Im Januar 2020 stellten wir Euch die Upwork Aktie vor, ein typisches Unternehmen der „Gig Economy”. Zwei Jahre später hat die Pandemie die Welt dramatisch verändert. Die Megatrends der digitalen Transformation und der Trend zu Freiberuflichkeit lassen digitale Plattformen wie Upwork noch attraktiver erscheinen. Wir wollen uns zunächst die Entwicklungen in dieser Branche anschauen, um dann die Fiverr Aktie als potenziellen Digital Business Leader zu analysieren.
Transformation der Arbeitsweise nach der Pandemie
Einige Merkmale des US Arbeitsmarkts in der Post-Corona-Zeit sind besonders spannend:
Ein Mitarbeiter, mehrere Arbeitgeber
Laut dem Bericht des US-Arbeitsministeriums vom April ist die Arbeitslosenquote auf 3,6 Prozent gefallen. Sie näherte sich damit dem Niveau vor der Pandemie. Der durchschnittliche Stundenverdienst (31,73 Dollar) stieg um 5,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum – der größte Anstieg seit 2007. Beides sind positive Anzeichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zugleich sind aber weiterhin nach der „großen Kündigungswelle” während der Pandemie etwa 1,4 Millionen Amerikaner Stand Februar nicht in den Arbeitsmarkt zurückgekehrt, wie aus einer Analyse der Peterson Institute for International Economics hervorgeht. Ein Hinweis darauf, dass ein Trend im US-Arbeitsmarkt weiter zunimmt: ein Arbeitnehmer arbeitet für mehrere Unternehmen bzw. Projekte. Willkommen in der Welt der Gig Economy.
Von Vertragsarbeiter zu Freiberufler
Die Erhöhung des durchschnittlichen Stundenlohns hat bisher nicht dazu beigetragen, die Menschen zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu bewegen. Was ist den Menschen wirklich wichtig? 42 Prozent der Arbeitnehmer gaben an, dass flexible Arbeitszeiten ein Vorteil wäre, der sie am ehesten dazu bringen würde, eine neue Stelle anzunehmen. An zweiter Stelle stehe die Möglichkeit, remote zu arbeiten (34 Prozent), wie The Harris Poll in einer Ende Februar für Fortune durchgeführten Umfrage feststellte.
Diese neuen Prioritäten werden auch in dem von Upwork veröffentlichten Bericht „Freelance Forward 2020” ermittelt: Die Zahl der Freiberufler in den USA stieg zwischen 2014 und 2020 auf 59 Millionen, was 36 Prozent der US Arbeitskräfte entspricht. 34 Prozent der Freiberufler haben seit der Pandemie eine neue/weitere freiberufliche Tätigkeit aufgenommen.
Wachstumsstarker Freiberuflermarkt, riesiger Raum von offline zu online
Der US-Freiberuflermarkt ist rasant auf ein Einkommen von 1,2 Billionen Dollar mit einer CAGR von 7,8 Prozent in den vergangenen zehn Jahren (bis 2020) laut US Census Bureau gewachsen. Im Moment beträgt der TAM (Total Addressable Market) von Fiverr nach eigenen Angaben „nur” 115 Milliarden Dollar (14 Prozent des geschätzten Gesamtmarktes). Die Mehrheit der freiberuflichen Arbeit wird immer noch offline, hauptsächlich durch Mundpropaganda, vermittelt, aber der Wechsel hin zu Online Freiberufler Websites (z.B. Fiverr, Upwork, Freelancer u.s.w.) vollzog sich mit einer Migrationsrate von 20 Prozent der gesamten Freiberufler im Vergleich zu 15 Prozent im Jahr davor, wie Goldman Sachs Research ermittelte. Offensichtlich bietet die geringe Online-Durchdringung eine riesige Marktchance für Fiverr und Co.
Performance der Fiverr Aktie
Fiverr (NYSE: FVRR) wurde 2010 gegründet und ist ein globaler Online Marktplatz für Freiberufler mit über 400 Kategorien an digitalen Dienstleistungsangeboten. Das Unternehmen mit mehr als 787 Mitarbeitern hat seinen Sitz in Tel Aviv mit Niederlassungen in New York, San Francisco, Orlando, Phoenix, London und Berlin. Fiverr ging 2019 zu einem Preis von 21 Dollar pro Aktie an die NYSE. Die Fiverr Aktie stieg während der Pandemie zeitweise auf über 300 Dollar und liegt jetzt bei 53,5 Dollar, also etwa dem 2,5-fachen des Ausgabepreises vor drei Jahren. Die Marktkapitalisierung beträgt 2,0 Milliarden Dollar (Stand: 26.4.2022).
Das Geschäftsmodell: „Digital Service” und „E-Commerce”
Fiverr ist kein traditionelles Online-Rekrutierungsunternehmen, sondern hat ein Geschäftsmodell entwickelt, das es SAAP (Service As A Product) nennt. Fiverr ermöglicht es Freiberuflern, „Gigs“, digitale Dienstleistungen (z. B. Videoerstellung, Logodesign, Website Entwicklung) zu Festpreisen (von 5 Dollar bis zu Tausenden von Dollar) anzubieten, ähnlich wie bei einer traditionellen E-Commerce Plattform, mit dem Unterschied, dass es keine Produkte sondern Services anbietet. Auftraggeber können mit einem umfassenden SKU-ähnlichen (Stock Keeping Unit) Dienstleistungskatalog Skills so einfach wie bei einer Amazon-Bestellung erwerben. Auftraggeber (Einzelpersonen und Unternehmen, insbesondere KMU, Start ups) können wiederum ihre Projekte für Freiberufler auf Fiverr ausschreiben.
Das Geschäftsmodell, das Freiberufler und Auftraggeber zusammenbringt, hat viele Vorteile, wie z.B. On Demand (kein Einstellungsprozess und keine langfristige Verpflichtung), End to End (Freiberufler an Auftraggeber), globale Gemeinschaft (Plattformen mit 7 Sprachen/Ländern). Auftraggeber können die Hilfe von Freiberuflern in Anspruch nehmen, wenn sie sie brauchen, Freiberufler können unabhängig von Zeit und Ort arbeiten. Das macht Plattformen wie Fiverr für beide Seiten attraktiv.
Fiverr generiert Einnahmen durch eine Gebühr, die auf dem GSV (Gross Service Value) basiert. Sobald der Auftraggeber beispielsweise durch den Katalog navigiert und die gewünschte Dienstleistung gefunden hat, gibt er die Bestellung auf und zahlt Fiverr die Kosten für den Auftrag plus die Servicegebühr, die 5,5 Prozent des Kaufbetrags beträgt. Für Deals unter 50 Dollar zahlen die Auftraggebers eine zusätzliche Kleinauftragsgebühr von 2 Dollar. Fiverr stellt dem Freiberufler 14 Tage nach Abschluss des Projekts 80 Prozent des Transaktionswerts zur Verfügung, sofern der Auftraggeber keine Reklamationen geltend macht. (Die restlichen 20 Prozent vereinnahmt Fiverr als Provision.)
Die Fiverr Quartalszahlen
Mit dem Trend zur Freiberuflichkeit und einem interessanten Geschäftsmodell lockt Fiverr immer mehr Menschen auf die Plattform. Im vierten Quartal 2021 erreichte die Zahl der jährlich aktiven Auftraggeber 4,2 Millionen (23,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr) mit jährlichen Ausgaben pro Auftraggeber (GSV geteilt durch Auftraggeber) von 242 Dollar. Das Wachstum ist beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Fiverr keinen Außendienst einsetzt und auch nicht beabsichtigt, dies in Zukunft zu tun. Stattdessen akquiriert Fiverr neue Auftraggebers in erster Linie über organische, unbezahlte Kanäle (z. B. Mundpropaganda, direkter Website-Traffic, organische Suche) und nutzt außerdem Social Media Influencer und Content Creators, um die Markenbekanntheit durch visuelle Inhalte zu steigern. Fiverr investiert auch in Brand und Performance Marketing, aber der Anteil am Umsatz ist rückgängig.
Die GSV hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht, und die Take Rate (Umsatz geteilt durch GSV) liegt bei hohen 29,2 Prozent. Abgesehen von der hohen Take Rate kann man auf dem Fiverr Marktplatz auch ein starkes und konsistentes Kohortenverhalten (ältere Jahrgänge mit einer Umsatzbindung von 110 Prozent und mehr) erkennen. Diese machen 59 Prozent der bestehenden Auftraggeber im Jahr 2021 aus.
Ein innovatives Modell, eine hohe Take Rate, eine treue Stammkundschaft und eine hohe Marketingeffizienz tragen dazu bei, dass der Umsatz im Jahr 2021 auf 298 Millionen Dollar (57 Prozent gegenüber dem Vorjahr) gestiegen ist. Die Bruttomarge lag bisher um die 80 Prozent, aber die bereinigte EBITDA Marge war vor 2019 negativ. Seit dem zweiten Quartal 2020 ist sie jedoch positiv geblieben und erreichte im vierten Quartal 2021 11 Prozent, was bedeutet, dass sich die Rentabilität nach Covid deutlich verbessert hat.
Bewertung
In der folgenden Tabelle haben wir die KPIs von Fiverr mit denen der Konkurrenz verglichen. Gegenüber dem größten direkten Konkurrenten Upwork hat Fiverr nur ein Drittel des GSV (Take Rate 14,2 Prozent), die jährlichen Ausgaben pro Auftraggeber liegen bei 242 Dollar im Vergleich zu 4.599 Dollar. Das ist sehr viel, wird aber dadurch erklärlich, dass die Anzahl der Auftraggeber sechsmal höher ist als bei Upwork. Dies zeigt den Unterschied im Geschäftsmodell: Fiverr hat mehr Nutzer mit kleinen Aufträgen, während Upwork immer stärker auf Geschäftskunden setzt und diese auch offline akquiriert. Auch die Zielmärkte sind recht unterschiedlich: Während Fiverr vor allem in den USA, Indien, Deutschland und anderen europäischen Ländern aktiv ist, konzentriert sich Upwork auf Südostasien und Afrika.
Unter allen Wettbewerbern weist Fiverr das größte Wachstum auf – sowohl in den vergangenen drei Jahren, aber auch in den nächsten, gemessen am Analystenkonsens auf Bloomberg. Der Efficiency Score (Rule of 40) liegt bei knapp 69 und damit unter dem Wert von ZipRecruiter (96). Wenn wir jedoch das durchschnittliche Wachstum der letzten drei Jahre heranziehen ist der Efficiency Score von Fiverr mit 71 der höchste unter den Vergleichsunternehmen.
Darüber hinaus haben wir auch die digitale Spur analysiert. Das Diagramm unten zeigt die MAU (Monthly Active User) für die Apps der einzelnen Unternehmen im Apple Store und bei Google Play (die Recruit Tochter Indeed haben wir aufgrund der Größe hier außen vor gelassen). Wir können sehen, dass in den letzten zwei Jahren Glassdoor stetig aber leicht gewachsen ist, ZipRecruiter ist stark zurückgegangen, aber kreative Geschäftsmodelle wie Fiverr und Upwork haben einen deutlichen Anstieg verzeichnet.
Basierend auf Schätzungen von SimilarWeb hat die Plattform von Fiverr einen viel stärkeren Website-Traffic als die Konkurrenten. Die Gesamtzahl der monatlichen Besucher auf Fiverr liegt bei 60,5 Millionen im Vergleich zu Glassdoor mit 56, Upwork und ZipRecruiter liegen mit 43 Millionen auf ähnlichem Niveau. Besucher neigen auch dazu, mehr Zeit auf der Fiverr Plattform zu verbringen – durchschnittlich 20 Minuten pro Nutzer seit 2020, verglichen mit 11,5 Minuten bei Upwork. ZipRecruiter und Glassdoor kommen auf nur 3 Minuten.
Kommen wir nun zur Profitabilität, die wir in der unteren Tabelle genauer aufführen. Die Bruttomarge von Fiverr liegt bei 82,6 Prozent und die Non-GAAP EBITDA Marge bei 11,1 Prozent, also höher als bei Upwork, aber immer noch viel niedriger als bei den traditionellen Marktführern im Bereich Personalvermittlung wie Indeed und Glassdoor. Wie viele neuen Tech Unternehmen sind auch Fiverr und Upwork nicht profitabel. Das japanische Unternehmen Recruit Holdings ist zwar hochprofitabel, aber das Umsatzwachstum im Bereich HR Technologie sank von 50,3 Prozent im Jahr 2019 auf 2,6 Prozent im Jahr 2021.
Apropos Bewertung: Nach dem großen Sprung während der zweijährigen Pandemie ist der Kurs der Fiverr Aktie wieder deutlich zurückgefallen – mit einem EV/Umsatz von 4,5 ist die Bewertung wieder auf einem vernünftigen Niveau angelangt.
Fazit und Prognose zur Fiverr Aktie
Die Guidance für das Umsatzwachstum 2022 hat Fiverr mit 25 Prozent angegeben. Das Unternehmen will weiterhin sowohl die Freelancer- als auch die Auftraggeberseite des Marktplatzes skalieren, das Niveau der Mehrwertdienste erhöhen und geografisch expandieren. Ein Blick auf die digitale Spur zeigt, dass Fiverr auf einem guten Weg ist, diese Ziele zu erfüllen. Zugleich muss das Unternehmen weiter an der Profitabilität arbeiten. Immerhin, Fiverr kann das Wachstum aus eigenen Mitteln stemmen, was im aktuellen Marktumfeld immer wichtiger wird. Die Bewertung des Unternehmens ist nach der brutalen Kurskorrektur deutlich attraktiver geworden. Aktuell ist die Fiverr Aktie einer der Top Kandidaten für die Aufnahme in unserem Fonds.
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Disclaimer
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.
Autor
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Jingwen, zertifizierter CFA und FRM, unterstützt das Team vom The DLF im Research. Sie war viele Jahre in China in der Unternehmensanalyse für die Bank of China tätig. Jingwen erhielt ihren MBA an der Technischen Universität Dalian und studierte zudem Data Analytics an der Universität Münster in Deutschland.
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2 Antworten
wie stellt sich die Umsatzverteilugn nach Ländern auf. soweit ich gelesen habe v.a. USA , Europa . Gibt es hierzu genaue Prozentangaben.
herzlichst
Poldi Kistler
Hallo Poldi, Vielen Dank für Ihre Frage!Aus dem Jahresbericht 2021 geht hervor: USA 52%, Europa 26%, Asien Pazifik 13%, übrige Welt 8%, Israel 1%. VG Jingwen