig. Auch Dividenden sind zu erwarten. Vor allem sind jetzt aber in einem normalisierten Regulierungsumfeld nachhaltige Gewinnsteigerungen möglich.
Die polnischen Bankaktien kenne ich schon seit 25 Jahren aus meinen Zeiten als Fondsmanager des DWS Osteuropa; die Auswahl im zersplitterten Markt war schon immer eine Herausforderung.
Allerdings hat sich der Sektor digital weiterentwickelt und die aktuelle Entwicklung lässt sich mittels digitaler Spur messen. Der aktuelle Gewinner bei der Entwicklung der Nutzerzahlen heißt PKO BP. Das Risiko übermäßigen Einflusses des Staats als Aktionär tritt jetzt in den Hintergrund. Wir haben daher eine erste Position im EM Digital Leaders aufgebaut.
Die Entwicklung sollte aber auch gut für unsere anderen polnischen Aktien Holdings sein. In den letzten Tagen hat der Webshop-Enabler Shoper eine weitere Akquisition bekannt gegeben. Dazu in Kürze mehr. Aber auch für den Sicherheits-IT Spezialisten Datawalk dürfte die Entwicklung positiv sein.
Wir werden die polnischen Aktien und allen voran die Banken jetzt weiter im Auge behalten, denn die Verlierer der letzten Dekade könnten in den nächsten Jahren durchaus interessant werden.
Disclaimer
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Steffen war von 1998 bis 2006 im Fondsmanagement der DWS als Leiter Aktien Osteuropa tätig und dort für bis zu 5 Mrd. Euro AuM verantwortlich. Er wurde für seine Arbeit als Fondsmanager mehrfach prämiert u.a. wurde er von der Zeitschrift Finanzen 2003 mit dem DWS Russia als Fondsmanager das Jahres ausgezeichnet. Anschließend machte er sich in London selbständig und verwaltete über 10 Jahre lang Hedge Fonds. Anfang 2021 stieg er als Partner bei Pyfore Capital ein und ist seither für das Fondsmanagement des EM Digital Leaders verantwortlich.
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