Wirecard Aktie – Der Zweifel ist dein bester Freund

21. September 2018

Wirecard Aktie investieren - Geldkarte vom Unternehmen

Kaum ein Unternehmen in Deutschland ist bei Investoren, in der Öffentlichkeit und den Medien so umstritten wie Wirecard.

Auch wir wurden seit Start des Digital Leaders Funds immer wieder mit der Frage konfrontiert, was wir von Wirecard halten.

Im Rahmen unserer Payment-Reihe widmen wir diesem wundersam wachsenden Unternehmen aus Aschheim einen separaten Beitrag.

In unserem Artikel zum Payment-Markt letzte Woche haben wir die zahlreichen Spieler in diesem Markt unterteilt in Banken, Kreditkartenunternehmen, Aquirerer/PSPs und die Gruppe der digitalen Herausforderer.

Wirecard mischt überall mit: Es stellt selber Kreditkarten aus, agiert als technischer Zahlungsabwickler für Banken, akquiriert kleine und große Händler weltweit, prozessiert Zahlungen und hat mit Boon sehr früh ein virtuelles Konto für mobiles und kontaktloses Payment entwickelt.

In den letzten Jahren hat das Unternehmen durch Innovationen und geschickte Akquisitionen verstanden, eine ernstzunehmende „online first“ Paymentplattform aufzubauen.

Wie im letzten Artikel beschrieben, sind die Rahmenbedingungen für das Unternehmen extrem günstig.

Nach eigenen Angaben laufen 80 Prozent der Transaktionen derzeit noch gegen Bargeld ab und nur etwa 10 Prozent der elektronischen Transaktionen sind voll digitalisiert.

Lange Zeit wurde das Unternehmen von Investoren und Analysten eher ignoriert.

Mittlerweile bewerten auch Goldman, UBS und Co. die Wirecard Aktie und fast alle sind bullish mit Kurszielen meist jenseits der 200 Euro.

Auch große Unternehmen haben offensichtlich keine Berührungsängste mehr mit Wirecard.

Dieses Jahr konnten unter Anderem Namen wie Google Pay, Ikea (Malaysia), SAP, FedEx (Indien), Credit Agricole, Transferwise, Gebr. Heinemann (Intergration chinesischer Paymentmethoden in das check-out System in Duty Free Läden) etc. für eine Kooperation gewonnen werden.

Wirecard Aktie – Attraktive Bewertung

Das Wachstum des Unternehmens ist beeindruckend.

Das Transaktionsvolumen wuchs im ersten Halbjahr dieses Jahres 48,5 Prozent auf 56,2 Milliarden Euro, der Umsatz um 45,8 Prozent auf 897 Millionen Euro.

Ein großer Anteil davon ist allerdings zugekauft. Organisch betrug das Wachstum 26,2 beziehungsweise 25,3 Prozent.

Damit steigert Wirecard den Umsatz seit drei Quartalen hintereinander mit über 25 Prozent. Und bei dem aktuellen Dealflow (z.B. Credit Agricole und Mizuho Bank) sollte das weiter anhalten.

Noch beeindruckender ist das organische EBITDA-Wachstum (Bruttogewinn abzüglich der Betriebsausgaben) mit 33,5 Prozent.

Das ist deutlich mehr Wachstum als traditionelle Konkurrenten wie Worldline, First Data und Worldpay erreichen. Aber auch deutlich weniger als technologisch führende PSPs wie Adyen, Square und reine online Anbieter wie Stripe (nicht gelistet).

Die EBITDA-Marge liegt derzeit bei über 27 Prozent. Das Unternehmen ist optimistisch, diese sogar noch weiter verbessern zu können.

Sollte das eintreten, wäre die Wirecard Aktie gegenüber traditionellen und auch neuen Anbietern attraktiv bewertet.

Chart der Wirecard Aktie von den letzten sechs Monaten
Wirecard Aktie: Sollte die optimistische Haltung des Unternehmens tatsächlich eintreten, ist die Aktie trotz 80 Prozent Wachstum in den letzten 6 Monaten attraktiv bewertet. (Chart: Finanztreff)

Wo ist der Haken?

Die Ursprünge des Unternehmens als Zahlungsdienstleister für Porno- und Glücksspielseiten sind häufig ein Thema.

Das ist weder überraschend noch verwerflich. Viele Innovationen in der Digitalisierung gehen auf Erotik, Glücksspiel, Gaming und Rüstungsindustrie zurück.

Die Glücksspielgesetze weltweit sind extrem unterschiedlich, in den USA sind Glücksspiele in wenigen Staaten erlaubt.

Wir gehen aber mal davon aus, dass von hier keine Risiken drohen. Zumal das Unternehmen nach eigenen Angaben weniger als 5 Prozent der Umsätze im Gaming erwirtschaftet (Spiegel).

Auch über vermeintliche Bilanztricks und dass der CEO darüber die Käufe seiner 7 Prozent Anteile an Wirecard finanziert hat (im Wert von 70 Millionen Euro, die heute knapp 1,6 Milliarden Wert sind), wollen wir an dieser Stelle nicht spekulieren.

Bedenklicher finde ich die Zahlungsströme im Kontext mancher Übernahmen, insbesondere die Übernahme der Great Indian Retail Group (siehe auch hierzu die Wirtschaftswoche und das Manager Magazin).

Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen, bin ich davon überzeugt, dass Wirecard mit dem Einzug in den DAX einem verstärkten Stresstest in Sachen Transparenz unterzogen wird. Da bei den Anlegern bezüglich der Wirecard Aktie aktuell die Sorglosigkeit überwiegt, drohen hier eher negative Überraschungen.

Das Margenwunder

So richtig staunen muss man allerdings beim Blick auf die Margen des Unternehmens.

Während die Take Rate (der Anteil des eigenen Umsatzes am Transaktionsvolumen) bei etwa 160 Basispunkten liegt (bei Paypal und Adyen 270 beziehungsweise 22 Basispunkte), erwirtschaftet Wirecard derzeit eine höhere EBITDA-Marge als Paypal und eine viermal so hohe Marge als Adyen (siehe hierzu auch die großartige Analyse in Finanz-Szene.de).

Während Paypal (mehr dazu in unsere Artikel zur PayPal Aktie) ein extrem großes und lukratives B2C-Business betreibt, ist das Geschäft mit Endkunden bei Wirecard vernachlässigbar.

Die eigenen Verlautbarungen, dass Boon „die am schnellsten wachsende Mobile-Payment-Lösung in Europa“ sei, können wir beim Blick auf die Downloadzahlen der App sowie der Traffic-Daten nicht nachvollziehen.

Außerhalb Deutschlands ist der Service kaum relevant. Auch die Beiträge aus Issuing und dem Prepaidkarten-Geschäft sollten vernachlässigbar sein.

Wirecard Aktie investieren - Die App Boon kontaktlos mit einem Kartenlesegerät
Interessant für die Wirecard Aktie: Außerhalb Deutschlands ist die vom Unternehmen hoch angepriesene App Boon bisher kaum relevant.

Bisher hat Wirecard nicht überzeugend darstellen können, über welche Mehrwertdienstleistungen die Margen so deutlich besser ausfallen als bei der Konkurrenz.

Im Blick der Regulatoren

Interessant finden wir, dass Regulatoren in Europa nun genauer untersuchen, inwiefern die Interbankengebühren-Verordnung, die seit 2016 in Kraft getreten ist, auch kleinen Händlern und Verbrauchern genutzt hat.

Mit der Verordnung wurde die maximale Gebühr für Banken bei Kreditkartentransaktionen bei 0,3 Prozent bei Kreditkarten (0,2 bei Debitkarten) gekappt.

Die Ersparnisse von über 1,3 Prozent sollten Händlern und Verbrauchern zugute kommen.

Zumindest die Aufsichtsbehörde in Großbritannien hat massive Bedenken daran, dass der Wettbewerb im Aquiring-Markt im Interesse auch der kleineren und mittelgroßen Unternehmen funktioniert.

Der Kritik von Hannah Nixon, General Manager Payment System Regulator, wohnt der unerhörte Verdacht inne, dass Aquirer wie Wirecard und Worldpay diese Gebührenersparnis im „long tale“, also bei den kleinen Massenkunden, einfach nicht weitergereicht haben (siehe hierzu die Financial Times).

Sollte das wirklich zutreffen, dann wäre zwar das Margenrätsel gelöst, aber die Konsequenzen für die Wircard Aktie unschön.

Wirecard Aktie – Fazit

Wir hätten auch gerne in Wirecard investiert. Jedoch wirft das Unternehmen derzeit noch viele Fragen auf, die für uns unzureichend beantwortet sind.

Auch die vollmundigen Statements des Managements zur weiteren Geschäftsentwicklung des Unternehmens finde ich irritierend. Es geht auch eine Spur bescheidener.

Das Unternehmen ist ein Payment-Konglomerat, das so schnell wachsen will wie Adyen, Square und Stripe und Margen erwirtschaften möchte jenseits von Paypal.

Oder wie ein befreundeter Payment-Experte sagt:

„Adyen ist der spezialisierte, best-in-class Nischenanbieter alá 911 Porsche; Wirecard ist der RS4 – die versuchen alles gleichzeitig zu sein, Familienauto und Sportwagen.“

Wir gehen davon aus, dass Wirecard die beeindruckenden Margen nicht dauerhaft halten wird.

Der scharfe Wettbewerb und das regulative Umfeld sprechen dagegen. Als langfristige Investoren hören wir da lieber auf Marcel Proust:

„Der Zweifel ist dein bester Freund.“

Ich bin davon überzeugt, dass der Payment-Markt eines der vielversprechendsten Segmente für Investoren in den nächsten Jahren ist.

Daher haben wir mit Investitionen in Mastercard, Paypal, Alibaba und Tencent gleich vier Unternehmen im Portfolio, die vom Trend zum bargeldlosen Bezahlen profitieren sollten.

Über ein weiteres Unternehmen in diesem Umfeld, das wir gerade in diesen Tagen neu ins Portfolio des DLF aufnehmen, werden wir in Kürze in unserem Newsletter berichten. Diesen kannst Du – falls Du es bisher noch nicht getan hast – hier abonnieren.

Autor

  • Baki Irmak

    Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.

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Baki Irmak

Baki war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche Bank Konzern und DWS tätig. Zuletzt u.a. als Global Head of Digital Business für die Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied im Digital Executive Commitee der Deutschen Bank. Seine berufliche Laufbahn hat er als Fondsmanager für Technologie, Telekommunikation und Medien bei BHF Trust begonnen. Danach war er Fondsmanager bei der Commerzbank und ABN Amro.

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4 Antworten

  1. Vielen Dank für diesen Artikel und die anderen Paymentbereich Artikel davor hier auf dem Blog.

    Ich bin auch der Überzeugung, dass der Paymentbereich eine der spannendsten Märkte überhaupt ist. Spannend nicht nur durch die enorme Ertragsperspektive, sondern auch, da es hier noch keine zementierte Marktstellung gibt, wie Google bei Search oder Amazon im Westen im e-commerce.

    Am meisten überzeugt hatte mich als Kunde bisher Alipay, Wechatpay und Applepay, wobei alle drei noch massive Schwächen haben: Wechatpay und Alipay funktionieren in China perfekt, doch man kann sie außerhalb Chinas als Nichtchinese oft nicht ordentlich nutzen. Zudem gibt es auch in China alle 12 Monate massive Änderungen in den Apps (z.B. bei „Hongbao“ Zahlungen und ähnlichem). Applepay verbreitet sich immer stärker in der Welt, ist aber noch abhängig von dahinter hängenden Debitkarten, also wieder von MasterCard und Visa. Zudem fehlt mir bei Applepay der soziale Ansatz. Bisher hatte ich dabei keine P2P Funktionalität gesehen sondern alles ist auf B2C ausgerichtet.

    Wie sehen Sie eine mögliche chinesische Digitalwährung und den Einstieg Facebooks in den Markt? Das sind die beiden Ereignisse, denen ich persönlich die stärkste Bedeutung zumessen würde.

    Merci!

    1. Hallo Herr Thiele, wir halten uns bei Wirecard zurück. Als wir bei einem Kurs von ca. 190 Euro erklärt haben, warum wir die Aktie nicht ins Portfolio aufnehmen, waren die Gründe andere. Die Konkurrenz für Wirecard wird täglich größer, es gibt immer mehr lokale Champions im Payment-Segment. Die angestrebten Margen wird das Unternehmen kaum erreichen können, wenn auch die Bewertung aktuell verführerisch ist. Aber wir wollen auch lieber entspannt investieren. Die Kurskapriolen bei Wirecard sind einfach absurd und werden auch nicht von Fundamentaldaten getrieben, sondern von Spekulationen. Und das halte ich mich lieber an Goethe: „Ein Kerl, der spekuliert ist wie ein Tier, auf dürrer Heide, von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, und ringsumher liegt schöne, grüne Weide.“

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